Anfang des Jahres war es in aller Munde: Das „Superstreikjahr“ 2024. Von den Gewerkschaften angekündigt, von den Konzernen befürchtet und von den Arbeiter:innen dringend benötigt. War 2024 ein streikreiches Jahr? Was haben die Streiks bewirkt? Wie geht es weiter? – Ein Rückblick auf die vergangenen Arbeitskämpfe in Deutschland und eine Einordnung von Eric Hausmann.
Ende letzten Jahres noch knickte die Gewerkschaft ver.di in der Tarifrunde der Länder nach ein paar wenigen Warnstreiks ein und versuchte nicht einmal, konsequent für ihre Forderungen zu streiken. Anfang 2024 brachte dann einen frischen Wind in die eher ritualisierte Streikkultur in Deutschland.
Wie man seine Macht demonstrieren kann, zeigten im Januar eindrucksvoll die Landwirt:innen, die mit ihren Traktoren ganz Deutschland lahmlegten. Auch wenn ihre Forderungen von denen der landwirtschaftlichen Großbetriebe bestimmt wurden und sich auch rechte und faschistische Kräfte unter die Bewegung mischten, bleiben die Aktionen als Beispiel entschlossenen Protests im Gedächtnis.
Auch aus dem linksliberalen politischen Lager gab es Anfang des Jahres neue vielversprechende Ansätze: Die Tarifrunde im Öffentlichen Nahverkehr wurde unter dem Motto „Wir fahren zusammen“ gemeinsam von ver.di mit Fridays for Future (FFF) organisiert. Auf dem Papier ist die Verbindung von den Kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und Umweltschutz natürlich goldrichtig. In der Praxis scheiterte die Bewegung dann jedoch vorhersehbar am sozialpartnerschaftlichen Kurs von ver.di und den reformistischen Forderungen von FFF, die nicht den Kapitalismus als Hauptursache von schlechten Arbeitsbedingungen und Klimakrise benennen wollten.
Dass Streiks weh tun können und sollen, hatten kurz zuvor die Beschäftigten der Deutschen Bahn gezeigt: Über mehrere Tage hinweg standen die Züge still. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wurde von Politik und Medien beinahe zum Staatsfeind erklärt, und die Wut der arbeitenden Bevölkerung wurde auf die Beschäftigten bei der Bahn gelenkt, anstatt auf die Bahnvorstände, die nicht bereit waren, ihre Boni und Gewinne zu schmälern.
Stark angefangen, stark nachgelassen
So turbulent, wie das Jahr begonnen hatte, so ernüchternd ging es dann jedoch weiter: Während die Politiker:innen aller politischen Lager sich mit Vorschlägen überboten, wie man das Streikrecht am besten einschränken könne, um Kämpfe wie bei der Deutschen Bahn zu verhindern, gingen die Gewerkschaften in die Defensive. Im Juni verhinderte die IG Bau bewusst Streiks im Bauhauptgewerbe und verhandelte einen satten Reallohnverlust. Nur in Duisburg nahmen sich die Beschäftigten trotzdem selbstbestimmt die Straße.
Auch die IG Bergbau, Chemie, Energie organisierte reale Lohnverluste. Ebenso kam es im Einzelhandel nach über einem Jahr zäher Verhandlungen und Streiks mit sehr geringer Beteiligung zum nächsten schwachen Ergebnis. Unterdessen wurden die Kriege und Massaker gegen Arbeiter:innen in Palästina, Kurdistan und an vielen weiteren Kriegsschauplätzen in aller Welt tatenlos hingenommen. Während in Italien oder Griechenland Waffenlieferungen von Internationalist:innen blockiert wurden, blieb Deutschland ein zuverlässiger, konfliktfreier Standort für die Rüstungsindustrie.
