Studierende weltweit fordern schon seit Jahren von ihren Unis ein Ende der Kollaboration mit israelischen Forschungseinrichtungen, Unis und Hochschulen – so auch in Deutschland. Dieses Jahr haben sich diese Forderungen noch einmal verstärkt. Doch was steckt dahinter? – Ein Kommentar von Thomas Mercy.
Anfang Oktober vergangenen Jahres erreichte die bereits 76 Jahre anhaltende Besatzung und Vertreibung der Palästinenser:innen durch den israelischen Staat einen neue Stufe: Seit über einem Jahr wird ein offener Völkermord begangen. Die Todeszahlen werden bis auf 200.000 Opfer geschätzt.
Im Zuge dessen sind auch die palästina-solidarischen und israel-kritischen Stimmen immer lauter geworden. Das gilt besonders für Studierende, die sich historisch schon immer stark gegen Krieg einsetzten, wie zum Beispiel in der 68er-Bewegung gegen den Krieg in Vietnam.
Anfang bis Mitte diesen Jahres brach eine riesige globale Protestwelle an Universitäten los, die u.a. aus Protestcamps und Besetzungen bestand. Schon bei dem ersten palästina-solidarischen Camp an der US-amerikanischen Columbia Universität war eine der zentralen Forderungen die Beendung jeglicher Kooperation mit israelischen Universitäten. Diese Forderungen sind auch in Deutschland weit verbreitet, wie zum Beispiel bei den Palästina-Camps an den Universitäten in Leipzig, Berlin oder Freiburg.
Schon seit 2005, als die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) ins Leben gerufen wurde, war der Boykott israelischer Unis ein Thema. Im Jahr 2022 gelang es Studierenden in London tatsächlich, zwei Universitäten dazu zu bringen, ihre Austauschprogramme mit israelischen Hochschulen zu stoppen.
Wieso gibt es diese Forderung?
Ein Kritikpunkt an vielen israelischen Universitäten bezieht sich auf ihre Entstehungsgeschichte: Nicht wenige sind auf besetztem Gebiet aufgebaut und tragen somit direkt zur Vertreibung der Palästinenser:innen und Aufrechterhaltung der Apartheid bei.
Die israelische Ariel Universität wurde zum Beispiel auf einem besetzten Gebiet im Westjordanland gebaut. Die Tel Aviv Universität entstand auf einem ehemaligen palästinensischen Dorf, das dafür ethnisch gesäubert wurde. Auch die in Jerusalem angesiedelte Hebrew Universität befindet sich teilweise auf besetztem Gebiet in Ostjerusalem.
Zudem arbeitet die Hebrew Universität sehr eng mit der israelischen Polizei und dem Militär zusammen: So benutzte die Universität die Polizei, um den Südeingang zu der Nachbarschaft Issawiyah, in der viele Studierende und Mitarbeitende leben, dicht zu machen und die Nachbarschaft zu patrouillieren, wobei es oft zur Diskriminierung gegenüber Palästinenser:innen kam. Auf dem Campus gibt es außerdem eine Basis des israelischen Militärs, und Studierende, die Militärdienst geleistet haben, genießen erhebliche Vorteile wie z.B. kostenlose Unterkünfte.
Ideologische Unterstützung des Genozids
Doch nicht nur die Existenz auf besetztem Gebiet und die Unterstützung des Militärs werden kritisiert: Israelische Universitäten unterdrücken oft palästinensische Studierende oder solche, die sich solidarisch mit dem palästinensischen Volk zeigen. Auch jegliche Kritik am Zionismus wird nicht zugelassen. Angestellte und Studierende kommen auf eine „schwarze Liste”, wenn sie zu kritisch werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die israelische Professorin Nadera Shalhoub-Kevorkian, die erst dieses Jahr für eine Zeit lang von der Hebrew University suspendiert wurde, nachdem sie in einem Podcast den Zionismus kritisiert hatte.
Ein weiteres Beispiel ist die Androhung einer zweiten „Nakba“, also einer Wiederholung der ursprünglichen Vertreibung von 700.00 Palästinenser:innen. Ein israelischer Politiker hatte sie ausgesprochen, sollten Studierende Palästina-Flaggen an israelischen Unis zeigen. Israelische Universitäten sind also zum einen in Teilen auf illegal besetztem Gebiet gebaut, zum anderen unterstützen sie materiell den israelischen Militärapparat und legitimieren den Genozid auf einer ideologischen Ebene.
Die Rolle deutscher Universitäten
Auch viele Universitäten in Deutschland, England, der USA und anderen Ländern haben Partnerschaftsprogramme mit israelischen Universitäten, wie zum Beispiel der Hebrew Universität. Bei den Austauschen wohnen Studierende dann in Wohnhäusern, die auf besetztem Gebiet gebaut sind. Menschen, die sich für einen Boykott Israels oder sonstwie gegen diesen Staat aussprechen, dürfen gar nicht erst einreisen.
Darüber hinaus werden viele Universitäten in Europa und den USA von Unternehmen und Banken finanziert, die in enger Kooperation mit dem israelischen Militär und israelischen Unternehmen auf besetztem Land stehen.
Deutsche Universitäten zeigen ihre Komplizenschaft bei diesem Genozid jedoch nicht nur mit der Aufrechterhaltung solcher Kooperationen, sondern haben in den letzten Monaten auch immer wieder gewaltsam Proteste von der Polizei niederschlagen lassen und palästina-solidarische Stimmen unterdrückt.
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Deren Forderungen gelten jedoch nicht nur den Israelischen Universitäten: 2019 wurde zum Beispiel bereits die Humboldt-Universität in Berlin besetzt. Es wurde zu einem akademischen Boykott regimetreuer türkischer Universitäten aufgerufen – als Reaktion auf die türkische Invasion in Nordostsyrien und der heuchlerischen Reaktion der Bundesregierung darauf. Wie aktuell auch diese Thematik ist, zeigt die gerade stattfindende erneute Invasion in Syrien durch von der Türkei unterstützte HTS-Milizen.
Was ist von diesen Forderungen zu halten?
Natürlich ist es begrüßenswert, dass Studierende protestieren und sich gegen den Genozid in Gaza einsetzten. Die Fokussierung auf ihre Hochschulen und Universitäten, an die sie ihre Forderungen richten, wie auch die fast ausschließliche Konzentration auf Palästina zeichnen jedoch gleichzeitig eine Schwäche in der Bewegung auf.
Denn: Unis fungieren auch als Denkfabriken des Imperialismus, um zum Beispiel die Mittäterschaft Deutschlands an dem Genozid in Gaza oder an den Angriffen auf Kurd:innen und die immer stärker voranschreitende Militarisierung zu vertuschen oder zu rechtfertigen. Deswegen ist es durchaus besonders wichtig, auch dort einen Kampf zu führen.
Dabei dürfen wir aber nicht bei Forderungen wie dem Ende der akademischen Kooperation oder der Solidarisierung mit dem palästinensischen Volk stehen bleiben. Wir müssen den Imperialismus als Unterstützer und Befeurer von Genoziden und Kriegen weltweit entlarven, die Rolle der Universitäten aufdecken und ihn in seiner Ganzheit bekämpfen – und das immer und überall!