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Zeitung für Solidarität und Widerstand

WM in Katar 2.0

Zwölf Jahre nach der sportlichen Farce in Katar soll wieder eine Fußballweltmeisterschaft in einem absolutistischen Golfstaat stattfinden. Die Parallelen zu der WM 2022 sind hierbei mehr als offensichtlich. – Ein Kommentar von Vinzent Kassel.

Rund zwei Jahre nach der von der ARD treffend titulierten „WM der Schande“ in Katar, wird am 11. Dezember 2024 über die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2030 und 2034 im Paket abgestimmt. Wobei „abgestimmt“ hierbei schon sehr euphemistisch anmutet. Denn die Auswahlmöglichkeiten sind sehr begrenzt: Exakt eine Bewerbung gibt es pro WM. Ein Vorgang, der vielleicht bei der Wahl des Kassenwartes eines Dorfvereins normal scheinen mag, allerdings nicht für die Austragung einer der größten Sportveranstaltungen. Während für 2030 ein Konglomerat bestehend aus Spanien, Portugal, Marokko, Argentinien, Uruguay und Paraguay antritt, steht vier Jahre später Saudi-Arabien bereit.

Nach der kontroversesten WM aller Zeiten in Katar lernt die FIFA ( Fédération Internationale de Football Association, deutsch: Internationaler Verband des Association Football) absolut nichts dazu und stürzt sich zwölf Jahre später erneut in dasselbe Schlamassel. Es scheint so, als wären die zahllosen Investigativ-Recherchen von ARD bis ZDF, die Aktionen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty bis hin zu den teilnehmenden Nationalmannschaften oder die kritischen Stellungnahmen von Fans ebenso wie von Funktionären komplett irrelevant gewesen. Doch die FIFA macht dies natürlich nicht ohne Grund: Das Streben nach immer mehr Kapital ist nicht erst seit Beginn der Amtszeit von Präsident Gianni Infantino in der FIFA verankert. Sobald die Kasse stimmt, sind alle schwungvollen Reden von Menschenrechten vergessen, und es wird alles versucht, um den Auftraggeber zufrieden zu stellen. Dafür war der Ölstaat Katar der richtige Ansprechpartner und so wird es mit Saudi-Arabien wieder sein. Wie schamlos durchschaubar Gianni Infantino dabei agiert, verdeutlicht nur noch einmal die unverfrorene Alleinmachtstellung des Verbandes.

Aus Anti-Katar muss Antikapitalismus werden!

Nicht einmal ihre eigenen Regularien sind der FIFA heilig

Eigentlich wäre eine Abstimmung wie die am 11. Dezember laut den Statuten der FIFA gar nicht möglich: Nach dem Korruptionsskandal 2015 sollte durch die Regelung nur noch eine Weltmeisterschaft je FIFA-Kongress vergeben werden. Dadurch sollten Absprachen im Vorfeld verhindert und somit ein fairer Konkurrenzkampf zwischen den Bewerbern gesichert werden. Doch der FIFA-Rat (bestehend aus 37 internationalen Fußballfunktionären u.a. DFB-Präsident Bernd Neuendorf) kippte im Frühling 2024 die damalige Entscheidung und wurde vom FIFA-Kongress (bestehend aus allen Mitgliedsverbänden) dann noch bestätigt.

Der Weg war somit frei für die erneute Doppelabstimmung. Nun musste nur noch dafür gesorgt werden, dass Saudi-Arabien keinen Gegenkandidaten zu befürchten hat. Dafür bediente sich Infantino eines Tricks: Es ist die normale Handhabe bei der Vergabe der WM, dass sich ein Kontinentalverband nicht auf die darauffolgende Weltmeisterschaft bewirbt, um zu gewährleisten, dass die WM beispielsweise nicht immer in Europa stattfindet. Da die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko abgehalten wird, stand der CONCACAF (also der nord- und mittelamerikanische Fußballverband) für die WM 2030 nicht zur Verfügung. Da die drei mit Abstand wichtigsten Mitgliedsstaaten Ausrichter der WM 2026 sind, galt es von vornherein als sehr wahrscheinlich, dass sie sich nicht auf eine WM acht Jahre danach wieder bewerben würden.

