Die viel beschworene „Brandmauer“ gegen die AfD durch die bürgerliche Mitte ist gefallen. Gemeinsam mit der AfD und FDP brachte die CDU/CSU einen Antrag durch, der Geflüchtete weiter entrechtet. Fortschrittliche Organisationen rufen deshalb zu Demonstrationen auf. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof.
Vor drei Jahren spuckte der (damals designierte und nun amtierende) CDU-Vorsitzende Friedrich Merz noch große Töne: »Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.« Mit diesen Worten beschwor er die „Brandmauer zur AfD“.
Dass die Brandmauer nicht mehr als ein leeres Versprechen einer Partei war, die selbst Hetze gegen Migrant:innen schürt und Asylgesetze verschärft, war schon lange klar. So fanden seit 2019 bereits mindestens 121 gemeinsame Anträge mit der faschistischen AfD auf kommunaler Ebene statt. Ausgeschlossen wurde hierfür niemand. Spätestens seit Mittwoch, dem 29.01., ist die Brandmauer nun auch auf bundesweiter Ebene offiziell eingerissen: Gemeinsam mit Stimmen der AfD und FDP brachte die CDU/CSU ihren Antrag zur Migration durch.
Pushbacks an den Grenzen, Ausreisepflichtige sofort in Haft
Mit diesem Antrag, der mit 348 Ja-Stimmen und 344 Nein-Stimmen knapp angenommen wurde, konnte die CDU bereits viele Punkte durchsetzen, die sich in ihrem Programm zu kommenden Bundestagswahl befinden: darunter dauerhafte Grenzkontrollen sowie ein faktischer Aufnahmestopp für Geflüchtete ohne gültige Einreisedokumente.
Geflüchtete ohne Papiere sollen an der Grenze zurückgewiesen werden, da sie in den EU-Nachbar- oder Drittstaaten ja „sicher vor Verfolgung“ seien. Abgesehen davon, dass solche „Pushbacks“ illegal sind, sind keineswegs alle EU-Länder „sicher” für Geflüchtete. Beispielsweise beschloss die polnische Regierung im vergangenen Jahr ein Gesetz, das Soldat:innen autorisiert, auf Geflüchtete zu schießen, sollte von ihnen eine „Bedrohung“ ausgehen.
Der Antrag der CDU sieht ebenfalls vor, dass ausreisepflichtige Menschen unmittelbar in Haft genommen werden sollen, wofür „leerstehende Kasernen und Containerbauten“ genutzt werden könnten. Abschiebungen müssten täglich durchgeführt werden – regelmäßig auch nach Afghanistan und Syrien. Letztlich solle die Bundespolizei künftig weitreichendere Befugnisse erhalten, die ihr ermöglichen, selbst Haftbefehle für eine Abschiebehaft zu beantragen. Bisher ist dies der Staatsanwaltschaft vorbehalten.
Zweiter Antrag der Union und „Zustrombegrenzungsgesetz“
Die Unionspartei stellte noch einen zweiten Antrag zur inneren Sicherheit und Migration. Dieser wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt, auch die AfD stimmte dagegen. Dabei störte sich die faschistische Partei sicherlich nicht an den im Antrag enthaltenen Punkten, Abschiebungen zu erleichtern oder den „subsidiären Schutz” abzuschaffen (d. h. den Schutz für Geflüchtete ohne Asylstatus, denen in ihrem Herkunftsland aber erhebliche Gefahren drohen). Eher dürfte es das Drängen der CDU auf die Vorratsdatenspeicherung sein – also die verpflichtende Mindestspeicherfrist für IP-Adressen durch Internetanbieter –, welche die AfD derzeit noch ablehnt.
Dennoch stehen bereits weitere Angriffe auf die Rechte von Geflüchteten an: So soll heute, am 31.01., über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz abgestimmt werden. Erneut findet sich in dem Antrag die Forderung, der Bundespolizei erhöhte Befugnisse zur Aufenthaltsbeendigung zu geben. Subsidiär Schutzberechtigten soll auch das Recht auf Familiennachzug entzogen werden. All dies hat den Zweck, Einwanderung zu begrenzen. Dieses Ziel der Begrenzung solle dann in das Aufenthaltsgesetz eingefügt werden.
Das „Fallen der Brandmauer“ – keine plötzliche Wende für die Union!
Die Migrationspolitik der Unionspartei hat sich somit derart derjenigen der AfD angepasst, dass diese der CDU ein „Abschreiben“ vorwirft.
