Deutschland ist ein reiches Land, hier gibt es doch keine Armut – oder? Aktuelle Studien zeichnen ein anderes Bild. Jenseits der kapitalistischen Legende, dass es alle aus eigener Kraft zu Reichtum bringen können, verarmt unsere Klasse. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.
„Du bist deines Glückes Schmied” – das lernen wir in der Schule, das erzählen uns Christian Lindner und andere Politiker:innen, das erzählen uns die Chefs, während sie uns ausbeuten. Wir werden erzogen mit der ständigen Versicherung, dass Deutschland Wohlstand und Reichtum für alle bereit hält, solange sie sich ins System fügen und kräftig mit anpacken.
Dass es aber in Deutschland Armut gibt und Millionen Menschen von ihr bedroht sind, spielt im Wahlkampf und in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Wenn überhaupt, dann wird auf arme Menschen herabgeschaut – in TV-Formaten und Politker:innenreden wird uns dann vermittelt, dass sich die Armen einfach mehr anstrengen müssten. Kein Job, kein Auto, kein Haus? Du bist einfach zu faul.
Wie es wirklich ist, in Deutschland arm zu sein, bleibt für alle, die das nicht unmittelbar erleben, oft verborgen. Um das zu ändern und ein Bewusstsein für Armut und Armutsbedrohung zu schaffen, veröffentlichten die Diakonie und die Nationale Armutskonferenz (NAK) nun einen sogenannten „Schattenbericht”. Dieser soll ein Schlaglicht werfen auf die Lebensrealität von armen Menschen in Deutschland.
Blanke Zahlen verdeutlichen das Problem
Der Bericht soll, so Diakonie und NAK, dazu beitragen, die Situation von in Armut lebenden Menschen zu verbessern. Dazu werden „tiefe Einblicke in die Lebenslagen” von Armen gegeben, Statistiken zu verschiedenen Fragen wie Wohnungsnot, Krankheit, Kinderarmut und Einsamkeit aufgegriffen. Der Schattenbericht soll auch die Lücke füllen, welche die Bundesregierung hinterlassen hat: Wegen der vorgezogenen Neuwahlen verzichtete sie auf einen eigenen Bericht – mit Armut ist eben kein Wahlkampf zu machen.
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Die zentrale Erkenntnis aus dem Bericht ist vor allem die schiere Größenordnung von Armut und Armutsbedrohung in Deutschland: 17,6 Millionen Menschen waren im Jahr 2024 hierzulande von erheblicher materieller oder sozialer Entbehrung betroffen oder waren armutsgefährdet. Eine ebenfalls jüngst erschienene Studie über die finanzielle „Chancengleichheit” in Deutschland zeigt außerdem schwarz auf weiß, dass auch die finanzielle Schere zwischen Armen ohne finanzielle Rücklagen und Reichen mit Investitionsmöglichkeiten immer größer wird.
Zwar sind alle diese Zahlen statistisch gesehen keine Neuheit, zum Teil sogar etwas niedriger als in den Vorjahren. Aber dass über 17 Millionen Menschen in Deutschland – und unter ihnen überdurchschnittlich viele Alleinerziehende, Migrant:innen und Ostdeutsche – unter oder am sogenannten Existenzminimum leben, ist keine Sache, über die wir einfach hinwegsehen können.
Kampf gegen Armut muss Kampf gegen Kapitalismus sein
Was machen wir nun mit diesen Zahlen? So hilfreich die Studien der bürgerlichen Wohltätigkeitsorganisationen und Rechercheinstitute auch ist, so wenig haben sie Lösungen parat, die über kurzzeitige Verbesserungen und Appelle an die Politik hinausgehen. Was die Hilfsorganisationen, die Politik und NGO immer wieder vorschlagen, zielt meistens darauf ab, Teilen der von Armut Betroffenen undBbedrohten, also Teilen unserer Klasse, kleine Zugeständnisse zu machen – vielleicht können sich ja durch Hilfen oder Umverteilungen tatsächlich ein paar arme Familien auf einmal doch ein Auto leisten, vielleicht geht es Armen sogar kurze Zeit besser.
Doch unsere Erfahrungen und die Geschichte des Kapitalismus hat uns gelehrt, dass nach den zwischenzeitigen Verbesserungen immer auch die nächste Krise kommt, in der uns diese kleinen,¹qwsw33wswa von den Reichen zugeteilten Zugeständnisse, wieder genommen werden.
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Wir sind nicht unser Glückes Schmied – die Kapitalisten beuten uns aus, profitieren von unserer Arbeitskraft und lassen uns, bildlich gesprochen, unsere eigenen Ketten schmieden. Armut in unserer Klasse kommt nicht daher, dass wir faul und dumm sind. Unsere Armut kommt daher, dass es die Reichen gibt. Erst wenn wir dafür ein Bewusstsein schaffen, erkennen wir auch, dass sich Armut nicht lösen lässt, indem eine Handvoll armer Menschen ein wenig aufsteigt und sich Luxus gönnen darf, während andere massenhaft immer ärmer werden und verelenden.
Geben wir also eine Antwort auf Armut, die grundlegend und konsequent ist. Geben wir eine Antwort auf das Gerede davon, dass wir unser Glück schmieden sollen. Unser Glück liegt in der Überwindung des Kapitalismus und dem Aufbau einer Produktionsweise und Gesellschaftsordnung, in der wir alle gemeinsam die Bedürfnisse und Interessen aller Arbeiter:innen an die erste Stelle stellen. Schmieden wir heute die Solidarität und den Zusammenhalt in unserer Klasse, um dieses Ziel zu erreichen.