Die HTS-Miliz rückt seit Sonntag näher auf die selbstverwalteten Gebiete in Nordsyrien vor. Auch die Türkei, USA, der Iran und Russland sind involviert. In Deutschland, der Schweiz und Österreich sind Protestaktionen für Montag angekündigt.
Seit Mittwoch rückt die djihadistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) auf die syrische Millionenstadt Aleppo vor. In wenigen Tagen hat sie dutzende Dörfer und Kleinstädte eingenommen. Am Sonntag konnte die Miliz dann die Kontrolle über Aleppo übernehmen.
Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind bereits 372 Menschen, darunter 48 Zivilist:innen, getötet worden. Zu den Opfern zählen ein Kind, Universitätsstudenten und andere Zivilist:innen.
Am Sonntag hatten die kurdischen Verteidigungseinheiten der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) zur Generalmobilmachung aufgerufen. Die Bevölkerung wurde aufgefordert in ständiger Alarmbereitschaft zu sein.
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Kämpfe an verschiedenen Fronten
Zurzeit befinden sich die AANES an verschiedenen Fronten Angriffen ausgesetzt. Bei Auseinandersetzungen mit der HTS und der Syrischen Nationalarmee (SNA), die beide von der Türkei unterstützt werden, sind mehrere Kämpfer:innen aus Rojava getötet worden.
Im Kreis Şera seien mehrere kurdische Dörfer seien von den Angreifern unter Artilleriefeuer genommen worden. Nahe der Stadt Tel Rifat wurden die die Dörfer Şêx Îsa und Herbil bombardiert. In Semûqa kämpfen die „Befreiungskräfte Efrîns“ (HRE) gegen islamistische Milizen, wobei unklar ist, ob es sich um Mitglieder der HTS oder SNA handelt.
Die kurdischen Streitkräfte waren von Rojava aus in Richtung Aleppo vorgerückt um die dortige Bevölkerung zu schützen. SDF-Sprecher Farhad Şamo bestätigte am Sonntag dann einen Rückzug der Kräfte aus Şehba/Tel Rifat, widersprach aber den Gerüchten über einen Rückzug kurdischer Kräfte aus Aleppo: „An den Gerüchten […] eines Rückzugs ist nichts dran, wir werden jede Entscheidung des Widerstands gegen die Terrorgruppen unterstützen“
Am Montag Morgen berichtete Reuters dann, dass die kurdischen YPG-Kräfte damit begonnen hätten, sich aus Gebieten unter ihrer Kontrolle im nordöstlichen Sektor von Aleppo zurückzuziehen. Dies geschehe im Rahmen einer Vereinbarung mit Rebellenkräften.
Die Informationslage scheint insgesamt jedoch unklar. In der Nacht auf Montag war auch die Telekommunikation in der Region größtenteils zusammengebrochen, nachdem sie durch Milizen „erheblich beschädigt wurde und mehrere Vermittlungsstellen ausgefallen sind“.
Türkei, USA, Iran und Russland involviert
In der Nacht auf Montag sind zudem von iranischen Milizen unterstützte Kämpfer nach Syrien eingedrungen und auf dem Weg in den Norden Syriens, um Assads Armee zu unterstützen. „Das sind frische Verstärkungen, die geschickt werden, um unseren Kameraden an den Frontlinien im Norden zu helfen“, sagte eine hochrangige Armeequelle der Nachrichtenagentur.
Der israelische Ministerpräsident Netanyahu befürchtet derweil, dass iranische Truppen an Israels Grenzen stationiert werden könnten und dass der Iran die Situation möglicherweise nutzen könnte, um Waffen an die Hisbollah im Libanon zu liefern.
Die russische Armee als langjähriger Verbündeter des Assad-Regimes hatte am Wochenende bereits mit Luftangriffen auf die Offensive der vorrückenden HTS-Miliz reagiert.
Der kurdische Journalist Demhat Tolhildan erklärte, dass der türkische Staat mit hinter den Angriffen stecke und verweist auf die fortschrittliche militärische Ausrüstung der angreifenden islamistischen Milizen. Neben der Ausrüstung seien die Milizionäre von der Türkei mit Thermonachtsichtsystemen und Kamikaze-Drohnen ausgestattet.
