Zeitung für Solidarität und Widerstand

Doch keine Revision: Erstes Rondenbarg-Urteil tritt in Kraft

Gegen das Urteil vom September 2024 gegen zwei der Demonstrant:innen vom G20-Gipfel in Hamburg 2017 im sogenannten Rondenbarg-Prozess gingen die Angeklagten zunächst in Revision. Nun müssen sie diese fallen lassen. Das „tut weh“, schreibt die Rote Hilfe Hamburg in ihrem Statement.

Acht Jahre ist der G20-Gipfel in Hamburg nun fast her. Erinnern wir uns an den Tag zurück, denken wir an zwei Tage voller internationaler Proteste und Polizeigewalt in der ganzen Stadt. Einer dieser Schauplätze war die Straße Rondenbarg. Ein Demozug, der am frühen Morgen des 7. Juli durch die Straßen zog, wurde dort von der Polizei angegriffen. Es kam zu massiver Polizeigewalt und über 80 Festnahmen. Ungefähr 200 Teilnehmer waren Teil des Demozuges, 85 Personen verhaftete die Polizei, 14 landeten im Krankenhaus.

85 Angeklagte, alles Straftäter?

Zwei der Angeklagten wurden bereits im September letzten Jahres verurteilt. Nach jahrelanger Untersuchung, Sonderkommission und 24 Prozesstagen lautete das Urteil: „Die Angeklagten sind des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten gefährlichen Körperverletzung, mit Beihilfe zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung schuldig“ Einen individuellen Nachweis für die laut Urteil begangenen Straftaten gibt es nicht. Vielmehr wird den meisten Angeklagten zum Verhängnis, überhaupt dort gewesen zu sein.

Rondenbarg-Prozess: Verurteilung ohne individuell begangene Straftat

Laut Gericht handelte es sich um eine militante Aktion, bei der jeder wusste, worauf er sich einlässt. „Diese nach außen getragene Militanz und die Förderung von Gewalttaten, das ist es, was wir hier bestrafen“,  sagte die Richterin. Militanz, weil viele Demoteilnehmer:innen schwarze Kleidung trugen und der Zug geschlossen auftrat, Förderung von Gewalttaten, weil sie Teil der Demonstration waren, auf der solche verübt wurden. Einige der 85 Angeklagten wurden schon freigesprochen, andere warten noch auf ihren Prozess.

Revision ohne Aussicht auf politischen Erfolg sinnlos

Eine zunächst eingereichte Revision verzögerte bislang die Rechtskräftigkeit des Urteils. Zur Wahrung der Fristen wurde, ohne die schriftliche Urteilsbegründung zu kennen und die Erfolgsaussichten einschätzen zu können, zunächst Revision eingelegt. Entscheidender Grund, den weiteren Rechtsweg in Betracht zu ziehen, war die Hoffnung, mit juristischen Mitteln die Chronologie versammlungsfeindlicher Urteile stoppen zu können. Auch ein möglicherweise positiver Effekt auf Folgeverfahren und nicht zuletzt die schlichte Empörung und Wut über das skandalöse Urteil waren Argumente.

Nach intensiven politischen Diskussionen und dem Austausch mit etlichen Strafverteidiger:innen zu der Erkenntnis kommen zu müssen, dass die Argumente gegen ein weiteres Bestreiten des Rechtswegs überwiegen, tue weh, verkündeten die Angeklagten und die Rote Hilfe Hamburg in ihrem Statement.

Zuständig für die Revision wäre die 5. Strafkammer des Bundesgerichtshofs gewesen, eine Kammer, die bereits im Elbchausseeverfahren versammlungsfeindlich urteilte und insgesamt für besonders reaktionäre Rechtsauffassungen steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der BGH das Urteil bestätigt hätte, sei zu hoch gewesen. In diesem Fall wäre der Sache „ein Bärendienst erwiesen worden“. Selbst bei dem unwahrscheinlichen Fall eines (Teil-)Erfolgs der Revision wäre fraglich, ob dieser auf Folgeverfahren positive Auswirkungen hätte.

Neben diesen juristischen Überlegungen sprachen auch gewichtige politische Gründe dagegen: Die Revision von nur einer der beiden Verurteilten, die aus juristischen Überlegungen im Raum stand, hätte das Angeklagtenkollektiv aufgesprengt und wäre Gefahr gelaufen, die „Unschuld“ einer einzelnen Person in den Vordergrund zu stellen. Das wäre politisch von vornherein eine Bankrotterklärung gewesen. Der Zusammenhalt innerhalb der Bewegung sei wichtiger als ein juristischer Teilerfolg.

Kein Besuch für Daniela Klette: Solidarität bleibt ungebrochen

Urteil nun rechtskräftig, doch der Kampf „geht weiter“

Die Revision, die aufgrund der Verurteilung eingereicht wurde, ist nun zurückgerufen und zwar von den Verteidiger:innen der Roten Hilfe selbst. Damit ist das Urteil des Landesgericht Hamburg vom September letzten Jahres nun rechtskräftig. 40 Tagessätze gelten aufgrund „rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung“ bereits als abbezahlt, 50 bleiben damit noch über. Dazu kommen Gerichtskosten, die in ihrer Höhe sicherlich nicht zu unterschätzen sind.

Viel schwerer als das Geld wiegt aber: Man hat es nicht geschafft, in diesem Verfahren die Versammlungsfreiheit zu verteidigen. Das Urteil ist nicht nur ein Zeichen für all diejenigen, die ihren Prozess im Rondenbarg-Komplex noch vor sich haben, sondern für die gesamte politische Widerstandsbewegung. Es reiht sich ein in eine Reihe von Verurteilungen, wie das Vorgehen der Justiz und Polizei rund um Tag X in Leipzig oder die Veranlassung neuer Versammlungsgesetze in NRW und zuletzt Sachsen.

Halbes Jahr seit „Tag X“ in Leipzig: Ein Vorgeschmack auf die kommende Militarisierung

Wie viele im Fall Rondenbarg noch verurteilt werden, ist zwar noch nicht klar, aber eines ist sicher: Um verurteilt zu werden, muss keine Straftat begangen worden sein. Am 13.12.2024 hat das Landgericht Hamburg ein weiteres Rondenbarg-Verfahren eröffnet, somit müssen inzwischen vier Angeklagtengruppen mit einem baldigen Prozessbeginn rechnen. Gleichzeitig wurden und werden etliche Rondenbarg-Verfahren eingestellt. „Die Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit geht weiter: Vor den Gerichten und auf der Straße,“ so die Rote Hilfe Hamburg und die Angeklagten in ihrem Statement.

Ob Rondenbarg oder PKK: Kollektive Bestrafung wird Normalität

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

MEHR LESEN

PERSPEKTIVE ONLINE
DIREKT AUF DEIN HANDY!