Nun ist es auch offiziell – ab Sonntag gilt zwischen dem israelischem Staat und der Hamas das vor kurzem ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen. Wie geht es jetzt weiter und wie sollten wir als palästina-solidarische Arbeiter:innen darauf reagieren? – Ein Kommentar von Herbert Scholle.
Bis zuletzt war nicht klar, ob das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas auch wirklich am Sonntag in Kraft treten würde, denn es musste noch von der israelischen Regierung gebilligt werden. Dabei hatten vor allem die Faschist:innen in der Regierung, die der Vision eines besonders schnellen Aufbaus eines „Groß-Israels“ folgen, etwas gegen den Deal einzuwenden.
Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, hatte sogar gedroht, die Regierung zu verlassen, falls der Deal angenommen würde. Sein Austritt hätte die Regierung allerdings nicht zu Fall gebracht. Auch Finanzminister Smotrich sprach sich vehement gegen eine Waffenruhe aus. Am Ende wurde das Waffenstillstandsabkommen im Kabinett mit 24 Für- und 8 Gegenstimmen angenommen.
Update: Gegen 19 Uhr (deutsche Zeit) am Samstag kündigte Itamar Ben-Gvir an, dass er und seine Partei Otzma Jehudit (deutsch: Jüdische Stärke) die Regierungskoalition verlassen werden. Insgesamt verlassen damit sechs Knesset-Abgeordnete die Regierung, unter ihnen drei Minister.
Waffenstillstand in Gaza? Fragezeichen hinter dem Deal zwischen Israel und der Hamas
Wie kam es zur Waffenruhe?
Doch wie konnte Premierminister Netanjahu sein Kabinett davon überzeugen, das Abkommen schließlich doch anzunehmen? Schließlich taten sie es nicht aus einem plötzlichen Drang der Nächstenliebe – das beweisen nicht nur die seit der Ankündigung am Mittwoch besonders intensiven Angriffe auf den Gaza-Streifen, bei denen mindestens 119 Menschen getötet wurden. Weder in Wort noch Tat versuchte die israelische Regierung je den Anschein zu erwecken, humanitäre Bedenken aufkommen zu lassen.
Völkermord in Wort und Tat – Die genozidalen Aussagen Israels
Bleiben also noch taktische Kalkulationen: Schließlich war es der israelischen Armee IDF in den letzten 15 Monaten nicht gelungen, ihre Ziele im Gazastreifen umzusetzen. Sucht die Regierung nun also einfach einen Ausweg, um mit gehobenem Kopf aus der Situation heraus zu kommen? Nun ja, das mag sicherlich eine Rolle spielen – ganz erklärt es die Entscheidung aber nicht.
Nicht nur hat die israelische Regierung im vergangenen Jahr oft genug gezeigt, dass sie nicht davor zurückschreckt, diesen Krieg bis zur völligen Auslöschung des Gazastreifens weiterzuführen. Auch der Fakt, dass das Waffenstillstandsabkommen zunächst nur eine Freilassung eines Drittels der verbleibenden Geisel vorsieht, dürfte Netanjahu und seinem Kabinett ein Dorn im Auge sein. Netanjahu hatte selbst immer wieder klargemacht, dass eine Waffenruhe nur mit der Freilassung aller Geiseln oder der vollständigen Zerstörung der Hamas möglich sei.
Druck von Außen
Woran liegt es also stattdessen? Da muss man zunächst einmal die weltweite Protestbewegung erwähnen, die der Genozid in Gaza ausgelöst hat. Diese Waffenruhe ist sicherlich auch ein Erfolg der Bewegung, die monatelang regelmäßig Zehntausende auf die Straßen brachte und auch auf Social Media nicht davon abließ, die Verbrechen der israelischen Regierung anzuprangern. Dadurch konnte ein enormer öffentlicher Druck aufgebaut und aufrecht erhalten werden, der schließlich nicht nur dazu führte, dass Politiker:innen auf der ganzen Welt den Krieg in Gaza zum Teil ihrer Politik und ihres Wahlkampfs machen mussten, sondern auch, dass der Internationale Gerichtshof einen Haftbefehl gegen Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Yaov Gallant erließ.
