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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Vertrauensfrage und Wahlkampfgetöse

Im Bundestag hat Olaf Scholz die Vertrauensfrage gestellt und erwartungsgemäß verloren. Interessanter ist, wie sich die verschiedenen Parteien für den Wahlkampf in Stellung bringen. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

Am Montag, dem 16. Dezember, hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wie zuvor mit der CDU vereinbart, die Vertrauensfrage gestellt, woraufhin das Parlament über das Ansetzen von Neuwahlen zu entscheiden hatte. Da es nach dem Zerbrechen der Ampelkoalition keine Möglichkeit mehr zum Weiterregieren für Scholz und seine Leute gibt, war das Ergebnis hier keine Überraschung. Am 23. Februar 2025 sollen nun Bundestagswahlen stattfinden.

Vor der Abstimmung aber meldeten sich noch alle Parteien im Bundestag mit teilweise mehreren Redebeiträgen zu Wort, um den Wahlkampf einzuläuten. In politischer Hinsicht sicherlich am wichtigsten waren dabei die Reden des amtierenden Kanzlers Scholz, des Vizekanzlers Robert Habeck (Grüne) und des CDU-Chefs Friedrich Merz. Denn ihre drei Parteien haben nach derzeitigem Stand die wohl realistischste Aussicht auf eine erneute Regierungsbeteiligung.

Kanzler Scholz war als Erster an der Reihe und hielt sich nicht lange mit Selbstkritik beim Auseinanderbrechen der Ampelregierung auf. Vielmehr umriss er in seiner fast 25-minütigen Rede bereits die zentralen Botschaften seines Wahlkampfs. Er wolle das Land einen, sein vollmundiger Respekt für alle hart arbeitenden Menschen und auch seine Selbstinszenierung als „Friedenskanzler“ durften natürlich nicht fehlen.

Unter anderem stellte Scholz richtig fest, dass der von seiner Regierung eingeführte Mindestlohn von 12 Euro schon längst wieder durch die massive Inflation aufgefressen wurde und warb mit dem Wahlkampfversprechen, ihn nun auf 15 Euro zu erhöhen.

Allerdings ließ er auch die traditionellen Wahlkampfthemen von CDU/CSU und AfD nicht unangetastet: unter anderem lobte er sich selbst dafür, dass er die Migration nach Deutschland eingedämmt hätte, womit offenbar die Verstärkung von Grenzkontrollen und das Hochrüsten der europäischen Außengrenzen gemeint war.

Ex-Blackrock-Manager Friedrich Merz (CDU) trat in seiner Rede natürlich vor allem auf den gescheiterten Kanzler ein. Aber auch hier lassen seine Kritikpunkte bereits erkennen, wie seine Partei in den Wahlkampf starten will: Die Aufrüstung müsse viel stärker vorangetrieben werden und die darbenden deutschen Unternehmen müssten mehr unterstützt werden.

In der für Merz typischen Art machte er den Klassenwiderspruch in einer zentralen Passage besonders deutlich: Seine Partei will den Kapitalist:innen in Deutschland Steuergeschenke machen, so dass sie noch mehr Kapital anhäufen können, aber „das muss erwirtschaftet werden“, so Merz. Und dafür müssten die Arbeiter:innen in Deutschland eben mehr und länger arbeiten.

Den gewissermaßen wohl ehrlichsten Ansatz verfolgte Robert Habeck mit seiner Rede. Der erinnerte seine Kolleg:innen nämlich gleich zu Anfang daran, dass man bei dem ganzen Wahlkampfgetöse nicht vergessen solle, dass man sich danach ja doch wieder einigen und Kompromisse schließen müsse.

Bequem ist, dass mit diesem Hinweis natürlich auch indirekt gleich angekündigt wird, dass die eigenen Wahlkampfversprechen doch nicht 1:1 eingehalten werden können.

Aber auch in einem anderen Punkt traf Habeck wohl unfreiwillig den Nagel auf den Kopf: Er verwies nämlich darauf, dass jede denkbare neue Bundesregierung mit den gleichen Konflikten und Widersprüchen zu kämpfen haben würde wie die jetzige, und sich die Widersprüche des deutschen Kapitalismus nicht durch eine Wahl auflösen lassen:
weder der Krieg und die verschärften Konflikte zwischen verschiedenen imperialistischen Ländern, noch der scharfe Konkurrenzkampf der deutschen Industrie mit der internationalen Konkurrenz und natürlich auch nicht die Unzufriedenheit vieler Wähler:innen, die längst nicht mehr an echte Veränderungen durch Wahlen glauben.

Der Vizekanzler von den Grünen spricht es offen aus: Eine Neuwahl wird die Lage nicht wesentlich verändern. Den zentralen Grund dafür aber lässt er wohlweislich außen vor: Alle Parteien im Bundestag machen letztlich Politik für die gleiche soziale Klasse, die Kapitalist:innen und wollen das auch weiterhin tun.

Paul Gerber
Paul Gerber
Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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