Im Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl soll an alle gedacht sein. In der Praxis regiert man jedoch mit Sozialabbau und Aufrüstung. Bahnt sich der nächste Verrat nach den Wahlen an? – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.
Am 23. Februar sind Neuwahlen, nachdem die Ampel-Regierung aufgrund unterschiedlicher Lösungsansätze wie der stagnierenden Wirtschaft aus der Krise geholfen werden und wie die steigenden Staatsausgaben bewältigt werden sollen, zerbrochen ist. Dominante Themen im Wahlkampf sind neben der Haushalts- und Wirtschaftspolitik die Migrationspolitik sowie die Umsetzung der inneren und äußeren Aufrüstung. Für diese und weitere Politikfelder hat die SPD mit ihrem Wahlprogramm eine weitere Ausrichtung bis hin zu konkreten Vorhaben und blumigen Versprechungen gemacht. Der Titel: „Mehr für dich. Besser für Deutschland.“
Gemäß dem Selbstverständnis als sozialdemokratische „Volkspartei“ soll dabei an Alle gedacht sein. Dabei dominiert in allen Bereichen das „wir“ und der Bezug auf vermeintliche Erfolge vergangener und aktueller Politik. Die Grenze zwischen vagen Wahlversprechen und der Darstellung vermeintlicher Tatsachen verschwimmt dabei ganz bewusst. Was wohl vom Programm übrig bleibt, wenn man einen Blick hinter die schöne „Verpackung“ der SPD-Politik wirft?
„Ein neuer Aufschwung für Deutschland“
Die Wirtschaft kommt im SPD-Programm zuerst. Während die letzten Daten zur Wirtschaft aus dem Jahr 2024 noch erhoben und ausgewertet werden, lässt sich unter dem Strich schon feststellen, dass es wie im Jahr 2023 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 % ein Krisenjahr war. Das Handelsblatt-Research-Institute (HRI) hatte dabei einen Rückgang von 0,2 % Wirtschaftsleistung für 2024 vorausgesagt. Auch für das kommende Jahr rechnen sämtliche Wirtschaftsinstitute mit der Fortsetzung der Flaute und lassen die Hoffnungen auf eine Erholung schwinden.
Anhaltende Stagnation in der Wirtschaft: Wer profitiert von möglichen Entlastungen?
Während sich führende Monopolkonzerne der Auto-, Metall- und Elektroindustrie in der Überproduktionskrise befinden, droht Deutschland auf wichtigen Exportmärkten von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Abbau von Überkapazitäten und Produktionsverlagerungen ins Ausland zur Senkung der Kosten sind die Folge. Hunderttausende Arbeiter:innen in den betroffenen Branchen bangen um ihre Jobs.
Nach Wunsch der SPD wäre mit einem „Investitionsturbo“ schnell geholfen. Auch mit diversen Subventionen sollen Industriemonopole günstigere Strompreise erhalten. Netzentgelte, die eigentlich für den Ausbau des Stromnetzes dringend notwendig sind, sollen reduziert werden, die Stromsteuer soll weiter auf dem europäischen Mindestniveau bleiben und die Einführung weiterer Preismechanismen ist denkbar. Wie der Wegfall besagter Gelder durch den Netzausbau kompensiert werden soll bleibt offen.
Mit Blick auf die E-Mobilität möchte man Deutschland als Produktionsort erhalten und Anreize für den Kauf setzen. Das wurde in der Vergangenheit durch E-Auto-Kaufprämien von bis zu 9.000 Euro aus Steuergeldern realisiert, mit denen Besserverdienern ihr „sauberer“ Drittwagen finanziert wurde.
Wie viel auch von den zu Anfang versprochenen Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Verkehr tatsächlich ankommt ist fraglich. Am Beispiel der im September in Dresden eingestürzten Carolabrücke ist sichtbar wie ernst es die SPD meint. Nicht nur war der SPD-Mann Martin Dulig von 2014 bis 2024 sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, er verweigerte auch höchstpersönlich Gelder für die dringend benötigt Sanierung und überließ es dem Zufall, ob durch den Brückeneinsturz, der dann tatsächlich stattfand, Menschen zu schaden kommen. Nur durch Glück kam es nicht zu Toten.
Ob die Investitionen stattfinden oder doch eher nicht: Finanziert würden sie durch die Ausweitung der Verschuldung des deutschen Staates. Dafür soll eine Reformierung der Schuldenbremse stattfinden.
Ein bisschen „Soziales“ gefällig?
Man wäre nicht die SPD, wenn nicht auch ein paar gut klingende Vorhaben für die Arbeiter:innen Teil der Wahlversprechungen wären. „Beschäftigte“ und ihre Familien sollen entlastet werden.
Zum Beispiel durch günstigen Wohnraum. Mithilfe von Marktinstrumenten hofft man Einfluss auf die explodierenden Mieten in den Städten zu gewinnen. Außerdem möchte man den Wohnungsneubau durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften stärken – ein Versprechen, das seit Jahren nicht gehalten werden konnte. Unterm Strich sinkt die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland.
