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Was die amtliche Statistik zur Lohnentwicklung vertuscht

Das Statistische Bundesamt preist einen Anstieg der Nominallöhne in Deutschland an. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich jedoch, dass die Statistik mehr verheimlicht, als sie preisgibt. – Ein Kommentar von Hasan Erkut.

Das Statistische Bundesamt vermeldet den Arbeiter:innen in Deutschland hoffnungsvolle kommende Zeiten: „Nominallöhne steigen im 3. Quartal 2024 um 4,9 Prozent zum Vorjahresquartal“ und „Nominallöhne von Geringverdienenden steigen weiterhin prozentual am stärksten“.

Das scheint doch irgendwie eine gute Nachricht der Statistiker:innen für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in diesem Lande zu sein. Zumal ja noch am 23. Februar die Neuwahl des Bundestags ansteht und sich die Parteien sicher über solch positive „Wahlkampfhilfe“ freuen, um die Bevölkerung an die Wahlurnen zu karren.

DGB: Kaufkraftverlust nur zur Hälfte aufgeholt

Doch trübt sich die Freude der meisten Menschen in Deutschland, die eben auf Lohn oder Gehalt angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wenn diese regierungsoffiziellen Zahlen etwas genauer betrachtet werden – etwa von den Tarif-Expert:innen der DGB-Gewerkschaften: Die kommen nämlich zu dem Ergebnis, dass die gestiegenen Tariflöhne den Kaufkraftverlust der letzten Jahre erst zur Hälfte aufgeholt haben.

Wirtschaftskrise: Stagnierender Konsum und sinkende Reallöhne

Trotz eines deutlichen Lohnanstiegs im laufenden Jahr – gemeint sind die Nominallöhne –, den das statistische Bundesamt feststellt, wurden für die Tarifbeschäftigten in Deutschland ihre Kaufkraftverluste aus der hohen Inflation noch längst nicht wettgemacht: Die Reallöhne befänden sich auf dem Niveau des Jahres 2018, wie das WSI-Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung errechnet hat. Die Kaufkraftverluste aus den Jahren 2021 bis 2023 seien damit nur etwa zur Hälfte kompensiert, stellen die Ökonom:innen der DGB-Gewerkschaften fest.

Die nominalen Löhne dürften tatsächlich auf dem Papier jedoch noch wesentlich schlechter ausfallen, da die DGB-Wirtschaftswissenschaftler:innen nur die Entwicklung der (höheren) Tariflöhne untersucht haben. Aber die Tarifbindung in der BRD sieht so aus, dass in den kleinen Betrieben (mit 10 bis 20 Arbeiter:innen) nur maximal 31 Prozent durch einen Branchentarifvertrag abgedeckt sind. Dieser Anteil wächst proportional mit der Unternehmensgröße: in Betrieben mit mehr als 200 Arbeiter:innen arbeiten doppelt so viele unter Tarifbedingungen – nämlich 62 Prozent.

Nominal- und Reallöhne

Der „Nominallohn” ist der Geldbetrag, den der:die Arbeiter:in für die geleistete Arbeit bekommt. Er vermittelt daher keine richtige Vorstellung vom tatsächlichen Lohnniveau der Arbeiter:innen. So bleibt z.B. der Nominallohn unverändert oder steigt sogar, wenn gleichzeitig die Preise für Bedarfsgüter, Lebensmittel sowie Lebenshaltungskosten und etwa die Steuern steigen. Dann verringert sich aber in Wirklichkeit der Gegenwert des Lohns.

Der „Reallohn” ist der in Existenzmitteln der Arbeiter:innen ausgedrückte Lohn. Er zeigt, welche Gebrauchsgüter und Dienstleistungen die Arbeiter:innen für ihren Geldlohn kaufen können. Bei der Ermittlung des Reallohns sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: die Höhe des Nominallohns, das Niveau der Preise für Gebrauchsgüter, die Höhe der Miete, die Bürde der von den Arbeiter:innen aufzubringenden Steuern, die Länge des Arbeitstags, der Grad der Arbeitsintensität, der Lohnausfall bei Kurzarbeit und schließlich auch die Anzahl der Erwerbslosen und Kurzarbeiter:innen, die auf Kosten der Arbeiter:innenklasse unterhalten werden.

