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Berlin: Lehrer schlägt Schüler wegen Palästina-Fahne – Gericht stellt Verfahren ein

Nach dem Schlag ins Gesicht eines Schülers musste sich ein Berliner Lehrer vor Gericht verantworten. Das Amtsgericht Tiergarten stellte das Verfahren gegen eine Zahlung von 800 Euro ein. Den Schüler versuchte der Lehrer als gewalttätigen Kampfsportler darzustellen. – Ein Kommentar.

Am 9. Oktober 2023 schlug ein Lehrer einem 14-jährigen Schüler im Pausenhof der Ernst-Abbe-Schule in Neukölln ins Gesicht. Anlass war eine palästinensische Flagge, die der Schüler bei sich trug. Ein Handyvideo des Vorfalls zeigt den Schüler mit einer Fahne im Hof seiner Schule. Nach einem unübersichtlichen Geschehen ist zu sehen, wie der Lehrer einem Schüler ins Gesicht schlägt und dieser mit einem Tritt reagiert.

Nun musste sich der Lehrer vor dem Amtsgericht Tiergarten verteidigen. Am 24. Januar verhandelte das Amtsgericht, ob sich der damals 61-jährige Lehrer durch den Schlag ins Gesicht des Jugendlichen wegen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB strafbar gemacht hat.

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Recht auf Meinungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit

Der Lehrer behauptete vor Gericht, der Schüler habe ihm vorher einen Kopfstoß versetzt. Ahmed Abed, der Anwalt des angegriffenen Schülers, äußerte sich nach dem Prozess, dass „die Behauptung der Polizei und auch des Angeklagten, dass es einen Kopfstoß gegeben habe, […] sich nicht bestätigt [hat]”. Im Video hätte man keinen Kopfstoß sehen können. Der angeklagte Lehrer hatte zudem erklärt, dass er vor dem Schlag durch den Schüler provoziert worden sei.

Zudem habe er es als seinen Auftrag gesehen, „politische Demos zu dem Vorfall in Gaza und Israel zu unterbinden“. Er sei „kein Rassist, bei Rechtsradikalen wäre ich ja auch eingeschritten“, erklärte er vor Gericht. Der Anwalt des Schülers stellte klar, dass eine Fahne auf einem Schulhof und politische Bekundungen nicht verboten seien: „Das Grundgesetz ist auf dem Schulhof nicht ausgehebelt. Versammlungen sind möglicherweise eingeschränkt, aber Meinungsäußerungen sind nicht verboten.“

Schüler:innen haben selbstverständlich auch in der Schule ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und selbst, wenn der durch den Lehrer behauptete Kopfstoß des Schülers sich ereignet haben sollte – wofür bis zuletzt keine Beweise erbracht wurden – könnte das die Gewalt des Lehrers ebenso wenig rechtfertigen. Die Schule ist ein Ort, an dem Kinder den Hauptteil ihres jungen Lebens verbringen. Gerade hier sollten sie Trauer, Wut und Solidarität ausdrücken können, ohne dafür von Erwachsenen – physisch oder psychisch – angegriffen zu werden.

Sowohl in das Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie das Recht auf Meinungsfreiheit des betroffenen Schülers hat der angeklagte Lehrer eingegriffen, und eine nachvollziehbare Rechtfertigung scheint es nicht zu geben.

Gericht stellt Verfahren ein

Die zuständige Richterin stellte das Verfahren nun gegen eine Zahlung des Lehrers in Höhe von 800 Euro ein. Im Strafverfahren kann die Person verurteilt oder freigesprochen werden. Manchmal entscheidet das Gericht aber nicht, ob die Person schuldig ist oder nicht, sondern stellt das Verfahren ein. Eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO setzt eigentlich voraus, dass das Vergehen und die Schuld nicht allzu schwer wiegen und die beschuldigte Person bestimmte Auflagen oder Weisungen erfüllt, die von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.

Das erspart der Justiz dann eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Fall und der Schuldfrage – vor allem bei Bagatelldelikten, bei denen ohnehin nur eine geringe Schuld feststellbar wäre.

Die Schüler:innen der Ernst-Abbe-Schule konnten aus der Angelegenheit vor allem mitnehmen, dass Lehrkräfte ihnen ohne großartige Konsequenzen ins Gesicht schlagen können. Der gewalttätige Lehrer erhält dank der Verfahrenseinstellung keinen Eintrag des Vorfalls ins Bundeszentralregister. So gilt er offiziell als „nicht vorbestraft” und „unschuldig” und darf grundsätzlich weiterhin an der Schule unterrichten.

Rassistische Täter-Opfer-Umkehr

Vor Gericht inszenierte sich der Lehrer umfassend als Opfer, indem er den Schüler öffentlich als den eigentlichen Täter darstellte. Durch leere Behauptungen des gewalttätigen Lehrers wurde das Opfer zu einem gefährlichen Kampfsportler stilisiert, der die Gewalt des Lehrers provoziert habe. Dieses Bild konnte der Angeklagte auch deshalb so erfolgreich zeichnen, weil es sich nahtlos in die rassistischen Narrative über Neukölln als „Brennpunk” und Zentrum der sog. „Clan-Kriminalität“ einreiht.

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Es wäre kein Wunder, wenn die Schüler:innen der Ernst-Abbe-Schule durch dieses Verfahren vor allem lernen, dass sie von staatlichen Institutionen wie Gerichten keine Gerechtigkeit erwarten können. Der betroffene Schüler hat sich mittlerweile in Sicherheit gebracht und die Schule gewechselt.

Der Anwalt fügte hinzu, dass dieses Urteil symptomatisch für die Situation in Deutschland sei, wo selbst auf dem Schulhof gegen politische Meinungen vorgegangen werde, die nicht gefallen.

Erst einige Tage zuvor hatte am Amtsgericht Tiergarten ein Verfahren gegen eine FU-Studentin stattgefunden, die an der Besetzung eines Hörsaals beteiligt war. Gericht und Staatsanwaltschaft verlangten für eine Einstellung des Verfahrens – anders als im Fall des Lehrers – von der Angeklagten eine vollständige Distanzierung von der Tat, ein öffentliches Schuldeingeständnis sowie das Versprechen, künftig nicht mehr in ähnlicher Weise zu handeln. Die Besetzung – bei der übrigens niemand zu Schaden kam – war auf legale Proteste gefolgt und hatte das Ziel, die Zusammenarbeit der FU mit zwei israelischen Universitäten zu beenden, welche Verbindungen zum israelischen Militär haben sollen.

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