Es wäre jedoch ein Fehler, die zunehmend faschistischen Positionen der CDU und das Fallen der angeblichen Brandmauer als eine plötzliche Entwicklung zu sehen, zu der sie durch das Erstarken der AfD genötigt wurde. Die Unterdrückung von Geflüchteten spielt der CDU sowie großen Teilen der herrschenden Klasse mit voller Absicht in die Karten.
Schließlich lassen sich Menschen mit sehr unsicheren Aufenthaltsbedingungen leichter erpressen und ausbeuten, beispielsweise durch Schwarzarbeit, in der sich viele Geflüchtete befinden. Doch auch im legalen Rahmen besteht die Ausbeutung: So verpflichtete letztes Jahr der CDU-Landrat des Saarle-Orla-Kreises Asylsuchende zu gemeinnütziger Arbeit für lediglich 80 Cent die Stunde. Möchte der Staat dann gar nicht mehr für Geflüchtete aufkommen, so können sie mit den kommenden Gesetzesverschärfungen unkompliziert abgeschoben werden.
Bei so viel Einigkeit in migrantenfeindlicher Politik mag man sich fragen, welche Differenz zur AfD denn überhaupt noch besteht und was Merz zur Beteuerung des Fortbestands der Brandmauer brachte. Ein Teil der Antwort findet sich in dem beschlossenen Antrag. Ihm zufolge wolle die AfD, „dass Deutschland aus der EU austritt“ und stattdessen die wirtschaftliche Nähe zu Russland suche, was Deutschlands Sicherheit gefährde. Um die Zustimmung der AfD zu verringern, müsse daher „illegale Migration“ bekämpft werden.
Die geheuchelte Entrüstung der SPD und Grünen
SPD und Grüne, die gegen den Antrag stimmten, zeigen sich nun entsetzt von dem Einreißen der Brandmauer. Es geht ihnen hierbei allerdings keineswegs darum, gegen Rassismus zu kämpfen oder die Rechte von Geflüchteten zu stärken. Schließlich wurden die Grenzkontrollen, die laut dem Migrationsantrag der Union nun dauerhaft durchgeführt werden sollen, bereits während der Ampelregierung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) beschlossen. Auch wurden massive Verschärfungen des Asylrechts sowie Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan bereits von der Ampel-Koalition beschlossen.
Die bürgerlichen Parteien zeigen sich nicht entrüstet wegen der Hetze gegen Migrant:innen, sondern wegen der Kooperation der Union mit der AfD, sowie dem mit dem Migrationsantrag verbundenen Bruch des EU-Rechts, beispielsweise durch Pushbacks an der Grenze. Diese Hauptkritik zeigte sich auch in der Rede des grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Lediglich in einem Nebensatz erwähnt er die rassistische Sprache der AfD und stellt die rhetorische Frage, wie diese wohl für die Eltern des in Aschaffenburg getöteten marokkanischen Jungens klingen würde. Auf den verheerenden Inhalt des Migrationsantrags geht er nicht ein, sondern arbeitet sich lediglich daran ab, dass dieser das Europarecht breche: „Sie können doch nicht mit den Russlandfreunden und den Europaverächtern einen Europarechtsbruch einführen!“
Gemeinsam kämpfen gegen rassistische Politik
Scharfe Kritik sowohl an der Union und AfD als auch den anderen bürgerlichen Parteien findet sich in einer Erklärung der Föderation klassenkämpferischer Organisationen (FKO). In dieser ruft sie auf, sich an den Demonstrationen gegen die Verschärfung der Migrationspolitik zu beteiligen und „konsequente[n] Antifaschismus statt Wahlzirkus“ zu betreiben. Weiter heißt es:
„Konsequenter Antifaschismus bedeutet, sich den Faschisten überall entgegenzustellen, wo sie auftreten – auf der Straße, im Betrieb, in unseren Stadtteilen und Universitäten. Ein solcher Antifaschismus beinhaltet zudem eine klare Perspektive: nur eine sozialistische Gesellschaft kann Antworten auf Kriegsgefahr, Armut und patriarchale Unterdrückung liefern.“
Die FKO, sowie viele weitere fortschrittliche Organisationen rufen dazu auf, sich an den Demonstrationen gegen den CDU-Vorstoß zu beteiligen. Das Widersetzen-Bündnis, in dem bereits viele fortschrittliche Kräfte an der Blockade der AfD-Parteitage aktiv waren, führte bereits am gestrigen Donnerstag Aktionen in etlichen Städten durch. Dabei wurde kurzzeitig auch das CDU-Bürgerbüro in Berlin besetzt. Auch für den 31.01. und 2.2. sind weitere Aktionen geplant, zu finden auf der Website des Widersetzen-Bündnisses.
Das Wiederaufleben der Anti-AfD-Proteste – Zeit für Klassenkampf!