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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Noch Menschen oder schon Tiere? – Wie deutscher Journalismus Palästinenser:innen entmenschlicht

Palästinenser:innen werden seit Beginn des Gaza-Krieges im deutschen Journalismus immer wieder entmenschlicht. Auch in der Berichterstattung zum kürzlichen Geiselaustausch ist der deutschen Presse kein Mittel zu schade, um den Widerstand der Palästinenser:innen zu delegitimieren: Vom pauschalen Terrorismusvorwurf gegenüber der Zivilbevölkerung bis zum abstoßenden Tiervergleich. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

Spätestens seit dem Beginn des Gaza-Kriegs sind Palästinenser:innen einer zunehmenden und in großen Teilen systematischen Entmenschlichung durch den deutschen Journalismus ausgesetzt. Zu Gunsten pro-zionistischer Propaganda ist der deutschen Presse kein Mittel zu schade: Vom pauschalen Terrorismusvorwurf gegenüber der Zivilbevölkerung bis zum entwürdigenden Tiervergleich.

In der Berichterstattung zu Palästina zeigt sich, wie der Anspruch auf sorgfältige journalistische Recherchearbeit sowie sämtliche ethische Standards hinter die Interessen von Staat und Kapital zurücktreten müssen. Ein paar Beispiele:

Noch Menschen oder schon Tiere?

„Nein, Tiere habe die Würde, die diese Idioten nicht haben.“, kommentiert z.B. die WDR-Moderatorin und Produzentin Bettina Böttinger ein Video auf der Plattform X in einem mittlerweile gelöschten Tweet. Sie bezieht sich damit auf ein Video, auf dem Palästinenser:innen über die Freilassung palästinensischer Gefangener, die am Sonntag stattfand, jubeln.

Für eine Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks scheinen Palästinenser:innen in Sachen Würde damit sogar unter Tieren zu stehen (?). Solche Vergleiche kennt man sonst nur aus dem faschistischen Lager. Dass der ursprüngliche Post, den Böttinger auf X zitiert, von einem reaktionären Trump-Supporter stammt, der über ein Großisrael zu fantasieren scheint, war Böttinger in dem Moment vermutlich egal. Oder fast noch schlimmer: Sie hat es entgegen ihrem journalistischen Auftrag gar nicht erst nachgeschaut.

Minderjährige Gefangene und Frauen: Nichts als „Nachschub für die Terroristen“

„… Ganz davon abgesehen, dass sich Israel erpressbar zeigt. Weil im Gegenzug für drei Geiseln neunzig palästinensische Häftlinge freikommen – Nachschub für die Terroristen“, wettert die Kriegsreporterin Susanne Glass in ihrem Meinungsbeitrag in den Tagesthemen am Sonntag. Nicht gerade Qualitätsjournalismus, wenn man bedenkt, dass ein großer Teil der Gefangenen ohne Anklage inhaftiert wurde. Sowie außerdem bekannt ist, dass es in den Vorwürfen teilweise um das bloße Retweeten israelkritischer Inhalte geht. Die bekannteste Gefangene ist Khalida Jarrar, prominente Politikerin der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und Aktivistin für Frauenrechte.

Wie gesagt, kein Qualitätsjournalismus, dafür voll auf Linie mit dem israelischen Staat, der die Gefangenen ebenfalls einfach als „Terroristen“ bezeichnet. Böttinger und Glass sind längst keine Einzelfälle, sie sind vor allem der Beweis, dass die Hetze gegen Palästinenser:innen kein Ding der Boulevardpresse, sondern Standard in der bürgerlichen Medienlandschaft geworden ist.

Der Krieg in Gaza und der drohende Niedergang des Journalismus

„Die Zivilisten in Gaza sind nicht unschuldig“, titelte die Jüdische Allgemeine. Während die Zeitung die Überschrift mittlerweile abgeändert hat zu „Die Menschen in Gaza“, ändert sich am Inhalt des Artikels fast nichts: in ihm werden die Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung legitimiert, indem ihr eine kollektive Verantwortung für die Militäroffensive des 7. Oktobers zugewiesen wird. Die historische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wird ignoriert, ebenso die Tatsache, dass der israelische Staat selbst nach offiziellen Zahlen mittlerweile über 47.000 Menschen in Gaza getötet hat.

Palästinensisches Leid? Darf es nicht geben

Neben den Offentlich-Rechtlichen und der pro-zionistischen Presse beteiligen sich natürlich auch die größten deutschen privaten Medienhäuser an der Hetze gegen Palästinenser:innen. 2024 schoss der in Gaza lebende Fotojournalist Mohammed Salem ein Bild in einer Leichenhalle des Nasser-Krankenhauses in Khan Younis. Dort umarmt die 36-jährige Inas Abu Maamar den Körper ihrer toten fünfjährigen Nichte Saly. Salem wurde für das Foto mit dem „Press Photo Award” des Jahres 2024 ausgezeichnet.

