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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Von Kriegstüchtigkeit, Überwachung und politischer Naivität – Die Wahlprogramme der Parteien (Teil 2)

Mehr Abschiebungen, bessere Bewaffnung der Polizei, ein Ausbau von Überwachungstechnologien und eine imperialistische Außenpolitik, die sich entweder mit den USA oder Russland gut stellt – dafür stehen die untersuchten Parteien in ihren Wahlprogrammen zur kommenden Bundestagswahl. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof.

Im zweiten Teil der Analyse werden die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, FDP, AfD, den Grünen, der Linken und BSW mit Blick auf die Themen Migration, innere Sicherheit, sowie Krieg und Aufrüstung untersucht.

Leere Versprechen, alte Kamellen und offene Drohungen – Die Wahlprogramme der Parteien (Teil 1)

Migration: Aufnahmestopp, Abschiebung, weniger Geld für Geflüchtete

„Auch wir haben in unserer Regierungszeit Fehler gemacht“, heißt es im Programm der CDU/CSU. Angespielt wird damit auf Merkels Migrationspolitik, die (trotz zahlreicher Abschiebungen) im heutigen politischen Klima der CDU/CSU nicht mehr rechts genug ist. Um dies zu korrigieren, will die Union nun einen „faktischen Aufnahmestopp“ durchsetzen.

Alle Geflüchteten, die von einem anderen Land innerhalb der EU oder des Schengen-Raums aus nach Deutschland einreisen und dort einen Asylantrag stellen wollen, sollen direkt an der Grenze zurückgewiesen werden. Um solche Grenzkontrollen besser durchzusetzen, müsse in Drohnen, Nachtsicht- und Wärmebildkameras investiert werden. Ganz im Sinne der Festung Europas soll Frontex mehr Personal und mehr Befugnisse erhalten, um eigenständig Grenzabschnitte zu patrouillieren.

„Subsidiärer Schutz” – das heißt die Aufnahme von Menschen, denen in ihrem Herkunftsland schwere Gefahren wie Folter oder Todesstrafe drohen, die aber keinen Anspruch auf Asyl haben – solle EU-weit abgeschafft werden. Vermehrt Abschieben möchte die CDU/CSU sowieso. Wer wiederum noch als Geflüchtete:r in Deutschland bleiben darf, solle kein Recht mehr auf Familiennachzug haben. Geldleistungen sollen drastisch reduziert und durch Sachleistungen ersetzt werden.

AfD fordert mehr „Gewahrsamszentren“ und Abschaffung des Kirchenasyls

Die Migrationspolitik der CDU/CSU ist somit nicht sonderlich weit von derjenigen der AfD entfernt. Denn auch die AfD will einen Aufnahmestopp, mehr Grenzkontrollen, Sach- statt Geldleistungen und die Abschaffung des subsidiären Schutzes. Darüber hinaus spielen Lager eine zentrale Rolle in den Forderungen der AfD – „Gewahrsamszentren“ an der Grenze, Unterbringung Asylsuchender in „zentralen Aufnahmeeinrichtungen“, sowie der Ausbau von „Haft- und Gewahrsamsplätzen“ an internationalen Flughäfen.

Im Gegensatz zur CDU/CSU setzt die AfD bei der Durchsetzung ihrer migrant:innenfeindlichen Politik allerdings nicht auf europäische Kooperation. Stattdessen wollen sie dem Vorbild Dänemarks folgen und sich im Bereich Asyl, subsidiärer und vorübergehender Schutz nicht mehr an der gemeinsamen Politik der EU beteiligen. Die AfD fordert ebenfalls eine Abschaffung des Kirchenasyls. Während so eine Forderung für das Wahlprogramm der CDU/CSU momentan wohl noch zu radikal scheinen mag, wird das Kirchenasyl faktisch bereit jetzt immer häufiger gebrochen.

FDP will Geflüchtete effektiver ausbeuten, SPD macht leere Versprechen über Integrationskurse

Die FDP geht weniger ins Detail im Hinblick auf ihre Migrationspolitik und erscheint in den Forderungen, die sie aufstellt, weitestgehend identisch mit der CDU/CSU. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, Menschen mit Bleiberecht so schnell wie möglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Ihr Motto: „Ein Job ist außerdem der beste Integrationskurs“.

