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Vertrauensfrage im Bundestag: Was bringen die Neuwahlen?

Nach dem spektakulären Bruch der Ampelkoalition soll die nächste Bundestagswahl schon im Februar stattfinden. Keine der zur Wahl stehenden Parteien bietet eine Perspektive aus der wirtschaftlichen und politischen Krise. Nur die Arbeiter:innenklasse als eigenständige politische Kraft könnte eine solche schaffen. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

Olaf Scholz hatte seine Mimik auf Abrechnung programmiert, als er die Rede vom Teleprompter ablas. Der 5. November diesen Jahres war ein überaus ereignisreicher Tag. Erst holten Donald Trump und die Republikanische Partei in den USA einen Erdrutschsieg — nachdem gerade die deutschen Medien Kamala Harris monatelang hochgeschrieben hatten. Die US-Wahl kam in den Tagesthemen jedoch erst nach einer guten Dreiviertelstunde dran, denn am Abend war in Berlin noch die Ampelkoalition zerbrochen.

Scholz rechnete in einer vorbereiteten Rede vor laufender Kamera mit FDP-Finanzminister Christian Lindner ab, den er kurz zuvor entlassen hatte. Als Ergebnis der Regierungskrise will Scholz am heutigen 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und diese Abstimmung verlieren, um damit Neuwahlen im Februar zu ermöglichen.

Koalitionsbruch mit Ansage

Das recht komplizierte Verfahren zum Herbeiführen einer Neuwahl hatte schon Gerhard Schröder 2005 angewandt. Damals war die Ausgangslage jedoch eine andere: Die SPD-Grünen-Regierung hatte noch eine Mehrheit, aber mehrere Landtagswahlen klar verloren. Mit der vorgezogenen Wahl suchte Schröder den Befreiungsschlag. Jetzt hingegen ist die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP zerbrochen und Olaf Scholz hat keine Mehrheit mehr. Die CDU/CSU hat klar gemacht, dass sie keinen Gesetzesvorhaben ohne schnelle Neuwahl zustimmen würde, und damit den Wahltermin schon im Februar durchgesetzt.

Das Ende der Ampel kam alles andere als überraschend. Schon seit Beginn der gemeinsamen Regierung im Herbst 2021 hatte die Dreierkonstellation vor allem durch andauernde Konflikte auf sich aufmerksam gemacht. Dabei ging es insbesondere und immer wieder um die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Regierung. Die Unternehmerpartei FDP hat die im Grundgesetz verankerte Begrenzung der deutschen Staatsverschuldung zum Glaubensprinzip erhoben. Sie steht damit auf der Seite der exportorientierten Industriezweige, die mit der Schuldenbremse vor allem die Währungsstabilität im Sinn haben.

Gegenspieler des Finanzministers in der Regierung war vor allem Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen, der die Schuldenbremse aufweichen will, um damit kreditfinanzierte staatliche Investitionen zu tätigen. Diese sollen vor allem in die Rüstung, die Transformation hin zu erneuerbaren Energien und in die Sanierung der Infrastruktur gehen. Habecks Position wird heute auch von einer Mehrheit des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („fünf Wirtschaftsweise“) geteilt.

 Die zunehmende Unvereinbarkeit dieser Positionen äußerte sich in den letzten Wochen dann darin, dass Kanzler, Wirtschafts- und Finanzminister nahezu parallel verschiedene Wirtschaftsgipfel abhielten, um sich Unterstützung bei ihren jeweiligen Zielgruppen einzuholen. Eine Woche vor dem Ampel-Aus legte Lindner dann ein Positionspapier vor, in dem er eine Kehrtwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik forderte. Damit war ziemlich klar, dass es auf ein Ende der Koalition hinauslaufen würde — die FDP hatte genau dieses Vorgehen schon 1982 bei der Beendigung einer Koalition mit der SPD gewählt.

Politische Krise – Krise des deutschen Imperialismus

Beim Bruch der Ampelkoalition geht es weniger um die Personen Scholz, Habeck oder Lindner, sondern um die Frage, welche Strategie der Staat auf die derzeitige Krise in Deutschland entwickelt. Die Regierungskrise ist Ausdruck einer Krise des deutschen Imperialismus. Dessen bisherige geopolitische Ausrichtung, sich als westliche Macht militärisch an den US-Imperialismus anzulehnen und gleichzeitig als Handels- und Exportmacht gute politische und Geschäftsbeziehungen mit Russland und China zu unterhalten, gerät immer mehr unter Druck.

Politisch hat nicht nur Donald Trump in den USA die deutsche Zweigleisigkeit ins Visier genommen. Er macht es aber am deutlichsten und wird diesen Kurs in seiner zweiten Amtszeit fortsetzen. Vor allem aber hat der Überfall Russlands auf die Ukraine die bisherige deutsche Strategie über den Haufen geworfen. Deutlichster Ausdruck davon war die Energiepolitik: Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg basierte jahrzehntelang unter anderem auf dem Import von billigem russischen Gas. Mit Gerhard Schröder wurde sogar ein ehemaliger Kanzler Gas-Lobbyist bei russischen Firmen. Mit Kriegsbeginn war dieses Geschäftsmodell tot: Die Nord Stream-Gaspipelines wurden im September 2022 durch Sprengstoffanschläge zerstört.