Wie ernst man es mit den Interessen der Mieter:innen meint zeigt auch das Beispiel Berlin: Nach der Wende wurden gemeinsam mit den Linken zehntausende Sozialwohnungen an private Immobilienkonzerne verkauft, die jetzt teilweise wieder zurückgekauft werden. Die Gewinner der Wohnpolitik: Deutsche Wohnen und Vonovia sowie deren Aktionäre.
Parallel dazu werden Bundes-, Landes- und kommunale Haushalte mit Unterstützung der SPD zusammengespart. Eine wichtige Stellschraube: Die Ausgaben für soziale Hilfsangebote für Familien und Arme. Nicht zuletzt deshalb kommt es auch aktuell zu Protesten wegen Einrichtungsschließungen.
Sozialarbeiter:innen protestieren vor dem Berliner Abgeordnetenhaus
Unter den Einsparungen leiden auch Gewaltschutzprogramme und Frauenhäuser. Auch sie haben mit steigenden Kosten zu kämpfen. Die unzureichende Finanzierung der wenigen Plätze die es gibt, bereitet im Arbeitsalltag der Einrichtungen Probleme. Obwohl in Deutschland 2023 durchschnittlich jeden Tag eine Frau ermordet wurde, blieeb man auch an dieser Stelle Betroffenen von Gewalt eine Antwort schuldig: Das Gewalthilfegesetz wurde entgegen der Wahlversprechen nicht von der Ampelregierung verabschiedet. Auf der Ebene der EU-Gesetzgebung sorgte man sogar mit seinem Einspruch gegen eine einheitliche Bestrafung von Vergewaltigungen nach dem Motto „Nur Ja, heißt Ja!“
EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Deutschland sagt Nein zu „Ja heißt Ja“
Klientelpolitik in der Zeitenwende
Wo aus Sicht des deutschen Staates und der Konzerne der Fokus liegt ist jedoch klar: Der Aufrüstungskurs der Zeitenwende, begonnen von der Ampelregierung, wird sicher fortgesetzt. Die Bundeswehr soll modernisiert und das NATO-Ziel eines Wehretats von mindestens 2 % der Wirtschaftsleistung soll eingehalten werden. Zur geplanten Stationierung von US-amerikanischen Langstreckenwaffen in Deutschland bekennt man sich im Programm genauso klar wie zur dauerhaften Stationierung der Litauen-Brigade der Bundeswehr an Russlands Grenze.
Die Zusammenarbeit der europäischen Rüstungsmonopole im Rahmen einer „europäischen Verteidigungsunion“ möchte man vertiefen. Auch die Aufstellung immer mehr gemischter Kampfbataillone wird in der Kooperation zum Beispiel mit den Niederlanden erprobt und soll weiter vertieft werden. Nicht zuletzt soll auch ein „flexibler Wehrdienst“ her. Dabei richtet sich die Flexibilität nach den aktuell benötigten Rekrutenzahlen der Bundeswehr.
Und auch mit „Frieden und Freiheit“ im eigenen Land möchte man nicht sparen. Sonst könne man nicht „sich in Deutschland sicher und Zuhause fühlen“. Dafür sollen Polizeibehörden aufgerüstet und mit neuen Befugnissen ausgestattet werden. Die Aufstockung des Personals in sämtlichen Behörden sei notwendig um den Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Auch die föderalen Unterschiede in den Versammlungsgesetzen sollen abgebaut werden. Ob das entgegen der Tendenzen vergangener Gesetzesbeschlüsse zum Vorteil der Versammlungsfreiheit sein wird bleibt offen. Am Ende wird es heißen: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation die ich entschieden zurückweise.“ (Bundeskanzler Olaf Scholz zum G20-Polizeieinsatz)
Die Krise lässt sich nicht abwählen
Wirtschaftskrise, Stellenabbau, Krieg in Europa – Der Kapitalismus in Europa steckt in einer Krise, die auch auf Ebene der Staatspolitik zu immer mehr Widersprüchen und Regierungskrisen führt, wie auch zuletzt in Deutschland. Während Staat und Monopolkonzerne mit dem Rotstift regieren und Arbeiter:innen vor existenzielle Ängste stellen, treiben sie diese in die Arme faschistischer Parteien, die mittlerweile viele Regierungen stellen. Diese beschwören Nation und Rasse und verschärfen gleichzeitig mit ihrer neoliberalen Politik die Widersprüche die in der Gesellschaft wirken.
Quer durch die Parteienlandschaft setzt sich der Rechtsruck fort. Grenzen werden gesichert und Abschiebeabkommen geplant. Doch auch mit den klassischen Mitteln der Integration wird versucht, unzufriedene Stimmen für sich zu gewinnen. Geloste Bürgerräte, welche eine rein beratende Funktion haben, sollen nach Wunsch der SPD eine weiter Schnittstelle zwischen Bürger:innen und Politiker:innen schaffen.
Wer nicht auf dieses Versprechen warten möchte um den Politiker:innen der SPD seine Meinung mitzuteilen, kann es ihnen auch persönlich sagen. Zum Bundesparteitag der SPD am 11.02. in Berlin ist eine Protestkundgebung ab 10 Uhr vor dem City Cube, Messedamm angemeldet.