Zurzeit häufen sich die Nachrichten darüber, dass Deutschland als „der kranke Mann Europas“ doch endlich einen wirtschaftlichen Masterplan bräuchte. Die deutsche Wirtschaftselite hat einen Vorschlag: Für deutsche Profite soll der bezahlte Krankheitstag endlich mal weg! – Ein Kommentar von Hasan Erkut.
Dem deutschen Kapital wird es mit den ganzen Krankschreibungen langsam zu viel: Denn wie könne es sein, dass die Wirtschaft den Bach runtergeht und die Arbeiter:innen auf die Idee kommen, sich in solch turbulenten Zeiten auch noch krankschreiben zu lassen? Monika Schnitzer, Chefin der sog. „fünf Wirtschaftsweisen” – also des Sachverständigenrats aus Wirtschaftswissenschaftler:innen, der die Bundesregierung bei der Begutachtung der Wirtschaftslage berät – empfiehlt „Teilzeit-Krankschreibungen“.
Ihre Begründung: Einige Arbeiten seien „je nach Erkrankung und Art der Tätigkeit weiterhin teilweise möglich“. Und: „Auch im Sinne der Wiedereingliederung kann eine Teilzeit-Krankschreibung sinnvoll sein.“ Weiterhin teilt die gutbezahlte Wirtschaftsprofessorin Schnitzer aus ihrem sicherlich komfortabel eingerichteten und vernetzten Büro mit: „Wenn ich als Verkäufer hinter der Wursttheke arbeite und mir das Bein breche, dann muss ich natürlich krankgeschrieben werden. Wenn ich aber einen Bürojob habe, dann wäre es mir vielleicht trotz gebrochenem Bein möglich, eine gewisse Zeit zu arbeiten“.
Noch weiter geht Schnitzers geistiger Freund und Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte. Er fordert gleich die Wiedereinführung eines sogenannten „Karenztags”, da „Deutschland mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen“ sei und dadurch „die Kosten im (Gesundheits-)System“ erhöht würden. Nach den Vorstellungen des Allianz-Chefs sollen die Lohnfortzahlung bei Krankheit am ersten Krankheitstag abgeschafft und die Kosten auf die Lohn- und Gehaltsempfänger:innen abgewälzt werden.
Krank zur Arbeit? Ein großes Risiko!
Kurzum: Es geht dem Sachverständigenrat und den Kapitalbossen darum, dass sich die Arbeiter:innen trotz Erkrankung zur Arbeit schleppen und dort für ihren Lohn oder ihr Gehalt schuften, obwohl sie eigentlich krank sind. Das haben sogar die DGB-Gewerkschaften mitbekommen und argumentieren dagegen.
Denn zum einen zeigen die Zahlen der internationalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass es „keinen dramatischen Anstieg der Fehlzeiten in Deutschland“ gibt. Außerdem, so unterstreicht der DGB unter Berufung auf eine repräsentative Umfrage: „Schon vor Corona gaben etwa 70 Prozent der Beschäftigten an, mindestens einmal im Jahr krank zur Arbeit erschienen zu sein und im Durchschnitt fast neun Arbeitstage pro Jahr trotz Erkrankung gearbeitet zu haben“.
„Präsentismus” (also krank arbeiten) schade der eigenen Gesundheit und könne außerdem zur Ansteckung von Kolleg:innen oder Unfällen führen – mit hohen Folgekosten. Die IG Metall gar ballt die Faust in der Tasche, wenn die Chefs den Arbeiter:innen ein Krankfeiern unterstellen und stellt richtig fest: „Wer Karenztage aus der Mottenkiste holt, greift die soziale Sicherheit an und fördert verschleppte Krankheiten“.
Wehren wir uns gegen die Angriffe auf erkämpfte Rechte!
Doch warum das Ganze? Aus welchem Grunde geschehen solche Angriffe der Kapitalbosse auf die über Jahrzehnte von Arbeiter:innen und Gewerkschaften erkämpften Rechte?
Jeder einzelne Cent, den die Fabrikbesitzer:innen, Banken und Konzerne nicht als Lohn (oder Lohnfortzahlung) an ihre Arbeiter:innen auszahlen müssen, bedeutet mehr Profit für die Kapitalist:innen.
Daher müssen die Arbeiter:innen jetzt dafür kämpfen, dass ihr Lohn, ihre finanziellen Mittel zum Leben, erhöht und eben nicht gesenkt werden, wie es z.B. die verschiedenen Kürzungsvorschläge und der Abbau von Arbeiter:innenrechten durch „Wirtschaftsweise“ und Konzernmanager:innen vorsehen.
Denn am Ende geht es diesen nicht um den „kranken Mann Europas“, der wirtschaftlich angeblich wieder aus der Krise kommen müsse. Und erst recht nicht um den vorgeblichen Wohlstand der Bevölkerung und ihr Wohlergehen – sondern allein um ihren Maximalprofit, wenn auch in verhüllter Form und mit vorgeschobenen „Argumenten“.