Mit seinem Vorstoß, der Staat solle künftig auch auf Kapitalerträge Sozialabgaben erheben, erntete der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck in bürgerlichen Kreisen viel Gegenwind und Häme. Warum der Vorschlag zwar ein bestehendes Problem aufgreift, aber an einer konsequenten Lösung vorbeigeht. – Ein Kommentar von Thomas Stark.
Soll der Emir von Katar künftig Anspruch auf Altersrente in Deutschland erhalten? Die hämische Frage des FDP-Urgesteins Wolfgang Kubicki auf den Vorstoß Robert Habecks zur Sozialversicherung traf einen gewissen Punkt. Habeck hatte vorgeschlagen, dass künftig auch auf Kapitalerträge Beiträge für die Sozialversicherungen abgeführt werden sollen. Zinsen auf Bankguthaben und Dividenden auf Wertpapiere würden damit zur Finanzierung der Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung herangezogen
Kassen in Geldnot
Der Vorschlag Habecks, mit dem er sich im Wahlkampf offenbar als Kämpfer für mehr Gerechtigkeit inszenieren wollte, greift in der Tat ein bestehendes Problem auf: Vor allem die Rentenversicherung und die Krankenkassen in Deutschland leiden unter Geldnot. Erst zum Jahreswechsel haben zahlreiche Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge erhöht: Diese werden ausschließlich von den Versicherten, und damit vor allem von Arbeiter:innen bezahlt. Die Grundbeiträge tragen ansonsten je zur Hälfte Unternehmen und Beschäftigte.
Laut einer Erhebung der Universität Duisburg-Essen lagen die durchschnittlichen Sozialabgaben von Beschäftigten im Jahr 2023 bei 16,6 % des Bruttolohns. Zusammen mit der Lohnsteuer ergab dies eine Belastung von 31,6 % — indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer, CO2-Steuer, Tabaksteuer und andere nicht mitgerechnet. Auf Kapitalerträge wird dagegen aktuell ein Steuersatz plus Solidaritätszuschlag von 26,375 Prozent bezahlt.
Würde sich Habecks Idee durchsetzen — einen praktischen Realisierungsvorschlag hat der grüne Kanzlerkandidat nicht mitgeliefert — ergäbe sich die Frage, welche Ansprüche aus den Zahlungen erwachsen würden: Würden privat krankenversicherte Manager:innen und Selbständige künftig zusätzlich in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen und daraus Zahlungen erhalten? In welchem Verhältnis würden Investor:innen mit großen Aktienbeteiligungen in Deutschland — darunter Unternehmen wie der Vermögensverwalter Blackrock oder der Staatsfonds von Katar (Kubickis Emir-Beispiel) — in Zukunft zum deutschen Sozialversicherungssystem stehen?
Drei einfache Vorschläge zur Finanzierung der Sozialversicherungen
Der Vorschlag wirft damit mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dabei gäbe es drei einfache Maßnahmen, um die Sozialversicherungen mit genügend Geld auszustatten und dabei die Richtigen zahlen zu lassen:
- Bisher zahlen längst nicht alle ins öffentliche Sozialversicherungssystem ein. Wer ein hohes Einkommen hat, hat in der Regel eine private Krankenversicherung. Beamt:innen und viele Selbständige und Unternehmer:innen zahlen auch nicht in die Rentenkasse ein. Würden ausnahmslos alle Menschen in Deutschland unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis und der Einkommensart gesetzlich versichert und mit ihrem normalen Einkommen zur Finanzierung der Sozialversicherungen herangezogen, dürfte dies viel Geld in die Kassen spülen.
- Eine solche Sozialversicherung für alle — manchmal auch als Bürgerversicherung bezeichnet — müsste von einer Abschaffung aller Beitragsbemessungsgrenzen begleitet sein. Bisher werden nämlich nur auf Einkommen bis zu einer gewissen Höhe Beiträge eingezogen. Bei der Rentenversicherung liegt diese bei 96.600 Euro und bei der Krankenversicherung bei 66.150 Euro. Das bedeutet, dass Menschen mit sehr hohen Einkommen relativ zu ihren Einkünften viel weniger Beiträge zahlen als Arbeiter:innen mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen. Dabei müsste es genau umgekehrt sein: Wer viel hat, kann auch mehr geben.
- Die Krankenkassen, die Renten- und Pflegeversicherung sowie die Arbeitslosenversicherung sichern als Institutionen den Lebensunterhalt von Beschäftigten ab, z.B. im Alter, wenn sie nicht mehr arbeiten können. Gäbe es sie nicht, müssten die Arbeiter:innen das hierfür notwendige Geld im Zuge ihres Arbeitslebens als Lohn erwirtschaften, um sich gegen Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern. Die Beiträge zu den Versicherungen gehören also zu den Kosten, die erforderlich sind, um die Arbeitskraft als Ware abzusichern, zu reproduzieren. Deshalb sind sie eigentlich zu 100 % Bestandteil des Lohns und müssten voll von den Unternehmen bezahlt werden, welche die Arbeitskraft kaufen und in Anspruch nehmen. Indem die Unternehmen in Deutschland nur die Hälfte dieser Beiträge bezahlen — bei den Krankenversicherungen ist es wegen der Zusatzbeiträge sogar noch weniger — hauen sie ihre Beschäftigten also bereits mit staatlicher Hilfe übers Ohr. Zusätzlich zur allgemeinen Sozialversicherung für alle müssten also auch die Kosten für diese Versicherung bei Arbeiter:innen voll von ihren Unternehmen bezahlt werden.
Über diese Maßnahmen hinaus hindert niemand den Staat daran, Kapitalertragssteuern in einer Höhe einzutreiben, die der bisherigen Abgabenlast für Arbeiter:innen entspricht. Das Geld könnte in einen Topf fließen, der einzig für soziale Ausgaben verwendet werden darf.
Die Phantomdebatten, die von bürgerlichen Politiker:innen im Wahlkampf gerade aufgemacht werden, können Arbeiter:innen immerhin aufgreifen und gegen die bestehenden Ungerechtigkeiten im Sozialsystem und weiteren Sozialabbau kämpfen.