Die Observationsregelung des Polizeigesetzes in NRW steht im Konflikt zum Grundgesetz. Das erklärte das Bundesverfassungsgericht nach der Klage einer Frau, die ihr Persönlichkeitsrecht verletzt sah. – Ein Kommentar von Anna Müller.
Über drei Gerichte brauchte es bis zum endgültigen Urteil über den fast zehn Jahre zurück liegenden Fall: Bei der präventiven Observation eines aus dem Gefängnis entlassenen Faschisten wurden Bilder aufgenommen, auf denen seine damalige Freundin zu sehen ist. Diese zog gegen den Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht vor Gericht.
Zu dieser Einschätzung kam nun auch der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Zuvor bekam die Frau nur in Teilen Recht vom Oberverwaltungsgericht Münster, das den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Klägerin im vorliegenden Fall als gerechtfertigt betrachtete. Das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof in Leipzig wurde von diesem selbst im Mai 2022 ausgesetzt und an das BVerfG weitergegeben.
Bisherige Rechtslage
Das BVerfG erklärt zum Sachverhalt: Der angewandte „§ 16a Abs. 1 Satz 1 PolG NRW ermächtigt Polizeibehörden zur Erhebung personenbezogener Daten durch eine durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als zwei Tagen vorgesehene oder tatsächlich durchgeführte und planmäßig angelegte Beobachtung (längerfristige Observation)“.
Daten von Dritten zu erheben sei erlaubt, wenn damit die Observation der Zielperson durchgeführt werden könne. Dafür gibt es aber Voraussetzungen: Es müssten Beweise vorliegen, damit die Annahme gerechtfertigt sei, dass Personen Straftaten erheblicher Bedeutung begehen wollen. Außerdem müsse die Datenerhebung notwendig sein für die Prävention möglicher Straftaten.
Die geregelten Bedingungen für eine längerfristige Observation treffen auch auf den § 17 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW zu. Dieser ermächtigt die Behörden, auch verdeckt technische Mittel einzusetzen, um Bildaufnahmen (Variante 1), sowie Bildaufzeichnungen (Variante 2) zu generieren.
Gesetz muss überarbeitet werden
Die Gesetzeslage in dieser Form soll jedoch nur noch bis zum 31.12.2025 gelten. Die beiden Paragraphen § 16a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 17 Abs. 1 Satz 1, Varianten 1 und 2 Nr. 2 in Verbindung zur Datenerhebung zu nutzen, sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, da sie einen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstellen, also gegen einen Teil des im Grundgesetz verankerten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstoßen.
Damit sind sie verfassungswidrig. Es müssten höhere und bestimmte Anforderungen gestellt werden, da zum jetzigen Zeitpunkt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht vorausgesetzt sei und so auch verletzt werde. Die kommenden zwölf Monate sollen Zeit geben, das Gesetz zu präzisieren und zu verbessern.
Vorübergehend wurde angeordnet, dass von den observierten Personen mindestens eine konkrete oder konkretisierte Gefahr ausgehen müsse, wobei letzteres immer noch sehr vage umschrieben ist. Damit soll die vorherige Regelung, dass derartige Maßnahmen schon gerechtfertigt sind, wenn eine Person Straftaten „begehen wolle“, eindeutiger bestimmt werden.
Einsatz der Polizeigesetze
Was jedoch immer im Bewusstsein bleiben muss, ist, dass das Polizeirecht ein präventives Recht ist. Es greift also nicht dann, wenn eine Straftat begangen wurde, sondern wenn Beamt:innen im Vorfeld davon ausgehen, dass eine begangen werden könnte.
Ob es nun Polizeigewalt auf einer Demonstration ist, weil die Stimmung aufgeladen schien und potentiell eine verbotene Parole hätte gerufen werden können. Oder ob es die längerfristige Observation ist, bei der die Privatsphäre unbeteiligter Dritter schwer geschädigt wird, obwohl sie keine Straftat begangen haben –
subjektive Einschätzungen von Polizeibeamt:innen und kaum existierende Kontrollmechanismen liefern eine Grundlage für den Missbrauch solcher Gesetze – auch zum Einsatz gegen politisch unliebsame Menschen.