20 Jahre ist es her, seit Oury Jalloh am 7. Januar 2005 auf dem Polizeirevier Dessau brutal ermordet wurde. Der Fall ist einer der bekanntesten und schrecklichsten Fälle der zahlreichen Polizeimorde in Deutschland. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Dessau, eine etwa 68.000 Einwohner:innen große Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Unter anderem bekannt für seine Bauhaus-Architektur, alte Schlösser, Landschaftsgärten und das Polizeirevier, auf dem Oury Jalloh vor fast 20 Jahren verbrannt wurde.
Am Abend des 7. Januar inhaftiert die Dessauer Polizei den damals 35-jährigen Oury Jalloh und sperrt ihn in die Zelle 5 des Polizeireviers Dessau. Wenige Stunden später verbrennt Oury Jalloh in seiner Zelle. Die Polizei wird später behaupten, Jalloh hätte seine Zelle selbst in Brand gesteckt. Er ist nicht der erste, der auf dem Polizeirevier Dessau ermordet wurde und wird auch nicht der letzte bleiben.
Die in den Monaten und Jahren nach Oury Jallohs Tod folgenden Ermittlungen, Verfahren, Obduktionen, und Brandgutachten werden zeigen: Jalloh wurde in den Stunden nach seiner Verhaftung von der Dessauer Polizei misshandelt, in Brand gesetzt und ermordet.
Was geschah wirklich in Dessau?
Was in der Nacht von Oury Jallohs Ermordung auf dem Polizeirevier Dessau-Roßlau tatsächlich geschah, ob Jalloh lebendig verbrannte oder schon vorher von Polizist:innen ermordet wurde, gilt bis heute offiziell als ungeklärt.
Eine umfassende Aufklärung des Falls und Gerechtigkeit für Oury Jalloh gab es bis heute nicht. Zumindest nicht von Seiten des Staats. Für die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und alle, die den Fall etwas genauer betrachten, ist klar, dass er ermordet wurde. Hilfreich, um sich ein eigenes Bild zu machen, ist die umfassende, von der Initiative aufgestellte Chronologie zum Fall.
Die Lüge der Polizei, Oury Jalloh hätte sich selbst angezündet, hält nur kurz. In Zelle 5 wird kein Brandmittel gefunden. Erst drei Tage später taucht ein geschmolzenes Feuerzeug im Labor des Landeskriminalamtes auf. In einem Revisionsverfahren 2012 wird klar, dass eben jenes Feuerzeug nicht vom Tatort stammen kann und wahrscheinlich, um die eigentliche Tat zu vertuschen, in das Labor geschmuggelt wurde.
Einige Wochen nach dem Auftauchen des Feuerzeugs wird bekannt, dass Oury Jalloh zum Zeitpunkt seines Todes an Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze gefesselt war. Eine zweite Obduktion wird wenig später ergeben, dass er kurz vor seinem Tod einen Nasenbeinbruch erlitt.
Wie bricht sich ein an Händen und Füßen gefesselter Mann selbst die Nase? Wie schafft er es, auf einer feuerfesten Matratze gefesselt und ohne Brandmittel in der Nähe ein Feuer zu entfachen, das Temperaturen von 350 Grad erreicht?
Zu diesem Zeitpunkt erhebt die Staatsanwaltschaft Dessau Anklage gegen die Polizisten Andreas S. und Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung. Andreas S. wird vorgeworfen, den Brandalarm auf dem Revier ignoriert zu haben. Hans-Ulrich M. soll bei der Durchsuchung das Feuerzeug übersehen haben.
Am 8. Dezember 2008 werden beide Angeklagten freigesprochen. Im Urteil erklärt der Richter: „Das, was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat und Polizeibeamte, die in besonderem Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung verunmöglicht. Diese Beamten, die uns hier belogen haben, sind einzelne Beamte, die als Polizisten in diesem Land nichts zu suchen haben.“
Bis heute hat sich nicht viel an der juristischen Lage des Falls verändert. Lediglich Andreas S. wurde 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt. Nach einer abgelehnten Verfassungsbeschwerde klagt die Familie Jallohs mittlerweile vor dem Europäischen Gerichtshof.
Dabei sind die Ergebnisse der Brandgutachten und Obduktionen erdrückend: Oury Jalloh wurden vor seinem Tod die Nase, mehrere Rippen und der Schädel gebrochen. Am Tatort befand sich kein Zündmittel, und der Brand kann nur mit einem Brandbeschleuniger, wahrscheinlich Benzin, entstanden sein.
