Zeitung für Solidarität und Widerstand

Aschaffenburg, München, Villach – wie gedenken wir der Opfer?

Das neue Jahr ist noch jung und schon jetzt dominieren tödliche Anschläge die gesellschaftliche und politische Debatte: Es wird laut nach mehr Abschiebung gerufen, doch den Betroffenen wird nicht zugehört, faschistische Motive werden ignoriert. Warum Solidarität unsere Alternative ist. – Ein Kommentar von Marceline Horn.

In diesem Jahr gab es bereits drei Anschläge mit Todesopfern, die besonders in den Medien, in der Öffentlichkeit und in politischen Debatten viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben: Zuerst der Messerangriff in Aschaffenburg am 22. Januar, dann der Angriff auf die Streikkundgebung der Gewerkschaft ver.di in München am 13. Februar und nun ein weiterer Messerangriff in Villach (Österreich) am 15. Februar. Im vergangenen Jahr schlug auch im September der Anschlag in Solingen große Wellen.

Bei jeder Debatte um diese Fälle steht ein Faktor immer im Vordergrund: Nämlich die Herkunft des Täters. Das Gedenken und die Art des Gedenkens an die Opfer und der Umgang mit den betroffenen Familien und Freund:innen gerät dabei zum großen Teil in Vergessenheit.

Standardablauf: Hetze gegen Migrant:innen

Nach jedem Fall verläuft die „Debatte“ relativ gleich. Mittlerweile wirkt es fast wie ein schematisches Skript, das die Medien und Politiker:innen durchspielen:

Zuerst wird die Herkunft des Täters ermittelt und überprüft, ob dieser „ausreisepflichtig“ oder schon kriminell auffällig gewesen ist. Dass diese „Erkenntnisse” oft ungeprüft und als Fehlinformationen einfach übernommen werden können und werden, hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beim Anschlag in München gezeigt.

Anschließend folgen die Forderungen nach mehr Einschränkungen im Asylrecht und verschärften sogenannten „Sicherheitsgesetzen”, die für uns mehr Überwachung, Einschränkungen im Versammlungsrecht und härteres Vorgehen durch Polizist:innen auch gegen fortschrittliche Kräfte bedeuten. Solche Postulate werden dabei am offensten in Form rassistischer Hetze von der AfD vertreten, doch auch die Grünen begründen mit den Anschlägen, dass Verschärfungen solcher Gesetze für die „Sicherheitsoffensive“ nötig seien. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gibt ganz offen zu, dass sie stolz darauf sei, als einziger Staat in Europa trotz der Taliban nach Afghanistan abzuschieben. Anders sehen es allerdings die Angehörigen, die sich gegen die Instrumentalisierung solcher Anschläge für rassistische Hetze und Gesetze stellen.

Nach Anschlag in München: Angehörige stellen sich gegen Instrumentalisierung

Unter dem Banner von „Frieden, Freiheit und Demokratie“ morden deutsche Waffen in aller Welt mit und lassen Länder wie Syrien kriegszerrüttet zurück, wenn es sich für die Kapitalist:innen dann doch nicht mehr lohnt – oder nehmen wir Afghanistan als anderes Beispiel, wo die Bundeswehr einfach auch mal selbst ein Massaker verübt.
Und die Antwort? Wenn Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, sollen sie jetzt schon an der Grenze abgewiesen werden oder, wenn sie schon da sind, in Lager gesteckt werden, bevor sie wieder abgeschoben werden. Dazu sollen nach der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schlicht mehr Länder zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.

Um die Betroffenen geht es nie

Während aus allen Ecken rassistische Hetze verbreitet wird und die angeblich notwendigen Gesetze verabschiedet werden, wird selten im Namen der Opfer und Angehörigen gesprochen – oder sie werden erst gar nicht beachtet. Während die Schuld der Täter in ihrer Herkunft statt ihrer Ideologie gesehen wird, werden die Hintergründe bei den Betroffenen oft ignoriert. Die Geschichte von Amel und ihrer Tochter Hafsa, die beim Anschlag in München verstorben sind und die Tatsache, dass Amel selbst mit vier Jahren aus Algerien nach Deutschland kam, für die Rechte von Arbeiter:innen kämpfte und sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzte, wird von den Hetze-Antreiber:innen verschwiegen, da sie sich zur Instrumentalisierung nicht eignen.