Tolhildan vermutet, dass der Angriff möglicherweise auch im Interesse der USA stattgefunden habe, um Russland in der Region zu schwächen. Russland sei aufgrund des Ukraine-Kriegs geschwächt und habe technische Kräfte aus Syrien abgezogen. Doch die Türkei verfolge zeitgleich auch ihre eigenen Ziele: „Die Türkei erfüllt den Auftrag der NATO, die dschihadistischen Gruppen zu kontrollieren und die Flüchtlinge aus Syrien zurückzuhalten. Gleichzeitig benutzt sie diese Banden auch für ihren eigenen Pläne.“
Neben der indirekten Einflussnahme der Türkei über die islamistischen Milizen fliegen auch türkische Kampfflugzeuge seit dem Wochenende ununterbrochen über die Autonomieregion Nord- und Ostsyrien, insbesondere über Til Temir. Gleichzeitig kommt es zu heftigen Artillerieangriffen auf Wohngebiete der Dörfer Tawila und Qubur al-Qarajim. Die Angriffe haben auch eine Stromstation getroffen, wodurch der Strom in Til Temir ausfiel.
Der Ausgangspunkt der Angriffe wird bei Stützpunkten der türkischen Armee und der unter dem Kommando der Türkei stehenden Syrischen Nationalarmee (SNA) in Serêkaniyê vermutet.
In den letzten Wochen und Monaten hatte die Türkei ihre Angriffe auf kurdische Gebiete in Nordsyrien und im Irak intensiviert.
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Kurdische Verteidigungskräfte schützen Bevölkerung
In Aleppo und der benachbarten Region leben schätzungsweise 200.000 Kurd:innen, die 2018 vor der türkischen Besatzung in Afrîn fliehen mussten.
In der Erklärung der AANES heißt es: „Wir verurteilen den Angriff der vom türkischen Staat gestützten Banden auf syrischem Boden und begrüßen den Widerstand unseres Volkes in Aleppo und Şehba. Der Angriff ist eine Fortsetzung des gescheiterten Plans, den der türkische Staat mit Daesh [„Islamischer Staat“] umsetzen wollte. Das Ziel ist die Besetzung Syriens innerhalb der Grenzen des türkischen Nationalpakts Misak-ı Milli. Der aggressive Angriff zielt darauf ab, Syrien zu besetzen und zu spalten und zu einem Zentrum des internationalen Terrorismus zu machen.“
Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) erklärte, dass das syrische Militär und seine Verbündeten vollständig zusammengebrochen seien. „Unsere Kräfte haben die Bevölkerung von Aleppo, Tel Rifat und Şehba heldenhaft verteidigt“, erklärte Abdi. „Die Angriffe, der von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen durchtrennten jedoch den Korridor, den wir zwischen diesen Regionen und den Gebieten im Osten schaffen wollten.“
Demonstrationen am 2. Dezember
Am Sonntag Abend kam es bereits zu spontanen Aktionen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Unter anderem in Hamburg und Leipzig gingen hunderte Menschen auf die Straße und bekundeten ihre Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf: „Im Herzen stehen wir Seite an Seite mit unseren Genoss:innen in Aleppo, Tel Rifat und in ganz Nord- und Ostsyrien.“
Deutschland
Berlin: 17 Uhr – Alexanderplatz
Darmstadt: 16:30 Uhr – Hauptbahnhof
Düsseldorf: 19 Uhr – Hauptbahnhof
Frankfurt: 17 Uhr – Hauptbahnhof
Freiburg: 18 Uhr – Platz der Alten Synagoge
Hannover: 17 Uhr – Hauptbahnhof
Köln: 17 Uhr – Hauptbahnhof
Saarbrücken: 18 Uhr – Europagalerie
Stuttgart: 18 Uhr – Lautenschlagerstraße
Schweiz
Baden: 20 Uhr – Bahnhof
Bellinzona: 18 Uhr – Bahnhof
Biel: 18:30 Uhr – Bahnhof
Genf: 17 Uhr – Vor der großen Post
Lausanne: 18 Uhr – Bahnhof
Solothurn: 16 Uhr – Hauptbahnhof
Österreich
Wien: 18 Uhr – Stephansplatz
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