Der andere Faktor dürften wohl die neuen politischen Dimensionen unter einer US-Präsidentschaft Trumps sein, unter der sich die israelische Regierung nun wiederfindet. Trump, der sich selbst nun als großer Friedensstifter inszeniert, hatte schon vor seinem Amtsantritt bei den Verhandlungen mitgemischt, indem Steve Witkoff – Abgesandter für den Mittleren Osten in Trumps Kabinett – unter der Woche in Doha mitverhandelte. Dabei bleibt allerdings unklar, wie Trump die israelische Regierung vom Abkommen überzeugen konnte.
Tatsächlich wird das nur durch die Zusicherung von US-Unterstützung bei weiteren Konflikten und Angriffen, in die Israel verwickelt ist, möglich gewesen sein. Die IDF kämpft nämlich derzeit auch im Süden Libanons und besetzt große Teile Syriens in der Nähe der Hauptstadt Damaskus.
Doch auch darüber hinaus wird die israelische Regierung in näherer Zukunft auf die Unterstützung der USA angewiesen sein: Möchte man tatsächlich ein Israel vom Nil bis zum Euphrat errichten – wie es im Buch Genesis heißt, das sich viele Zionist:innen in der israelischen Regierung als Richtschnur nehmen – so stehen noch einige Feldzüge bevor.
Israels militärische Expansion – Errichtung eines „Großisraels“?
Doch auch im Inland ist die völlige Annexion des Westjordanlands schon seit Jahrzehnten ein Ziel der zionistischen Idee. Das alles passt auch mit Trumps Ideologie zusammen – er gilt als knallharter Unterstützer Israels in fast allen Belangen.
Was jetzt?
Diese Frage lässt sich in zwei Komplexe unterteilen: Wie geht es weiter für die israelische Regierung? Und wie sollen wir als palästina-solidarische Arbeiter:innen auf die Waffenruhe reagieren?
Ersterer lässt sich recht leicht beantworten: Für die israelische Regierung kommt ein langfristiger Frieden im Gazastreifen, der nicht gleichzeitig die vollkommene israelische Kontrolle über ihn bedeutet, nicht in Frage. Die israelische Regierung mag die Waffenruhe nutzen, um sich auf andere Fronten zu konzentrieren, doch ein langes, berechenbares Anhalten der Situation ist unwahrscheinlich. Darauf deuten auch Aussagen des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich hin: er drohte erneut. aus der Regierung auszutreten, wenn es nicht nach den abgemachten sechs Wochen wieder Angriffe auf den Gazastreifen hagele.
Dementsprechend muss für die Palästina-Bewegung klar sein, dass die Forderung nach einer Waffenruhe zwar eine humanitäre Notwendigkeit, aber lange nicht das Endziel sein kann: Denn für die Menschen in Gaza bedeutet die Waffenruhe nicht mehr als eine temporäre Atempause. Diese Atempause müssen wir auf der ganzen Welt, in Europa und besonders hier in Deutschland nutzen, um uns neu zu orientieren. Das Hauptziel der Bewegung kann nicht einfach ein Ende des Mordens sein. Es muss uns klar sein, dass die einzig befriedigende Lösung des Problems ein Ende der imperialistischen Unterdrückung in seiner Gesamtheit ist.
Und dafür reicht es nicht, nur auf die Straße zu gehen und Netanjahu, seine Regierung und die IDF anzuprangern. Nein, wir müssen auch hier in Deutschland ansetzen: Die BRD ist neben den USA wohl die größte und lauteste Unterstützerin des israelischen Staats und seiner Machenschaften, profitiert von ihnen selbst – sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch – massiv und hilft dem israelischen Staat enorm durch ihre massiven Repressionen gegen die Palästina-Bewegung.
Ein Kampf gegen die Unterdrückung der Palästinenser:innen bedeutet für uns in Deutschland also auch einen Kampf gegen den deutschen Imperialismus.