Immer mehr Angriffe der Kapitalist:innen
In der zweiten Jahreshälfte begann dann das Kapital eine Reihe von Angriffen gegen die Arbeiter:innenklasse, die immer noch in vollem Gange sind. Vor allem die großen Monopole der deutschen Schlüsselindustrien gingen vor dem Hintergrund der andauernden Krise gegen ihre Beschäftigten vor: Stellenabbau und Werksschließungen wurden in der Automobilbranche und der gesamten Metall- und Elektroindustrie auf die Tagesordnung gesetzt. Betroffen sind so gut wie alle namhaften Unternehmen von VW, Bosch, Mercedes und ZF über Thyssen-Krupp bis hin zu Siemens.
Auch im Einzelhandel bahnte sich die Krise ihren Weg und erfasste unter anderem Galeria-Kaufhof/Karstadt und Depot. Spätestens jetzt wäre es dringend notwendig gewesen, die Arbeiter:innen in Deutschland in Stellung zu bringen, um gegen die Lohnkürzungen und die Entlassungen zu kämpfen. Aber selbst zu dem Zeitpunkt, als sich in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie sogar der legale Rahmen öffnete, um konsequente Streiks durchzuführen, machte die IG Metall keine Anstalten, in einen unbefristeten Streik zu treten.
Nach ein paar wenigen Warnstreikaktionen wurde – wie schon die Jahre zuvor – ein Reallohnverlust abgeschlossen. Ungewiss bleibt, was gegen die angedrohten Entlassungen und Schließungen unternommen werden soll. Die Belegschaften bei VW und Thyssen-Krupp haben mit spontanen Aktionen gezeigt, dass sie nichts von den Plänen der Kapitalist:innen halten, aber ihnen fehlt eine Gewerkschaft, die bereit wäre, sich tatsächlich konsequent für ihre Interessen einzusetzen.
Auf ein wirkliches Superstreikjahr!
Die Ankündigungen oder Befürchtungen eines Superstreikjahres blieben also Schall und Rauch. Die bittere Realität Ende 2024 sind sinkende Reallöhne und drohende Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig weiter steigenden Preisen und Konzerngewinnen. Wenn sich die Arbeiter:innen gegen diese Realität wehren wollen, dann müssen sie das neue Jahr 2025 zu einem Superstreikjahr machen. Hierbei gilt es, nicht nur im engen Rahmen der „Sozialpartnerschaft” und der Tarifrunden aktiv zu werden, sondern darüber hinaus jeden Spielraum auszunutzen, um den Angriffen der Kapitalist:innen etwas entgegenzusetzen.
Wenn die IG Metall nicht für den Erhalt der Arbeitsplätze streiken will, dann müssen die Arbeiter:innen eben selbst Wege finden, um ihre Interessen durchzusetzen. Vor 20 Jahren haben die Beschäftigten bei Opel in Bochum vorgemacht, wie man selbstbestimmt gegen eine Werksschließung kämpfen kann. Dieser Kampf hat jedoch auch gezeigt, wie wichtig es ist, dauerhaft eigenständige Strukturen aufzubauen, die sich nicht von den Kapitalist:innen oder der Gewerkschaftsführung um den Finger wickeln lassen.
In der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst könnte es ab Januar losgehen. Hier geht es nicht nur darum, Löhne zu erkämpfen, die nicht sofort von der Inflation aufgefressen werden, sondern auch gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in einem kaputt gesparten öffentlichen Sektor zu streiken. Die Ampelregierung hat bereits massive Kürzungen durchgesetzt, und auch eine neue Regierung unter CDU-Führung wird diesen Kurs weiter verfolgen.
Auch die faschistische Hetze der AfD, welche die Migrant:innen für die Sparmaßnahmen verantwortlich macht, ist nicht die Lösung. Das Versagen des Kapitalismus und das Profitstreben der Konzerne wird dadurch nur hinter Rassismus und Sozialchauvinismus verborgen. Genau hier muss eine Arbeiter:innenbewegung ansetzen. Denn solange sie durch Rassismus, Nationalismus und das Patriarchat gespalten wird, können die Arbeiter:innen ihre Kraft nicht entfalten. Ihre Stärke ist es, sich gemeinsam für ihre Interessen einzusetzen.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 93 vom Dezember 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.