Nachdem die USA der Ukraine den Einsatz von ATACMS-Raketen gegen Ziele im russischen Kernland genehmigte, kam es wie erwartet zu einer russischen Reaktion. Die Diskussionen um einen Bodentruppen-Einsatz von europäischen Staaten heizt die Situation zusätzlich auf. Doch Selenskij zeigt sich offen für Verhandlungen.
Vor einer Woche genehmigte die US-Administration unter Präsident Biden den Einsatz von Mittelstreckenraketen des Typs ATACMS (Army TACtical Missile System) gegen Ziele im russischen Kernland. Nach dem Beschuss aus der Ukraine drohte die russische Regierung mit Vergeltung. Diese Eskalationsspirale dreht sich seit Beginn des Kriegs.
Es werden immer weitreichendere Waffen von NATO-Staaten geliefert, worauf Russland mit Angriffen bis hin zum Einsatz atomarer Sprengköpfe reagiert. Russland wiederum rückt immer weiter vor und greift die ukrainische Energieversorgung gezielt an. Darauf wiederum reagiert die Ukraine mit der Ausweitung der Angriffe auf russisches Gebiet und gezielten Drohnen-Einsätzen.
Normalisierung von Mittelstreckenraketen
Neben der Genehmigung des Einsatzes von amerikanischen ATACMS-Raketen beliefert auch Großbritannien die Ukraine mit Marschflugkörpern des Typs Storm Shadow und Frankreich die baugleichen Raketen mit der Bezeichnung Scalp.
Auch in Deutschland ist die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern schon lange in der Diskussion: von Seiten des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) wird dies kategorisch abgelehnt, von Vizekanzler und grünem Kanzlerkandidaten Robert Habeck wird es jedoch befürwortet – und auch Union und FDP stimmen zu.
Ukraine setzt erstmals ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland ein
Bei all den Debatten verschiebt sich die staatliche Propaganda weiter und zielt auf eine Normalisierung dieser Waffen ab. Es geht weniger um das „ob” der Raketenlieferung, sondern eher um das „wann” und „wie viel”.
Ausweitung der Wehrpflicht
Neben der Ausweitung und Normalisierung der Raketenlieferungen und -einsätze versucht die ukrainische Regierung Maßnahmen gegen den massiven Truppenmangel an der Front zu treffen. Aus US-Regierungskreisen hört man, dass Druck auf die Ukraine ausgeübt werde, das Alter der Wehrpflicht von 25 auf 18 Jahre herunterzusetzen – all das mit dem voraussehbaren Risiko, noch mehr junge Menschen an der Front zu verheizen und den Krieg zu verlängern.
Die Entwicklung, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Krieg mit „Menschen-Nachschub” weiter am Laufen zu halten, zeichnet sich bereits länger ab: In Deutschland wurden immer häufiger Stimmen laut, wehrpflichtige Ukrainer in die Ukraine abzuschieben, um dort den Mangel an Soldat:innen auszugleichen. Die Regierung stufte dieses Vorgehen als „zumutbar“ ein.
Maßnahmen gegen wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland „zumutbar“
Einsatz von Bodentruppen
Auch die Überlegungen, europäische Bodentruppen in den Kampfeinsatz zu schicken, sind nicht neu. Aber sie entwickeln sich sprunghaft, seit Nordkorea Truppen vor Ort auf der Seite Russlands einsetzt. Der Militär-Experte Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Bundeswehr-Universität in München, brachte diesen Plan wieder in die öffentliche Diskussion.
Er sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Wir brauchen eine Rückfalloption für den Fall, dass die USA ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen“ und nannte das eine „Koalition der Willigen“.
Auch Staatsoberhäupter wie der französische Präsident Macron zeigten sich offen gegenüber der Entsendung von Soldat:innen in die Ukraine: Zusammen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer finden anscheinend bereits Gespräche über diese Pläne statt. Laut einem Bericht der französischen Zeitung Le Monde heißt es dazu aus britischen Militärkreisen: „Zwischen Großbritannien und Frankreich finden derzeit Gespräche über eine Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich statt, insbesondere im Hinblick auf die Schaffung eines harten Kerns von Verbündeten in Europa, der sich auf die Ukraine und die allgemeinere europäische Sicherheit konzentriert.“
Auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius scheint den Plänen gegenüber nicht grundsätzlich abgeneigt.
Zeichen stehen auf Verhandlungen
Trotz – oder gerade wegen – der weiteren Eskalation zeichnet die Situation in der Ukraine der letzten Tage und Wochen immer mehr ein Bild, die einen Verhandlungsfrieden zwischen Russland und der Ukraine näher rücken lässt. Denn die Angriffe Russlands auf die ukrainische Energie- und Stromversorgung und die kritische Situation der ukrainischen Armee an der Front machen es für die Ukraine nahezu unmöglich, noch einen Kriegssieg zu erreichen.
Selbst Präsident Selenskyj forderte vor kurzem in einem Interview mit Sky News Sicherheitsgarantien der NATO für denjenigen Teil der Ukraine, der sich noch unter Kontrolle der ukrainischen Regierung befindet. Wenn die NATO diese Gebiete schütze, sei er zu Verhandlungen bereit, in denen er die von Russland besetzten Gebiete – zumindest zeitweise – abgeben könne.
Diese Aussagen sowie die Lage an der Front zeigen, wie sehr die ukrainische Regierung unter Druck steht – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des möglichen Wegfalls der US-Hilfen unter dem neuen Präsidenten Donald Trump.