Die SPD hingegen verspricht, Integrationskurse ausbauen und ausreichend finanzieren zu wollen. Wie so oft stellen die Sozialdemokrat:innen hier eine Forderung auf, die ihrer bisherigen Politik widerspricht. So wurden noch in der Ampelregierung drastische Einsparungen an Integrationskursen, wie auch das Abschaffen der Frauenkurse geplant. Im Vergleich zu den bisher genannten Parteien findet sich im jetzigen Wahlprogramm der SPD zwar weniger offen abschiebewütige Rhetorik. Frontex stärken und EU-Außengrenzen stärker kontrollieren will aber auch sie.

Drastische Kürzungen bei Integrationskursen geplant

Nachdem die Grünen innerhalb ihrer eigenen Partei in Kritik geraten waren, Abschiebungen und der Reform des Asylrechts zuzustimmen, spucken sie im Wahlprogramm daher leise Töne: Schwere Straftäter:innen müssten zurückgeführt werden, die freiwillige Rückkehr solle allerdings Vorrang haben.

Rücktritte, Austritte, schlechte Wahlergebnisse – Die Grünen in der Krise

Die Rhetorik des BSW zur Migrationspolitik ist vor allem darauf ausgelegt, die Interessen deutscher Arbeiter:innen und Geflüchteter gegeneinander auszuspielen. Überfüllte Schulklassen seien demnach die Folge von zu vielen aufgenommen Geflüchteten. Ein starker Sozialstaat wiederum funktioniere nur, „wenn nicht jeder in ihn einwandern kann“. Die Positionen des BSW sind ansonsten weiterhin fast deckungsgleich mit denen der CDU/CSU.

Die Linke sticht als einzige der verglichenen Parteien hervor: sie lehnt Abschiebungen ab und fordert bei Straftäter:innen ein reguläres Strafverfahren unabhängig vom Aufnahmestatus. Frontex müsse abgeschafft und das Asylrecht dürfe nicht weiter verschärft werden.

Innere Sicherheit: Linke will Verfassungsschutz „abschaffen“, das BSW die Polizei stärken

Die Linke kritisiert zwar die Polizei und Sicherheitsbehörden, beispielsweise im Hinblick auf rassistische Personenkontrollen und zunehmende Militarisierung, hält sie allerdings für reformierbar. Sie wünscht sich eine Polizei, die „ansprechbar“ ist und „deeskalierend“ auftritt. Dazu will sie den Einsatz von Pfefferspray und anderer Waffen stark einschränken, sowie eine individuelle Kennzeichnungspflicht einführen.

Der Verfassungsschutz müsse außerdem aufgelöst und dessen System von V-Leuten aufgearbeitet werden. Davon jedoch, dass in einem kapitalistischen Staat eine vergleichbare Behörde im Sinne der Bürger:innen eingesetzt werden könne, ist sie überzeugt. So fordert die Linke den Ersatz des Verfassungsschutzes durch eine Beobachtungsstelle „Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.

Das BSW macht wenig konkrete Vorschläge im Bereich der inneren Sicherheit. Die Polizei brauche mehr Personal, um durch verstärkte Präsenz das „Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung zu erhöhen. Auch sollen „sinnvolle Reformen“ – die nicht weiter spezifiziert werden – im Bereich des Strafrechts eingeführt werden. Darüber hinaus kritisiert das Bündnis Hausdurchsuchungen aus dem Anlass der „Politikerbeleidigung“ und will daher diesen Tatbestand wieder aus dem Strafgesetzbuch streichen.

Die Grünen drücken sich ebenfalls bewusst vage aus – wohl um möglichst breite Wähler:innengruppen zu erreichen. So müssten die Polizei, das BKA und der Verfassungsschutz gut ausgestattet, modernisiert und mit mehr „rechtsstaatlichen Befugnissen“ ausgestattet werden, ohne jedoch zu sagen, worin diese denn genau bestünden. Ähnliches findet sich auch im Wahlprogramm der SPD, das darüber hinaus der Polizei auch „KI-basierte Datenanalysen“ erlauben möchte.

