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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Leere Versprechen, alte Kamellen und offene Drohungen – Die Wahlprogramme der Parteien (Teil 1)

Die Bundestagswahl naht und die Parteien buhlen mal wieder um unsere Stimmen. Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt jedoch, dass die Veränderung, die unsere Klasse so dringend benötigt, nicht an der Wahlurne entstehen wird. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof.

Wer sich die Wahlprogramme oder -entwürfe der CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, AfD, Linken, und des BSW durchliest, wird bemerken wie häufig sie sich lediglich in ihrem sprachlichen Ausdruck unterscheiden: Während die CDU/CSU beispielsweise „neue Impulse für mehr Eigentum im Land“ setzen will, möchte die faschistische AfD „ein Volk von Eigentümern“ werden. Unterschiede zwischen dem Programm der SPD und dem der Grünen müssen mit der Lupe gesucht werden.

Während sich gerade in den Programmen der rechten Parteien allzu oft Forderungen finden, die nur als offene Drohungen gegen Arbeiter:innen und Migrant:innen aufgefasst werden können, finden sich in denjenigen der SPD und anderer Parteien zum Teil Vorschläge, die zunächst gar nicht so schlecht klingen mögen. Doch wenn man bedenkt, dass die SPD seit 2008 an vier Regierungen beteiligt war – deshalb beispielsweise die nun schon wieder von ihr geforderte Vermögenssteuer längst hätte wieder einführen können –, entpuppen sich fast alle gesammelten Vorhaben von ihnen als leere Versprechen.

Investitionen in die Wirtschaft

Die Grünen wollen zur Stärkung der kriselnden Wirtschaft z.B. einen „Deutschlandfonds” einrichten, um Unternehmen für Investitionen zu belohnen. Die SPD zieht bei dem ursprünglich von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geäußerten Vorschlag mit und fordert dasselbe. Der Fonds solle anfangs mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden und auch privates Kapital sowie Versicherungen mobilisieren. Die Linke fordert mehr oder weniger das Gleiche, nur dass es statt 100 lieber 200 Milliarden sein sollen. Auch das BSW stellt mit der Einführung eines „Industriefonds” zur Investition in „Zukunftsbranchen“ eine ähnliche Forderung auf.

Die FDP setzt statt solcher Konjunkturmaßnahmen darauf, möglichst bequeme Bedingungen für Kapitalist:innen herzustellen: So sollen lästige Vorgaben zur Einhaltung von Umweltstandards oder Arbeits- und Menschenrechten in der Produktion reduziert werden. Hierzu gehört beispielsweise die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Die FDP will diese gemeinsam mit der CDU/CSU und der AfD abschaffen, während SPD und Grüne an ihr festhalten wollen. Dass eine solche Richtlinie überhaupt zu einer Verringerung von Kinderarbeit und anderen Menschenrechtsverletzungen führen würde, ist aufgrund der Schwierigkeit bei der Durchsetzung der Sanktionen gegenüber Unternehmen aber ohnehin fraglich.

Das Bündnis Sarah Wagenknecht wiederum möchte die „Deindustrialisierung stoppen“ indem wieder auf eine stärkere Bindung an den russischen Imperialismus gesetzt wird: Sanktionen gegenüber Russland sollen abgeschafft und die verbliebene Nord Stream Pipeline wieder in Betrieb genommen werden. Die AfD ist der gleichen Meinung und will zusätzlich die zerstörte Pipeline reparieren. Subventionen will die AfD soweit wie möglich abbauen, vor allem solche mit Bezug zum menschengemachten Klimawandel, den die Partei anzweifelt.

AfD Parteitag: Geschlossen in den Wahlkampf

Die Linke wollen sich als „demokratische Sozialist:innen“ profilieren, fordern dabei allerdings noch nicht einmal die vollständige Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Stattdessen solle der Bund Anteile an Unternehmen in diesen Industrien kaufen, um diese auf diese Weise beeinflussen zu können. Das BSW wiederum will Schlüsselindustrien zu Stiftungsunternehmen machen, die keine Gewinne an externe Anteilhaber:innen ausschütten dürfen.