Er wurde von der Dessauer Polizei misshandelt, vermutlich totgeschlagen, mit Benzin übergossen und verbrannt. Oury Jalloh – das war Mord! Doch seine Mörder sind bis heute ungestraft. Warum wird die Wahrheit von der deutschen Justiz seit 20 Jahren vertuscht? Warum wird der Fall nicht aufgeklärt? Wieso werden die Mörder nicht belangt?
Wie der Staat die Aufklärung bewusst verhindert
Ganz einfach: Der deutsche Staat hat kein Interesse an Gerechtigkeit für Oury Jalloh. Seine Justiz ist nicht unabhängig, sondern schützt das System und seine Vertreter:innen. So eben auch die Dessauer Polizei. Das zeigen auch die Bemühungen des Staats, den Fall zu vertuschen und die Aufklärung zu verhindern.
2013 wendete sich ein Informant aus Dessau mit Hinweisen auf den möglichen Täter an die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Die Staatsanwaltschaft Dessau hat den möglichen Tatverdächtigen weder befragt noch kontaktiert. Stattdessen führte sie eine Hausdurchsuchung bei dem Hinweisgeber durch.
2014 informiert Dirk N., seinerseits selbst Justizvollzugsbeamter der Stadt Dessau, die Polizei: er wisse, dass es sich beim Mörder Jallohs um Udo S. handele, einen ehemaligen Polizeibeamten der Stadt Dessau.
Daraufhin stellt die Polizei Dessau einen Strafantrag gegen den Justizvollzugsbeamten wegen übler Nachrede und bittet Udo S. darum, Strafanzeige wegen Verleumdung gegen Dirk N. zu stellen. Gegen Dirk N. wird zudem ein Disziplinarverfahren eingeleitet und er zieht die Anschuldigungen zurück. Der Fall wird erst vier Jahre später durch die taz bekannt gemacht.
Weitere Vorfälle im Zusammenhang mit der Dessauer Polizei
Im Zusammenhang mit den Recherchen und Ermittlungen um den Mord an Oury Jalloh wird man auf einen weiteren Fall aufmerksam: Es ist der Fall Hans-Jürgen Rose, der in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 1997 wegen Trunkenheit am Steuer von der Dessauer Polizei aufgegriffen und auf die Wache gebracht wurde.
Wenige Stunden später findet man ihn schwer verletzt unweit des Polizeireviers. Er hat massive innere Verletzungen – Verletzungen, die auf einen schweren Verkehrsunfall oder einen Sturz aus großer Höhe hindeuten würden. Rose stirbt einen Tag später an seinen Läsionen.
Bei der Obduktion der Leiche fällt auf, dass Rose Fesselspuren an den Handgelenken hat. Seine anderen Verletzungen müssen Folge stumpfer Gewalteinwirkung sein. Verletzungen, die zu den Schlagstöcken der Polizei passen würden. Ein weiterer Polizeimord in Dessau?
Laut einem ehemalig in Dessau eingesetzten Beamten war es auf dem Polizeirevier Tradition, aufmüpfige Gefangene zu fesseln und mit Schlagstöcken zu malträtieren – eine brutale Methode, mit der wahrscheinlich auch Hans-Jürgen Rose von der Dessauer Polizei zu Tode gefoltert wurde. Auch für ihn gibt es bis heute weder Aufklärung noch Gerechtigkeit.
Im Oktober 2002 stirbt der Obdachlose Mario Bichtemann auf dem selben Polizeirevier an einem Schädelbasisbruch. Sein Körper ist übersät mit Hämatomen, und mehrere seiner Rippen sind gebrochen – alles deutet auf stumpfe Gewalteinwirkung durch andere hin.
Mario Bichtemann stirbt in Zelle 5, derselben Zelle, in der Oury Jalloh zwei Jahre und drei Monate später verbrannt wird. Zuständiger Dienstgruppenleiter war zum Zeitpunkt des Todes von Mario Bichtemann der Polizist Andreas S. – jener Beamte, der 2005 den Feueralarm in Zelle 5 ignorieren wird. Im Juni 2004 stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn ein.
2016 wird die 25-jährige Li Yangjie von dem Sohn einer Dessauer Polizistin vergewaltigt und ermordet. Dessen Mutter verweigert die Aussage vor Gericht und schreibt dann auf Facebook, dass sie keine Lust hätte, mit Idioten zu reden. Stiefvater des Täters ist der Dessauer Polizeichef.
Bei den Ermittlungen werden Beweisstücke „übersehen“, ein wichtiger Zeuge erst Wochen später befragt und die Videoaufzeichnungen eines benachbarten Geschäfts nur auf Drängen des Besitzers gesichtet.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 93 vom Dezember 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.