Für die WM 2030 bewarben sich Spanien, Portugal und Marokko (also der europäischen UEFA und dem afrikanischen CAF angehörige Länder) sowie Argentinien, Paraguay und Uruguay (aus dem südamerikanischen COMMEBOL). Nun folgte ein wahrer Coup des Präsidenten: Er überzeugte die südamerikanischen Bewerber, sich der europäisch/afrikanischen Bewerbung anzuschließen und verkaufte das Ganze als Akt der Völkerverständigung. Die drei südamerikanischen Verbände ließen sich dabei mit je einem Spiel abspeisen. Wer aufmerksam mitgezählt hat, kommt zu dem Ergebnis, dass für 2034 nur noch zwei Kontinentalverbände Chancen auf die Ausrichtung gehabt hättten: Der kleine ozeanische Verband OFC oder eben der asiatische AFC. Da eine Weltmeisterschaft in Ozeanien für die meisten nur schwer vorstellbar ist und es auch keinerlei Interessenbekundung eines OFC-Verbands gab, wurde schnell deutlich, dass die WM 2034 in Asien stattfinden wird. Dort hatte Saudi-Arabien bereits Vorarbeit geleistet, sodass die AFC geschlossen hinter ihm stand.

Bin Salmans große Vision 2030?

Die Fußballweltmeisterschaft 2034 ist nur ein kleines Mosaikstück in Kronprinz Mohammed Bin Salmans („MBS”) großer Vision 2030. Dahinter steckt der Plan, Saudi-Arabien von der Abhängigkeit des schwindenden Öls zu lösen. Mit Hilfe von diversen Reformen und Großprojekten möchte MBS Saudi-Arabien in einen gemäßigt islamischen modernen Staat verwandeln, der wirtschaftlich stark und touristisch attraktiv wirken soll. Das plakativste Beispiel hierfür ist seine geplante High-Tech Stadt Neom. Diese soll in der Wüste errichtet werden und unter anderem aus einem Seehafen, einem Ferien-Resort sowie einem Skigebiet bestehen. Außerdem sollte mit „The Line“ eine 170 km lange Bandstadt entstehen, in der es keine Straßen, sondern nur eine Highspeed-U-Bahn geben soll. Dieses futuristische Vorhaben wurden bereits auf 2,4 km verringert, was den Phantasten MBS aber nicht ausbremst.

Mittelalterliches Königshaus will Science Fiction-Stadt bauen

Neben diesen Mammutprojekten will Bin Salman mithilfe von Sport Saudi-Arabien bekannt machen. „Sportswashing” ist hierbei der passende Überbegriff. Durch Sportevents soll eben von anderen Miseren des Staates abgelenkt werden – und das klappt auch ganz gut. Durch den Kauf von absoluten Fußballtopstars wie Cristiano Ronaldo, Neymar oder Karim Benzema hat die saudische Liga nicht nur mehr mediale Aufmerksamkeit erlangt, außerdem sind die saudischen Vereinstrikots der Fußballlegenden auf vielen Bolzplätzen der Welt präsent. Eine Fußballweltmeisterschaft oder auch die angestrebte Austragung der olympischen Spiele würden diesen Effekt noch einmal deutlich vergrößern.

Auch gesellschaftlich hat der Kronprinz begonnen, Saudi-Arabien umzukrempeln und zu modernisieren. Frauen haben nun mehr Freiheiten, so dürfen sie seit 2018 Auto fahren, und auch die gesetzliche Bevormundung durch ihre Ehemänner wurde gelockert. Außerdem wurde die berüchtigte Religionspolizei Mutawa abgeschafft. Alles lobenswerte Entwicklungen, welche sich für MBS gut verkaufen lassen. Also alles gut im Saudi-Reich?

ARD-Reportage zeigt Missstände in Saudi-Arabien auf

Bei weitem nicht. Bin Salman will mit den Maßnahmen zwar den Anschein erwecken, Saudi-Arabien sei ein freies Land. Doch dies ist es nicht und soll es auch nicht werden. In der kürzlich erschienenen ARD-Reportage „Undercover in Saudi-Arabien“ begibt sich eine Journalistin in Lebensgefahr, um die Lebensrealitäten der saudischen und migrantischen Bevölkerung publik zu machen.