Finanzen und Steuern

Die SPD wärmt außerdem einige alte Forderungen wieder auf: Die derzeit ausgesetzte Vermögenssteuer solle wie gesagt wieder eingeführt werden. Dies stand bereits 2021 in ihrem Wahlprogramm, geschehen ist seitdem nichts. Ähnlich glaubhaft dürfte also auch ihr Vorschlag erscheinen, in Kooperation mit anderen Ländern eine globale „Milliardärssteuer” einzuführen. Ein weiterer alter Hut, der schon seit der Wirtschaftskrise von 2008 regelmäßig ins Gespräch kommt, ist die Einführung einer „Finanztransaktionssteuer”. Die Linke unterstützt alle diese Forderungen. Die Union, sowie die FDP und die AfD hingegen wollen die Profite der Kapitalist:innen durch die Senkung der Unternehmenssteuer erhöhen.

Das Thema „Schuldenbremse” spaltet die Gemüter: CDU/CSU, FDP, und AfD wollen an ihr festhalten – die SPD, Grüne und BSW wollen sie reformieren, um mehr Investitionen in Deutschlands marode Infrastruktur zu ermöglichen – die Linke will sie abschaffen.

Rechte von Arbeiter:innen und Arbeitslosen

In Bereich der Arbeiter:innenrechte profiliert sich die FDP – wie zu erwarten – durch ihre offene Verachtung unserer Klasse: So solle das Streikrecht „modernisiert“ werden, beispielsweise durch zwingende Schlichtungsvereinbarungen zu Beginn von Tarifverhandlungen und Mindestankündigungsfristen. Statt einer täglichen solle eine wöchentliche Höchstarbeitszeit eingeführt werden – eine Forderung, die von der CDU/CSU geteilt wird. SPD und Grüne demonstrieren wiederum ihre Nähe zu den gelben Gewerkschaften und wollen die Tarifbindung erhöhen.

Fast immer, wenn Parteien davon sprechen, dass sich Arbeit wieder lohnen müsse, reden sie nicht von angemessenen Lohnerhöhungen, sondern davon, die Situation für Arbeitslose zu verschlechtern: Die FDP findet, dass das Bürgergeld zu stark gestiegen sei. Sanktionen müssten ebenfalls erhöht werden. Auch solle die „Besitzstandregel” abgeschafft werden, die bisher garantiert, dass bereits vor Erhalt des Bürgergelds genehmigte Leistungen wie Bildungszuschüsse an Kinder weitergezahlt werden. Die CDU liegt weitestgehend auf der gleichen Linie, mit dem eher rhetorischen Unterschied, dass sie das Bürgergeld wieder abschaffen will.

Die AfD geht besonders aggressiv vor und will Arbeitslose, die „Angebote verweigern“, zu gemeinnütziger Arbeit zwingen. Doch auch das BSW, das sich gerne als Partei des kleinen Mannes profiliert, schreibt mit Blick auf die Arbeitslosenversicherung: „Wer Maßnahmen ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit Konsequenzen rechnen.“

SPD, Grüne und Linke wollen allesamt einen Mindestlohn von 15 Euro einführen, wobei sie zum Teil unterschiedliche Vorstellungen davon haben, gemäß welcher Maßstäbe er in der Zukunft steigen soll: Die CDU verspricht gar keine bestimmte Höhe eines Mindestlohns, sondern setzt „auf eine gute Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite“ in einer Mindestlohnkommission.