Die Ampelkoalition hatte es nach Kriegsausbruch zwar geschafft, mit einem Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr und der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der Ukraine einen neuen Kurs einzuschlagen und wieder Tritt zu fassen. Viele Fragen blieben jedoch ungeklärt: Das Ausmaß der Waffenlieferungen an die Ukraine war ein ständiger Streitpunkt vor allem zwischen Hardlinern bei FDP und Grünen und dem linken Flügel der SPD-Bundestagsfraktion, die sich auch einer entschiedeneren Rüstungspolitik immer wieder entgegenstellte. Dasselbe betrifft die Frage möglicher Verhandlungen mit Russland.

Vor allem aber konnte die Ampel die Handhabung der anhaltenden Wirtschaftskrise aufgrund der unvereinbaren wirtschaftspolitischen Positionen nicht gemeinsam klären. Die deutsche Wirtschaft stagniert seit Jahren, die Industrieproduktion liegt noch immer weit unter ihrem letzten Höchstwert von November 2017. Das Zusammenwirken von zyklischer Krise, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg hat dem deutschen Erfolgsmodell über Jahre zugesetzt. Und die Regierung konnte sich nicht einig werden, ob sie mit einem staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds (Habeck) darauf antwortet oder mit einer klassischen Austeritätspolitik (Lindner), die auf weniger Staatsausgaben und die Deregulierung der Unternehmen setzt.

Keine befriedigende Antwort in Sicht

Die Bundestagswahl wird nun vor allem darüber entscheiden, welchen der skizzierten Wege die neue Regierung in den nächsten Jahren gehen wird: Kommt es unter einer Union-FDP-Regierung mit Friedrich Merz als Kanzler zu Sparpolitik, mehr Aufrüstung und mehr Waffenlieferungen an die Ukraine? Kommt es mit Beteiligung von SPD und/oder Grünen zu mehr Staatsverschuldung? Oder werden AfD, „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) und die russlandfreundlichen Teile von SPD und Union stark genug, um eine Wiederannäherung an Moskau durchzusetzen?

In jedem Fall dreht sich die Auseinandersetzung zwischen den genannten Kräften um nicht mehr und nicht weniger als die richtige imperialistische Strategie für Deutschland. Alle Parteien sind sich darüber einig, dass Deutschland die Führungsmacht in Europa darstellen soll, um auf dieser Grundlage im Konkurrenzkampf mit den USA und China nicht unterzugehen. Die Debatte dreht sich nur um das „Wie”: Mehr oder weniger EU, mehr oder weniger Verschuldung, mehr oder weniger auf das Militär setzen?

Damit ist auch klar, dass keine der zur Wahl stehenden Parteien mit Aussicht auf Bundestagssitze die Interessen der Arbeiter:innenklasse vertritt. Denn diese wird in jedem Szenario für die Krisenbewältigung zur Kasse gebeten: Ob nun durch Streichungen von Sozialausgaben oder durch Staatskredite, die mit den Arbeiter:innenlöhnen von morgen bezahlt werden – von Aufrüstung und Militarisierung ganz zu schweigen.

Auch die Parteien, die sich heute als entschlossene Opposition darstellen, wie etwa die AfD oder das BSW, unterscheiden sich hier nicht: Die AfD steht für einen arbeiter:innenfeindlichen gesellschaftlichen Rechtsruck und wird das Kapital nicht weniger mit Geschenken beglücken als Trump in den USA oder Union und FDP in Deutschland. Das BSW wiederum zielt mit seiner spalterischen und migrationsfeindlichen Linie darauf ab, das sozialdemokratische Lager in Deutschland insgesamt nach rechts zu ziehen. Mit anderen Worten: In der Klassengesellschaft vertreten all diese Parteien Positionen der herrschenden Kapitalist:innenklasse.

Sozialismus statt imperialistischer Neuausrichtung

Einen Ausweg aus der politischen Krise kann es aus Arbeiter:innensicht nur geben, wenn die Krise des deutschen Imperialismus grundlegend ins Visier genommen wird. Das geht aber nur durch die Überwindung des Imperialismus und die Beseitigung der kapitalistischen Ordnung zugunsten einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Arbeiter:innenklasse die politische Macht selbst in den Händen hält. Dafür muss sie sich zunächst einmal selbst als politische Kraft organisieren, anstatt aufgesplittert der einen oder anderen bürgerlichen Partei hinterher zu laufen, sich aus der Politik herauszuhalten oder der AfD eine „Denkzettelstimme“ zu geben.

Eine sozialistische Gesellschaft steht bei dieser Bundestagswahl nicht auf dem Wahlzettel und kann auch nicht auf diesem Wege erreicht werden. Dafür benötigt es vielmehr eine Revolution und die Errichtung einer demokratischen Ordnung auf der Grundlage von Räten, in der die arbeitende Bevölkerung in breiter Masse selbst organisiert ist und eigenständig die Staatsgewalt ausübt. Im ersten Schritt muss sie hierbei die großen Konzerne und kapitalistischen Unternehmen enteignen und in Staatseigentum überführen, um auf dieser Grundlage nach und nach alle gesellschaftlichen Bereiche zu revolutionieren und die Klassenunterschiede abzuschaffen. Eine wirklich konsequente Antwort auf die politische Krise kann nur hierin bestehen.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 93 vom Dezember 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Thomas Stark
Thomas Stark
Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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