Scheinpartizipation durch Bürgerräte, Gründung einer „Freiheitskommission“

Da die SPD es sich auf die Fahne schreibt, die sogenannten „Feinde der Demokratie“ zu bekämpfen, möchte sie Demokratie durch mehr Bürgerbeteiligung attraktiver machen. Hierzu fordert sie „geloste Bürgerräte“. Diese würden Demokratie erlebbar machen und Empfehlungen aussprechen können – Empfehlungen, die dann angeblich in parlamentarische Beratungen einfließen würden.

Die Entscheidungen sollten jedoch weiterhin in den Institutionen wie dem Bundestag gefällt werden. Es handelt sich damit bei den „Bürgerräten” um bloße Scheinpartizipation: den Menschen soll das (trügerische) Gefühl gegeben werden, sie hätten einen direkten Einfluss auf die Politik der Herrschenden.

Auf ähnliche Weise möchte die FDP den Anschein wahren, Freiheitsrechte nicht im Sinne der Sicherheit zu opfern, indem sie eine unabhängige „Freiheitskommission“ fordert, die neue Überwachungsgesetze überprüfen solle. Die Vorratsdatenspeicherung, die bei der letzten Innenministerkonferenz im Zuge des Sicherheitspakets noch diskutiert wurde, lehnen sie immerhin ab. Nicht so jedoch die CDU/CSU, die neben dieser verpflichtenden Speicherung von IP-Adressen der Polizei auch eine „umfassende Befugnis zur elektronischen Gesichtserkennung“ geben möchte. Eine solche Gesichtserkennung will die CDU/CSU auch in Überwachungskameras im öffentlichen Raum integrieren.

„Sicherheitspaket“ – Kommt die Vorratsdatenspeicherung?

Union und AfD einig: Strafmündigkeit herabsetzen!

Die CDU/CSU will Menschen aber nicht nur besser ausspionieren, sondern auch härter bestrafen. Dafür will sie prüfen, ob das Mindestalter für Strafmündigkeit herabgesetzt werden könnte. In diesem Fall ließen sich sogar unter 14-Jährige bereits verurteilen. Die AfD stimmt dem zu und drückt es lediglich klarer aus: die Strafmündigkeit müsse auf 12 Jahre herabgesetzt werden.

Während derzeit der § 129 genutzt wird, um Menschen nicht aufgrund einer konkreten Straftat, sondern wegen der bloßen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“ zu verurteilen, will die CDU/CSU noch einen Schritt weiter gehen: Allein das „Werben“ für eine Organisation, die der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ widerspreche, müsse künftig strafbar werden. Ebenso müsse das Leugnen des Existenzrechts Israels künftig eine Straftat werden.

§ 129 – Kriminalisierung von linkem Widerstand, auch im Fall von Lina E. und der „Letzten Generation“

Wie so oft muss man sich fragen, worin die oft beschworene „Brandmauer” der CDU/CSU gegen die AfD denn eigentlich besteht – so viele Positionen teilen sich beide Parteien: Unabhängige Beobachtungsstellen für die Polizei wollen nämlich beide abschaffen. Verbesserte Bewaffnung und Ausrüstung der Polizei fordern ebenfalls beide, durch die CDU/CSU sogar noch konkretisiert durch den künftigen Einsatz von Tasern, also Elektroschockpistolen.

Krieg und Aufrüstung: Linke will europäisches Sicherheitsbündnis

Im Bereich von Krieg und Aufrüstung zeigt sich erneut die (vielleicht bewusste?) Naivität der Linkspartei. Korrekterweise kritisiert sie die NATO als „reines Militärbündnis zur Durchsetzung nationaler und wirtschaftlicher Interessen“. Völkerrechtsbrüche der NATO-Verbündeten wie der Türkei oder USA nennt sie als Grund für die geringe Glaubwürdigkeit der Institution.

Die Lösung? Eine „gemeinsame Sicherheitsarchitektur für Europa“, welche die NATO mittelfristig ersetzen und langfristig auch Russland und die Türkei miteinbeziehen solle – vorausgesetzt, diese beendeten ihre Angriffskriege. Erneut ist kaum verständlich, was sich denn an der imperialistischen Logik, den Profiten der nationalen Monopole und der Durchsetzung der eigenen geopolitischen Interessen ändern würde, wenn die eine Institution einfach durch eine andere ersetzt würde.