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Wohnraumkrise

Alle Parteien erkennen die zu hohen Mieten in ihren Programmen als Problem an, glänzen aber nicht gerade dadurch, Abhilfe zu schaffen. Besonders lachhaft ist es, wenn die Linke in ihrem Programm schreibt: „Wir stehen an der Seite von Deutsche Wohnen und Co enteignen“ – dabei waren es in Berlin doch gerade sie und die SPD, die den halbgaren Rückkauf von Wohnungskonzernen absichtlich verschleppt haben. Passiert ist seitdem immer noch nichts.

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Die SPD verspricht, genau wie Grüne, SPD, Linke und BSW, Investitionen in sozialen Wohnungsbau zu tätigen. Hier lässt sich nur erneut darauf hinweisen, dass die SPD an den meisten letzten Regierungen beteiligt war und der Bestand an Sozialmietwohnungen dennoch stetig rückläufig war. SPD und Grüne wollen an der „Mietpreisbremse” festhalten, BSW und die Linke fordern stattdessen einen bundesweiten „Mietdeckel”.

Die CDU/CSU glänzt wie so oft dadurch, von vornherein keinerlei derartige Versprechen zu machen. Stattdessen tut sie so, als läge das Problem daran, dass es zu wenig Wohnbau gäbe, und will deshalb die Vorschriften in der Bauordnung lockern. Die AfD sieht das ähnlich und fordert statt sozialem Wohnungsbau die Erhöhung des Wohngelds – also die Finanzierung hoher Mieten und Profite durch Steuerzahler:innen.

Bildung und Kinderbetreuung

Für die meisten, die in Schulen oder Kitas arbeiten, dürften die Bildungsforderungen der FDP geradezu dystopisch erscheinen: Anstatt dass Kinder und Jugendliche sich zu reflektierten und emotional intelligenten und stabilen Menschen entwickeln, will die FDP sie gemäß der Bedingungen des Marktes formen. Spätestens in der dritten Klasse solle bereits die Notenpflicht einsetzen. Mathematik und naturwissenschaftliche (MINT)-Förderung solle schon in den Kitas stattfinden, und Kindertagesstätten sollten ohnehin Sache des Bildungs- statt des Familienministeriums werden.

Künstliche Intelligenz (KI) müsse in den Unterricht integriert und das Lehramtsstudium an KI-Kompetenzen ausgerichtet werden. In einem Punkt stimmen FDP und BSW überein: Kinder sollen verpflichtende Sprachtests ablegen (laut BSW schon ab 3 Jahren), und nach Wunsch der FDP ohne ausreichende Deutschkenntnisse gar nicht erst eingeschult werden. Dass Kinder mit Migrationshintergrund Deutschkenntnisse doch eigentlich gerade durch den Kontakt zu Gleichaltrigen in der Schule erwerben, scheint der FDP nicht bekannt oder egal zu sein.

SPD und Grüne heben auch hier das viele Geld hervor, dass sie für Kitas und (oft marode) Schulen ausgeben wollen. Ein interessantes Versprechen, wenn man bedenkt, dass die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein gerade die Gelder für Kitas und Schulen gekürzt und gleichzeitig die Hortgruppen vergrößert hat. Auch kostenloses gesundes Schulessen versprechen SPD, Grüne und auch die Linke. Die Linke stellt darüber hinaus die durchaus sinnvolle Forderung auf, das mehrgliedrige Schulsystem durch „eine Schule für alle“ zu ersetzen, Hausaufgaben abzuschaffen und der Bundeswehr zu verbieten, Werbung an Schulen zu betreiben. Letzteres wird auch von dem sich als Friedenspartei profilierenden BSW vertreten.

Gesundheit, Rente, LGBTI+

Die meisten Parteien erkennen die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege an, selten aber, dass die Profit-Logik der Krankenhäuser dessen Ursprung begründet. So stellt die AfD ausnahmsweise mit der Abschaffung der Fallpauschalen und dem Stopp der Privatisierung sinnvoll klingende Forderungen, um ihre Wählerschaft zu überzeugen, sieht das ursächliche Problem aber in „finanziellen Fehlanreizen“ und einem „enormen bürokratischen Aufwand“.