In der Dokumentation wird ein dramatisches Bild von Saudi-Arabien gezeichnet: Zwar wird auch auf den Prunk und die angestrebten Reformen eingegangen, doch dargelegt werden soll, dass dies nur reine Fassade ist: Jeder siebte Mensch in Saudi-Arabien lebt in Armut. Es gibt keine Meinungs- bzw. Pressefreiheit, wie an der Verhaftung von saudischen Influencerinnen aufgezeigt wird. Zudem werden ausländische Arbeiter:innen, die für die MBS-Großprojekte schuften, wie Sklaven gehalten. Auch staatlich angeordnete Ermordungen wie im Fall von Jamal Khashoggi sollen immer noch auf der Tagesordnung stehen.

FIFA-Gutachten verfälscht die dortige Situation

Die Kritik wird mittlerweile nicht nur allgemein auf die Umstände im Staat bezogen, sondern auch direkt mit der Fußballweltmeisterschaft in Verbindung gebracht. Aufhänger hierfür war ein Gutachten für die FIFA, das von der Anwaltskanzlei Clifford Chance durchgeführt wurde. In diesem sollte unter anderem die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien analysiert werden. Laut Amnesty würden allerdings keinerlei geplante Verbesserungen der menschenrechtswidrigen Vorkommnisse in Saudi-Arabien aufgezählt. Eklatante Aspekte, wie die Kriminalisierung von LGBTI+-Menschen, die Verfolgung von Menschenrechtsaktivist:innen oder auch das Kafala-System, das ausländische Arbeiter:innen fast zu Leibeigenen ihrer Arbeitgeber:innen oder Bürgen entmündigt, werden schlichtweg ausgespart.

„Katar ist die Hölle“ – Die schwarzen Seiten des kapitalistischen Profifußball

Amnesty-Sprecherin Lisa Salza zeigte sich empört über den Bericht: „Clifford Chance ignoriert in ihrer Risikoeinschätzung viele der gut dokumentierten Missstände und räumt Saudi-Arabien mit dieser übermäßig positiven Bewertung das letzte Hindernis aus dem Weg, um den Zuschlag für die WM 2034 zu erhalten. Ihr Bericht beschönigt bestehenden Missbrauch und die Diskriminierungen, denen viele Menschen in Saudi-Arabien ausgesetzt sind.“

Zusätzlich wurde von Amnesty zusammen mit zehn weiteren Organisationen, wie z.B.Human Rights Watch, ein gemeinsames Statement veröffentlicht, das die Kritik an dem Bericht nochmals bestärkt und den Verfasser:innen vorwirft, eine „künstlich eingeschränkte, irreführende und übermäßig positive Perspektive auf die Menschenrechtsprobleme in Saudi-Arabien geschaffen“ zu haben.

The same procedure as twelve years ago

Die Parallelen zur WM in Katar 2022 sind unübersehbar: Amnesty hatte die gleichen Probleme bereits damals bemängelt. Doch wie kann das Unausweichliche verhindert werden? Die Wahl von Saudi-Arabien scheint nur noch Formsache zu sein, und die momentane Kritik wird vermutlich ebenso wie nach der Abstimmung für Katar erst einmal verstummen. Es bleibt zu bezweifeln, dass bis 2034 die unzähligen Missstände in Saudi-Arabien behoben werden, geschweige denn der Wille hierfür überhaupt besteht.

„Mittelfinger für den Frauenfußball“ – Brandbrief an FIFA

So werden vermutlich wieder einmal ein Jahr vor der WM die zahllosen Investigativ-Recherchen von ARD bis ZDF veröffentlicht, die Aktionen von Menschenrechtsorganisation wie Amnesty bis hin zu den teilnehmenden Nationalmannschaften durchgeführt oder die kritischen Stellungnahmen von Fans ebenso wie Funktionären geäußert werden, ohne dass es die FIFA tangiert. Was es bräuchte, wären keine symbolischen Aktionen, sondern ernsthafte Boykott-Bestrebungen der Spieler und Verbände. Doch bereits zehn Jahre vor dem Schauspiel äußert sich der deutsche Nationaltrainer Julian Nagelsmann moralisch abgehärtet: „Wir haben in Katar gesehen, dass zu viele politische Themen eine Mannschaft schon belasten können. Da sollten wir alle draus lernen.“ Was wir draus lernen? Die FIFA singt und der DFB, der springt!

Vinzent Kassel
Vinzent Kassel
Perspektive Autor seit 2024. Schwäbischer Student mit einem Faible für Geographie und Sport. In der Freizeit hauptsächlich in der Kurve anzutreffen, aber auch immer wieder mal auf der Straße bei Demos aktiv.

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