Stärkere Nähe zu Russland, mehr „deutsche Werte“ in der Bundeswehr

Und dennoch findet sich eine fast identische Forderung beim BSW, das ebenfalls eine „stabile Sicherheitsarchitektur für Europa“ unter dem langfristigen Einbezug Russlands fordert. Eine innere Logik hat jedoch die Außenpolitik des BSW: die erneute Anbiederung des deutschen an den russischen Imperialismus. Dies würde die Interessen eines Teils der herrschenden Klasse, beispielsweise nach niedrigeren Energiepreisen befriedigen. Im Gegenzug kann sich das BSW als Friedenspartei profilieren, die gegen Aufrüstung und das Zwei-Prozent Ziel der NATO wettert und Deutschland nicht „kriegstüchtig“, sondern „friedenstüchtig“ machen möchte.

Zwar möchte auch die AfD die Beziehungen zu Russland normalisieren und in ferner Zukunft die NATO durch ein europäisches Bündnis ersetzen. Mehr als das BSW pocht sie jedoch darauf, die „Wehrfähigkeit Deutschlands“ wiederherzustellen. Dafür müsse die Bundeswehr mit mehr Personal und besserer Ausrüstung ausgestattet werden. Letztlich gönnt sich die AfD auch noch eine ordentliche Portion faschistischer Rhetorik, indem sie fordert, die Bundeswehr müsse „wieder einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen“. Sie hebt die „Tugenden“ deutscher Soldaten hervor: „Ehre, Treue, Kameradschaft, und Tapferkeit“.

Kriegstüchtig und verlässliche Partner der USA

Alle restlichen Parteien inszenieren sich als verantwortungsbewusst im Kontext der Zeitenwende und bereit, Deutschland kriegstüchtig zu machen. Die SPD hält die NATO für unverzichtbar und beteuert, zukünftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Kriegsausgaben zu investieren. Auch die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland wird positiv hervorgehoben, ebenso wie die „Brigade Litauen“, mit der erstmals deutsche Truppen dauerhaft im Ausland stationiert werden sollen. Ein auf Freiwilligkeit basierender Wehrdienst solle eingeführt werden – ob es dabei bleiben würde, ist fraglich. Diese Forderung wird auch von Grünen geäußert.

Die langen Vorbereitungen des Klassenkampfs von oben

Die Grünen schwören, „ein verlässlicher Verbündeter der USA“ bleiben zu wollen. Außerdem müsse die Naivität in der Politik gegenüber China – bezeichnet als „systemischer Rivale, Wettbewerber und Partner“ – beendet werden. Um stark gegen China aufgestellt zu sein, müsse auch die Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Indopazifik verstärkt werden. Zwar bekunden die Grünen Mitleid mit dem Leid der Palästinenser:innen, nennen jedoch die von der Hamas genommenen Geiseln als einzigen Grund dafür. Das Existenzrecht Israels bleibe für die Grünen unverhandelbar.

Mehr Waffen für Israel, Aufbau einer Drohnenarmee

So sieht es auch die FDP und geht noch einen Schritt weiter: Israel solle bei Rüstungsexporten mit den NATO-Staaten gleichgestellt werden. Dadurch könnte Israel seinen Genozid gegen die Palästinenser:innen (oder in den Worten der FDP sein „Recht auf Selbstverteidigung“) noch effektiver durchsetzen.

All die soeben zusammengefassten Beteuerungen von Aufrüstung und zunehmenden Kriegseinsätzen finden sich auch bei der CDU/CSU. Ein Unterschied zur SPD und den Grünen besteht darin, dass die CDU nicht auf einen freiwilligen Wehrdienst setzt, sondern ein „verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ fordert. Dieses erscheint in etwa identisch mit der bis 2011 bestehenden Einteilung in Zivil- und Militärdienst. Letztlich macht die CDU/CSU auch einen konkreten Vorschlag zur Aufrüstung der Bundeswehr: „Wir bauen eine Drohnenarmee auf“.

Jens Ackerhof
Jens Ackerhof
Perspektive-Autor seit 2023. Wohnort: Hamburg. Kommentare verfasst er häufig über bürgerliche Politiker:innen und deren Propaganda. Seine Lieblings- und Haustiere sind Ratten.

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