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Während die meisten Parteien ein Rentenalter vorschlagen, das nach einer gewissen Zahl an Arbeitsjahren abschlagsfrei erreicht werden kann (beim BSW ist es z.B. das Alter von 63 nach 45 Jahren Arbeit), will die FDP „flexible“ Renten: Je später man in Rente gehe, desto höher solle die Rente sein. Wie hoch denn genau, verrät sie nicht. Dafür fordert sie, dass ein Teil der Rente in einen Aktienfonds (also quasi in Spekulation) angelegt werde.

Die AfD trägt ihren Hass gegenüber Transpersonen besonders offen zur Schau und will „Pubertätsblocker und nicht medizinisch indizierte Eingriffe zur Änderung des Geschlechts verbieten“, anscheinend sogar für Erwachsene. Auch das BSW bedient transphobe Vorurteile zu Transpersonen als Sexualstraftäter und will Geschlechtswechsel wieder nur durch ärztliche Gutachten ermöglichen. Und die CDU will gleich das neue Selbstbestimmungsgesetz rückgängig machen, während SPD und Grüne es behalten wollen. Die Linke wiederum hebt die Sonderregelungen, dass Geschlechtsänderung im Kriegsfall nicht möglich ist und Geflüchtete von Geschlechtsänderungen ausgeschlossen werden, kritisch hervor und will das Selbstbestimmungsgesetz dahingehend erweitern.

Klima und Umwelt

Die Grünen werden ihrem Namen kaum mehr gerecht und in Sachen Klimaschutz von der Linken an mehreren Stellen überboten – wobei dies der Linkspartei, die ohnehin keine Chance auf Macht und Einfluss hat, auch leicht fallen kann. So nährt sie die Illusion, dass der Kapitalismus durch bloße Reformen zum Sozialismus werden könne. Während die Grünen am Ziel der Klimaneutralität bis 2045 festhalten wollen, unterbietet die Linke sie mit 2040, derweil die FDP mit einem Ziel von 2050 der Industrie „mehr Zeit“ geben möchte. Die AfD leugnet den menschengemachten Klimawandel einfach generell, will aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen und sieht in Windrädern die größte Gefahr und „Schande” für die Umwelt.

Die CDU/CSU möchte die umstrittene Carbon Capture and Storage (CCS) einführen. Hierbei sollen Klimaabgase in Böden und Meeren gelagert werden – ein Prozess, der zum einen selbst sehr CO2-intensiv ist und zum anderen Risiken wie Risse in den Böden oder sogar Erdbeben in sich trägt. Wer jetzt denkt, dass die Grünen diese Technik ablehnten, irrt sich – auch sie befürworten CCS zähneknirschend und mit ein paar Einschränkungen.

Das BSW möchte, ebenso wie die CDU, AfD und FDP, das für 2035 geplante Verbot von Verbrennermotoren rückgängig machen. Auch den CO2-Preis möchte das BSW kippen, der die Kosten zu sehr auf die Verbraucher:innen und Arbeiter:innen abwälze. Um diese zu entlasten, hatte die Ampelregierung eigentlich ein Klimageld versprochen. Auch dieses Versprechen wurde – wie so viele andere – bisher aber nicht erfüllt. Das zeigt uns umso mehr, dass uns ein gerechtes Wirtschaftssystem, echter Klimaschutz, sowie gute Bildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem nicht an der Wahlurne geschenkt werden – wir müssen dafür kämpfen!

In der kommenden Woche folgt ein Blick auf die Forderungen der Parteien zu Krieg, innerer Sicherheit und Migration (Die Wahlprogramme der Parteien, Teil 2).

Jens Ackerhof
Jens Ackerhof
Perspektive-Autor seit 2023. Wohnort: Hamburg. Kommentare verfasst er häufig über bürgerliche Politiker:innen und deren Propaganda. Seine Lieblings- und Haustiere sind Ratten.

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