Auch dass das Ziel des Täters von München eine Gewerkschaftskundgebung war, wird in den Hintergrund gedrängt, wobei sich nicht mit der vermutlich faschistischen Ideologie des Täters und ihrem arbeiter:innenfeindlichen Charakter auseinandergesetzt wird. Anstelle den faschistoiden Charakter der jeweiligen Mörder zu betonen, wird stattdessen die Herkunft genutzt, um die eigentliche Gesinnung zu verschleiern und die Arbeiter:innen weiter untereinander zu spalten.
Wie oberflächlich die Solidarität der Heuchler:innen mit den Betroffenen ist, zeigt sich auch am Fall von Aschaffenburg: rassistische Hetze und Rufe nach mehr Abschiebungen sind nämlich in diesem Fall auch Angriffe auf die Betroffenen – das scheint dann aber egal zu sein.

Nach Mord in Aschaffenburg: Rassistische Hetze von allen Seiten

Ähnlich lässt sich in Villach der Fall nur deshalb leicht instrumentalisieren, weil verschwiegen wird, dass der Täter durch einen vorbeifahrenden – ebenfalls aus Syrien stammenden – Essenslieferanten gestoppt wurde.

Heute jährt sich außerdem zum fünften Mal der faschistische Angriff in Hanau, als ein Deutscher neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordete. Rufe nach mehr Maßnahmen im Kampf gegen den Faschismus, Aufklärung des Falls, mehr Sicherheitsvorkehrungen für migrantische Personen? – Gab es und wird es seitens des Staats wohl nie geben.

Extrem auffällig und beschämend ist auch das Schweigen all dieser rassistischen Schreihälse, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. Denn mittlerweile wird fast jeden Tag eine Frau in Deutschland durch ihren – oftmals deutschen – Ex-Partner, Bruder oder Vater ermordet. Aber klar, am Ende soll trotzdem der Migrant im Allgemeinen an den Femiziden schuld sein.

Wie wir Gedenken können, wurde schon in Solingen gezeigt

Was klar ist: Ausschlaggebend ist vor allem die Ideologie und nicht die Herkunft der Täter. In unserem Umgang müssen wir uns klar gegen reaktionäre, faschistische Weltanschauungen und islamischen Fundamentalismus stellen und dürfen die Herkunft nicht für die Taten der Täter verantwortlich machen.

Im vergangenen Jahr wurde bereits in Solingen gezeigt, welchen Umgang wir mit solchen Fällen zeigen müssen und welche Praxis wir dazu entwickeln können. Als rund 1.000 Menschen auf die Straße gingen, um der Opfer zu gedenken, stellten sie sich klar gegen den islamischen Fundamentalismus, hinderten gleichzeitig Faschist:innen daran, die Gedenkkundgebung für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen und schützten außerdem die Geflüchtetenunterkunft in Solingen.

Gedenken in Solingen – Antfaschist:innen schützen Geflüchtetenunterkunft

Mit der zunehmenden Faschisierung werden vermehrt direkte physische Angriffe auf Migrant:innen, Frauen, LGBTI+-Personen und linke Kräfte verübt. Besonders der faschistische Angriff auf den Verein der Kulturvereinigung türkischer Arbeitsmigrant:innen (ACTIT) und Young Struggle in Paris am vergangenen Sonntag zeigt, dass vor allem jetzt zudem antifaschistischer Selbstschutz wichtig ist: Seien es unsere Vereine, die Demos zum CSD oder Geflüchtetenunterkünfte – wir müssen uns solidarisieren und gegenseitig schützen! Denn den Behörden können wir nicht vertrauen. Wenn sie nicht gerade selbst dabei sind, uns niederzuknüppeln, kommen sie oft zu spät vor Ort an und können nichts mehr tun.

Trotz der Hetze und Spaltung lassen wir uns nicht kleinkriegen. Stattdessen gilt es, an die Opfer zu erinnern, die Betroffenen zu unterstützen und die Alternative der Solidarität aufzubauen. Wir kämpfen gemeinsam als Klasse gegen Faschismus und alle Formen des Fundamentalismus!

Marceline Horn
Marceline Horn
Perspektive-Autorin seit 2024. Sie lebt und studiert in Freiburg und schreibt besonders über Frauen- und LGBTI+ Kämpfe. Photographie-Fan und Waschbären-Liebhaberin.

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