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Offensive auf Nord- und Ostsyrien: Rojava-Revolution verteidigen!

Nach dem Sturz des Assad-Regimes nutzt die Türkei das Machtvakuum, um seine Angriffe auf die kurdischen Gebiete zu intensivieren. Die Rojava-Revolution und damit die gesamte kurdische Selbstverwaltung sehen sich bedroht – Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen! – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.

Das vergangene Wochenende markierte den Sturz des syrischen Regimes unter Präsident Bashar al-Assad. In einer großangelegten Offensive wurden binnen weniger Tage große Teile des syrischen Staatsgebiets von islamistischen Milizen eingenommen.

Federführend dabei waren die islamisch-fundamentalistische Hay’at Tahrīr asch-Scham (HTS) und die Syrische Nationale Armee (SNA). Beide wurden maßgeblich von der Türkei in Sachen Logistik, Finanzen und militärischer Ausrüstung unterstützt. Eine solche Offensive wäre ohne die Unterstützung einer der lokal relevantesten Mächte wie der Türkei auch gar nicht möglich gewesen.

Mittlerweile hat auch das israelische Militär einen Vormarsch auf die syrische Hauptstadt Damaskus gestartet. Mit Luftangriffen werden militärische Stützpunkte in Syrien zerstört, und israelische Panzer und Soldat:innen befinden sich nur wenige Kilometer vor Damaskus. Syrien steht damit im Brennpunkt einer Neuaufteilung unter den Regionalmächten.

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Von der Offensive gegen Syrien zur Offensive gegen Rojava

Besonders im Fokus türkischer Angriffe stehen dabei die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete der Autonomen Administration Nord- und Ostsyriens (AANES), auch als Rojava bekannt. Am Montag wurde mit dieser Stoßrichtung die strategisch wichtige Stadt Minbic westlich des Euphrats von der SNA, dem verlängerten Arm der Türkei, eingenommen. In türkischen TV-Ausstrahlungen sind dabei Soldat:innen der SNA bei Angriffen auf die Stadt Minbic mit Patches des Islamischen Staates (IS) zu sehen.

Damit liegen nun zwischen der durch YPG-Einheiten gegen den IS erfolgreich verteidigten und international bekannten Stadt Kobane und den SNA-Einheiten nur wenige Kilometer und der Euphrat. Bereits jetzt kommt es dort zu türkischen Luftangriffen und dem Einsatz von Kampfdrohnen, die bereits das Leben von 26 Zivilist:innen gekostet haben (Stand: 10.12.2024).

Auf X kursieren Videos von durch SNA-Söldner:innen verschleppten Frauen aus den autonomen kurdischen Gebieten. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) bestätigte bereits, dass die SNA Kriegsverbrechen in Syrien begehe. So gibt es Videos von verwundeten SDF-Kämpfern, die in einem Militärkrankenhaus nördlich der Stadt Minbic von der SNA hingerichtet wurden.

Laut Mako Qocgiri, dem Sprecher von Civaka Azad, dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, komme es in Tişrin zu schweren Gefechten, und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) kämpfen darum, einen Durchbruch der SNA-Miliz und der Türkei nach Nordostsyrien zu verhindern. Mit der Eroberung Manbijs und Tell Rifaat hat die türkische Regierung jedoch eines ihrer jahrelangen Ziele erreicht: Erstmals seit 2016 sind die grenznahen Gebiete westlich des Euphrats nun vollständig unter türkischer Kontrolle.

Was will der türkische Staat?

Hinter der geplanten Offensive gegen das Assad-Regime aber auch den intensivierten Angriffen auf die kurdischen Gebiete stehen klare geostrategische Interessen der Türkei:

Zum einen ist die kurdische Freiheitsbewegung dem türkischen Staat schon seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge und hat es in den vergangenen Jahren geschafft, auch militärischen Widerstand gegen den türkischen Faschismus zu leisten. Insbesondere die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) und ihre kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ leisten kühnen Widerstand gegen den türkischen Aggressor. Aktuelles Ziel der Türkei ist es, eine „Pufferzone“ zwischen der türkischen Grenze und den autonomen kurdischen Regionen zu errichten und das Einflussgebiet der kurdischen Kräfte weiter in den Osten abzudrängen.

