Etwa 70 deutsche Universitäten und Hochschulen verpflichten sich dazu, ausschließlich zu zivilen Zwecken zu forschen. Doch damit könnte bald Schluss sein.
In der militärischen Forschung an Hochschulen geht Deutschland im weltweiten Vergleich einen Sonderweg. In den vergangenen 40 Jahren verpflichteten sich nach und nach etwa 70 von 422 deutschen Universitäten und Hochschulen selbst dazu, sich nicht an militärischer Wissenschaft und Forschung zu beteiligen.
Diese sogenannte „Zivilklausel“ wurde ursprünglich nach dem Zweiten Weltkrieg durch die alliierten Siegermächte den Berliner Unis auferlegt. 1986 wurde sie eigenmächtig an der Uni Bremen und später auch an den größten Universitäten des Landes wie etwa der TU und HU Berlin, Uni Köln, Uni Frankfurt oder RWTH Aachen beschlossen.
Doch spätestens mit der im Februar 2022 von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten „Zeitenwende“ ist diese Regelung der deutschen Politik, der Bundeswehr und den Rüstungsunternehmen ein Dorn im Auge. Im Juli 2024 beschloss die bayerische Landesregierung aus CSU und Freien Wählern ein „Gesetz zur Stärkung der Bundeswehr“. Dieses Gesetz verbietet Hochschulen im Freistaat grundsätzlich die Einführung einer Zivilklausel und verpflichtet Unis dazu, der Bundeswehr relevante Forschungsergebnisse mitzuteilen.
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Einigkeit in Politik und Wirtschaft
Besonders im aktuellen Bundestagswahlkampf gerät die Zivilklausel mehr und mehr durch die deutsche Politik unter Druck. Die FDP-Politikerin und bis November 2024 Bildungsministerin, Bettina Stark-Watzinger, nannte die Zivilklausel „unzeitgemäß“. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will sich für eine Abschaffung der Zivilklausel einsetzen, so steht es auch im Wahlprogramm der CDU/CSU. Auch der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck findet, man müsse „die strikte Trennung von militärischer und ziviler Nutzung und Entwicklung überdenken“.
Streit gibt es dabei auch um „Dual Use“-Zwecke von wissenschaftlichen Projekten. Dabei handelt sich um Forschungsgegenstände, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Aktuell müssen diese noch aufgrund der Zivilklausel abgelehnt werden. Zu „Dual Use“-Zwecken können etwa Messtechnik, Drohnen, Materialforschung, Raketen oder Künstliche Intelligenz gehören. Die Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz Bettina Martin (SPD) teilt die Ansicht, dass ein Ausschluss von „Dual Use“-Forschung angesichts der Zeitenwende „nicht mehr realistisch“ sei.
Auch von EU-Ebene aus steigt der Druck auf deutsche Universitäten. Das EU-Forschungsprogramm „Horizon Europe“ etwa soll ab 2028 für Dual-Use-Projekte geöffnet werden. Das internationale Programm hat für den Zeitraum 2021 bis 2027 ein Budget von etwa 25 Milliarden Euro zur Förderung von Wissenschaftsprojekten. Auch außereuropäische Staaten wie Israel, wo Universitäten direkt dem Militär zuarbeiten, werden gefördert. Viele deutsche Universitäten hätten nach heutigem Stand ab 2028 schlechtere Chancen auf diese Milliardenförderung.
Erwartungsgemäß ist auch die deutsche Rüstungsindustrie Gegner der Zivilklausel. Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) erklärte, man argumentiere seit Jahren gegen die Zivilklauseln und es sei „mehr als überfällig“, sie an deutschen Hochschulen.
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Ist die Zivilklausel haltbar?
Werden es deutsche Hochschulen im zugespitzten Klima von Zeitenwende und Aufrüstung schaffen, die Zivilklausel aufrecht zu erhalten? Bisher ist an noch keiner deutschen Hochschule die Klausel durch äußeren oder inneren Druck gefallen.
In Hessen gründete sich 2022 das Bündnis „Hände weg von der Zivilklausel!“ und hielt bereits zwei „Zivilklause-Kongresse“ ab. Auch in Bayern formierte sich 2023 Widerstand gegen den politischen und wirtschaftlichen Druck auf die Zivilklausel. Ein Bündnis aus Verbänden, Organisationen und Gewerkschaften reichte im Dezember eine Popularklage gegen das Bundeswehrgesetz beim bayerischen Verfassungsgesetz ein.
Doch vor allem finanzielle Aspekte dürften viele deutsche Hochschulen zum Umdenken bewegen. Über die letzten Jahrzehnte wurde Universitäten ein immenser Sparkurs auferlegt. Dadurch stehen immer weniger staatlicher Mittel für die Forschung zur Verfügung. Forscher:innen sind deswegen zunehmend auf Drittmittel angewiesen. Diese stammen meistens aus der Privatwirtschaft.
Wenn also in Zukunft die deutsche Rüstungsindustrie anklopft, wie lange können klamme deutsche Universitäten und Forscher:innen dann noch ablehnen?