Cihan Bilgin und Nazım Daştan waren kurdische Journalist:innen, die den kurdischen Widerstandskampf, die faschistischen Angriffe der Türkei und die Realität vor Ort in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten dokumentierten. Sie wurden am 19. Dezember von einer türkischen Drohne ermordet.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes sind die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete auf syrischem Staatsgebiet – besser bekannt als Rojava – ständigen Angriffen der türkischen Armee, sowie den durch die Türkei gestützten SNA-Milizen ausgesetzt. Diese Kämpfe werden auch von kurdischen Journalist:innen wie Cihan Bilgin und Nazim Daştan beobachtet und begleitet.
Cihan und Nazım fuhren direkt am ersten Tag der Kämpfe, dem 8. Dezember, zum Tischrin-Staudamm und zur Qereqozaq-Brücke, um die Ereignisse zu dokumentieren. Dort versuchten türkische Söldner, mit schwerer Artillerie- und Luftangriffen vorzudringen. Bis zum 19. Dezember beschrieben die Journalist:innen die Kämpfe und machten sich ein Bild von der Lage. Am 19. Dezember, auf dem Weg zurück von den Dreharbeiten, wurde ihr Auto von einem türkischen Drohnenangriff getroffen. Cihan und Nazım kamen ums Leben, ihr Fahrer wurde ebenfalls verletzt.
Nazım Daştan
Cihan Bilgin und Nazım Daştan gehörten der freien kurdischen Presse an. Wie viele andere Journalist:innen aus aller Welt fuhren sie nach Rojava, um die Ereignisse dort in Wort und Bild festzuhalten. Nazım kam bereits 2014 nach Rojava, als der Krieg gegen den IS seinen Höhepunkt erreichte. Er war bei vielen Ereignissen hautnah dabei und veröffentlichte auch direkte Informationen über die Zusammenarbeit zwischen dem IS und dem türkischen Geheimdienst. Aufgrund dessen wurde er auch von der türkischen Regierung verfolgt. 2016 wurde er wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ in der Türkei verhaftet. Trotz dieser Drohungen setzte Nazım seine Arbeit fort und spielte eine wichtige Rolle in der Berichterstattung vor Ort, so ein Kollege von ihm.
Cihan Bilgin
Cihan Bilgin kam 2017 nach Rojava. Sie arbeitete für die Nachrichtenagentur Hawar. Neben ihren Berichten zur aktuellen Lage und den Brennpunkten, an denen sie vor Ort war, legte sie einen Schwerpunkt auf die gesellschaftliche und politische Berichterstattung. Die Bewegung der Frauen in Rojava nahm eine zentrale Rolle in ihren Veröffentlichungen ein.
Zusammen mit Nazım Daştan zeigte sie möglichst realitätsnahe Aufnahmen von den Kämpfer:innen. Die YPJ-Kämpferin Zeyneb Zîlan erzählt über ihre Erfahrungen mit Cihan Bilgin und Nazım Daştan. Die Beiden berichteten auch noch dann über die Kämpfe in Tişrîn und Qereqozax, als der Feind die Gebiete bereits für erobert erklärt hatte. Cihan Bilgin und Nazım Daştan hatten dort die fortwährenden Drohnenangriffe, die Kämpfe am Boden so wie in der Luft dokumentiert.
Gezielter Angriff
Die türkische Regierung hat sich bisher nicht zu dem Vorfall geäußert. Kurdische Streitkräfte hingegen werten die Tötung als einen gezielten Angriff der türkischen Regierung, die damit das Ziel verfolge, die Berichterstattung über den Krieg einzuschränken bzw. zu unterbinden. Für Reşîd Serdar vom Militärrat von Minbic ist die Sache klar:
„Cihan und Nazım waren hier, um der Welt über die Realität des Krieges zu berichten. Sie versuchten, die Öffentlichkeit über die grausamen Angriffe der Söldner des türkischen Staates und den Widerstand der Kämpferinnen und Kämpfer zu informieren. […] Dieser Angriff erfolgte, damit die Öffentlichkeit nichts über den Widerstand und die Realität hier erfährt. Der türkische Staat und seine Söldner haben Angst davor, dass die Wahrheit hier ans Licht kommt.“
Auch Alan Meish, ein Kollege der beiden Ermordeten, sieht die Tötung in diesem Kontext. In einem Interview mit der taz berichtet er, dass seit dem Beginn der Revolution in Rojava bereits 30 Journalist:innen ermordet wurden – so die Zählung des kurdischen Senders Ronahî TV. Meish befürchtet, dass die Türkei mit diesen gezielten Angriffen auf Journalist:innen sie von ihrer Kriegsberichterstattung abhalten will und ihnen signalisiert wird: „Wenn ihr die Wahrheit ans Licht bringt, seid ihr in Gefahr.“.
Reaktionen und Proteste
Nach dem Mord an Cihan und Nazım gab es weltweit Proteste – auch in Europa wurde gegen das türkische Regime demonstriert. Der gezielte Angriff auf ein – als Presse gekennzeichnetes Fahrzeug – stelle ein Kriegsverbrechen dar, wurde auf den Protesten hervorgehoben. Es wurden Sanktionen gegen die Türkei und ein Ende der Angriffe gefordert. Bei einer Demonstration in Istanbul nahm die türkische Polizei allein 59 Protestierende fest.
Neben solidarischen Protesten reagieren vor allem journalistische Organisationen auf den Mord, so auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV): Er fordert eine Aufklärung durch die türkische Regierung, sowie die nötige Rückendeckung durch das Auswärtige Amt: „Wenn sich herausstellen sollte, dass Nazım Daştan und Cihan Bilgin gezielt ermordet wurden, weil sie journalistisch tätig waren, muss das Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zur Türkei haben“.
Dass sie eine solche Rückendeckung bekommen werden, ist anzuzweifeln. Bisher hat sich das Auswärtige Amt nicht zu dem Vorfall geäußert, und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stellte sich erst vor kurzem hinter die Türkei, als sie die Entwaffnung der kurdischen Selbstverwaltung forderte.
Baerbock fordert Entwaffnung kurdischer „Rebellen“ – Todesurteil für kurdische Selbstverwaltung