Das langfristige Ziel fasst der türkischen Außenminister Hakan Fidan dann nochmal zusammen: „Die Terroristen der PKK und YPG sollen keine Rolle im neuen Syrien spielen.“ Schlussendlich zielt Erdogan darauf ab, die kurdische Selbstverwaltung mithilfe der SNA und der potenziellen Unterstützung der neuen syrischen Regierung unter HTS-Chef Mohammed al-Baschir vollständig zu zerschlagen.

Doch nicht nur das: Auch mit dem Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg zerstörten Syriens will die Türkei Profit machen: So spekulieren jetzt schon Anleger auf Großaufträge von türkischen Unternehmen zum Wiederaufbau Syriens. Gerade türkische Bauunternehmen könnten davon massiv profitieren – nicht zuletzt sind sie auch wichtige Finanziers für Erdogans Wahlkämpfe.

Der Türkei geht es also keineswegs um eine Demokratisierung oder Stabilisierung des Landes zugunsten der syrischen Bevölkerung. Stattdessen geht es Erdogan vor allem darum, die Lage vor Ort in einer Art und Weise zu stabilisieren, die der Türkei die Möglichkeit gibt, die weiteren Entwicklungen im Land zu kontrollieren und entsprechend seiner Interessen zu lenken.

Verteidigt die Revolution in Rojava!

Rojava und die kurdische Freiheitsbewegung nehmen seit Jahren in der demokratisch-fortschrittlichen bis in die revolutionäre Bewegung hinein eine besondere Rolle ein: Mit der Verteidigung der kurdischen Selbstverwaltung gegen die barbarischen IS-Horden – trotz massiver Belagerung vom türkischen Militär – haben es die demokratischen Kräfte vor Ort geschafft, die Bevölkerung vor den Gräueltaten des IS zu beschützen. Und nicht nur das: die Rojava-Revolution stellt seitdem auch ein Bindeglied für alle Kräfte auf der Welt dar, die gegen Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen.

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Rojava hat vielen gezeigt, dass eine Revolution und der Kampf gegen faschistischen Terror, Imperialismus und das friedliche Zusammenleben verschiedener Völker keine ferne Utopie ist, sondern ein greifbares Ziel. Damit ist Rojava nicht nur ein rotes Tuch für die Imperialisten und insbesondere den türkischen Faschismus. Rojava stellt zugleich einen Hoffnungsschimmer dar im Kampf für eine andere Gesellschaft jenseits von Imperialismus auf der ganzen Welt.

Verschiedene kurdische Organisationen haben bereits zu Aktionen gegen die türkische Aggression und für die Verteidigung der Rojava-Revolution aufgerufen. Gerade hier in Deutschland als einem der engsten Bündnispartner und treuesten Waffenlieferanten der Türkei gilt es, die Angriffe auf Rojava nicht unbeantwortet zu lassen. Waren es 2016 deutsche Leopard-Panzer, die in Afrin einfielen, sind es heute wieder NATO-Waffen, welche die Selbstverwaltung bedrohen und ohne die eine solche Offensive nie möglich gewesen wäre. Die Rojava-Revolution zu verteidigen, bedeutet heute vor allem, den deutschen Kriegskurs anzugreifen und weder die eigene Bevölkerung noch die anderer Länder auf dem Schlachtfeld der Imperialisten verheizen zu lassen!

Luis Tetteritzsch
Luis Tetteritzsch
Seit 2023 Autor für Perspektive Online. Schreibt gerne über die Militarisierung des deutschen Imperialismus und den Widerstand dagegen.Denn: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“

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