In Anbetracht des niedrigen Niveaus des Arbeitslohns, der systematischen Erhöhung der Lebenshaltungskosten und des Anwachsens der Erwerbslosigkeit sichert der reale Arbeitslohn im Kapitalismus der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse meist nicht einmal das Existenzminimum.

Die miese Leistung der Konzernmanager:innen lohnt sich

Ganz anders sieht es für die Helfershelfer der Kapitalist:innen aus: Denn trotz anhaltender Rezession, sinkenden Reallöhnen für die Arbeiter:innen und steigender Armut kletterten die „Gehälter“ der Dax-Konzernmanager:innen auf ungeahnte Rekordwerte. Die leitenden Angestellten des deutschen Kapitals strichen 2023 so viel Geld ein, wie nie zuvor.

Wie die Beratungsfirma EY in Stuttgart mitteilte, stiegen die Vergütungen in den im deutschen Aktienindex Dax (40 Großkonzerne), im MDax (50 mittelgroße Unternehmen) und SDax (70 kleinere Firmen) notierten Unternehmen um 11 Prozent auf im Schnitt 2,65 Millionen Euro Jahresgehalt. Die Vergütung von Firmenchefinnen und -chefs stieg demnach sogar um 16 Prozent auf im Schnitt 3,7 Millionen Euro.

Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie: IG-Metall organisiert Reallohnverluste

Eine herausragende Leistung kann das leitende Personal daher vor allem bei der Vergrößerung der Einkommensungleichheit und der Zunahme von Armut vorweisen. Im November hatten die DGB-Ökonom:innen der Hans-Böckler-Stiftung dargelegt, dass es in der Bundesrepublik in den späten 90er und den frühen 2000er Jahren einen auch im internationalen Vergleich deutlichen Zuwachs der Einkommensungleichheit gegeben hat. Nach einer Stagnationsphase setzte sich die Umverteilung von unten nach oben demnach seit 2010 wieder fort und die Armutsquote sei „spürbar“ angestiegen auf 17,8 Prozent im Jahr 2021 – also sogar noch vor der rasanten Inflation.

Diese Faktoren verfälschen noch zusätzlich die Statistik über die angeblich steigenden „Nominal“-Löhne. Denn in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre (VWL) werden diese extrem gestiegenen Gehälter der Chef:innen und Manager:innen zur gesamten Lohnsumme hinzugezählt, da sie in der Logik der VWL gleichermaßen als sogenannte „unselbständige Arbeit“ gelten.

Reallöhne der Arbeiter:innen besonders belastet

Genauso betrifft die Arbeiter:innen die Preisexplosion bei Miete, Energie, Lebensmitteln etc. in besonderem Maße, weil sie einen deutlich größeren Anteil an ihrem Arbeitslohn ausmachen. Hinzu kommt, dass in genau diesen Bereichen auch die Teuerungen in den vergangenen Jahren am stärksten waren: Zwischen 2020 und 2024 sind unter anderem die Preise von günstigeren Lebensmitteln – also beispielsweise den Eigenmarken der Supermärkte und Discounter – um fast 30 Prozent gestiegen.

Von daher sind auch die prozentual am stärksten wachsenden Nominallöhne der Geringverdienenden futsch – einerseits, weil diese ohnehin am niedrigsten sind und so die Ausgangsbasis der Berechnung niedriger ist und andererseits, weil der gesamte Lohn für die Grundbedürfnisse von Wohnen, Heizen und Essen drauf geht.

Hasan Erkut
Hasan Erkut
Perspektive Autor seit 2024. Erwerbsloser Arbeiter aus Franken. Schwerpunkte sind Ökonomie, Faschisierung und die Kriegsfrage.

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