Ende April kommentiert der Journalist Thomas Schmid das Ganze in einem Meinungsartikel in der Welt. Er unterstellt, dass das Bild eine Fälschung sei. Schmid bezeichnet das Foto als „Kitsch“ und den Leichnam des Mädchens als „längliches Etwas“. Einen Beweis dafür, dass das Foto gefälscht wurde, liefert Schmid nicht, dafür aber haufenweise Menschenverachtung.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die BILD-Zeitung, die bereits seit Beginn des Kriegs mit ihrer besonders heftigen Entmenschlichung von Palästinenser:innen aufgefallen ist. Als Israel z.B. das Al-Shifa-Krankenhaus einnahm, wurde dies selbst von der WHO als „völlig inakzeptabel“ bezeichnet. Die BILD hingegen titulierte das Krankenhaus als „Terror-Nest“.

Gute Opfer, schlechte Opfer: Kriegsberichterstattung im Hause Springer

Dass die Entmenschlichung von Palästinenser:innen System hat, ist anhand der schieren Fülle an „Beweisen“ unverkennbar. Offener als beim Axel-Springer-Verlag, dem die BILD gehört, ist sie aber kaum sonstwo. Kein Wunder: Eine Reportage auf der US-Nachrichtenseite The Intercept zeichnet nach, wie der Springer-Konzern von illegalen israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten profitiert.

Palästina ist kein Einzelfall – deutscher Journalismus geht den Bach runter!

Die Berichtserstattung zu Palästina führt uns plastisch vor Augen, dass die deutsche Presse nicht nur unfähig, sondern auch einfach nicht gewillt ist, realitätsnahe sowie faktenbasierte Recherche zu betreiben. Dass die Berichterstattung geprägt ist von Kapital- und Staatsinteressen, zeigt uns nicht nur die Berichterstattung zu Palästina, sondern schauen wir genauer, finden wir unzählige Beispiele zu einer ganzen Bandbreite an brenzligen Themen. Kommt es darin zu Konfrontationen und Auseinandersetzungen oder sogar Morden durch die Polizei, sehen wir immer wieder, wie die Presse ihre Informationen direkt aus den Pressemitteilungen der Polizei bezieht. Von kritisch-distanzierter Berichterstattung meist keine Spur.

Zeitungen im US-Wahlkampf: Wir brauchen unsere eigene Presse

Ein weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Berichterstattung zu den Heizungsgesetzen. Seit fünf Jahren steht hinter dem Axel-Springer-Verlag und somit auch der BILD-Zeitung der US-amerikanische Investmentriese „KKR” (früher Kohlberg Kravis Roberts & Co.). KKR ist weltweit einer der größten Investoren in fossiler Energie. Ein lebendiges Beispiel für die Initiative LobbyControl: Ihr zufolge titelte die BILD zwischen März und August 2023 rund 70-mal etwas vom „Heiz-Hammer“, gleichzeitig freut sich der Konzern über jedwede Berichterstattung gegen erneuerbare Energien.

Während Kritiken am Heizungsgesetz aufgrund der zusätzlichen Belastung für Mietende durchaus berechtigt gewesen waren, sehen wir hier vor allem ein Monopol, das mit seinen Fingern im deutschen Journalismus rummischt. Ein Monopol, das allem Anschein nach seinem Verlag nutzt, um die Öffentlichkeit im eigenen Interesse zu manipulieren.

Kritisch bleiben – proletarische Presse aufbauen!

Für uns muss das vor allem zwei Dinge bedeuten:

  1. Bleib‘ kritisch! Nein, nicht alles, was in der Zeitung steht, ist gelogen. Aber ja, auch hinter den drei größten Verlagen in Deutschland und somit den meisten bürgerlichen Print- und Onlinemedien stehen Monopole und hinter den öffentlich-rechtlichen der deutsche Staat. Staat und Kapital haben eigene Interessen, die sich in ihren Artikeln –  ob Nachricht oder Kommentar – zwangsläufig widerspiegeln. Als fortschrittliche Menschen müssen wir Zeitung lesen, wenn wir auf dem Laufenden bleiben wollen darüber, was in der Welt passiert. Wir müssen dabei allerdings kritisch bleiben, lernen Informationen zu überprüfen und ihre Propaganda zu entlarven.

2. Es muss eine Presse in unserem Interesse aufgebaut werden! Wenn ein großer Teil der Presse die Interessen von Staat und Kapital vertritt, dann braucht die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, nämlich die Arbeiter:innenklasse, eben auch ihre eigene Presse. Als Perspektive haben wir uns genau das zur Aufgabe gemacht: wir wollen über die Probleme unserer Klasse und ihre Kämpfe berichten. Die lausige Berichterstattung deutscher Medien muss uns ein Ansporn sein, unabhängige Pressearbeit wie diese voran zu treiben und zu unterstützen!

Tabea Karlo
Tabea Karlo
Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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