Das Bündnis Sahra Wagenknacht ist knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Die Gründe für das Scheitern geben interessante Aufschlüsse. Doch: Ist das Spiel überhaupt schon aus? Und wie geht es jetzt weiter? – Eine Einordnung von Lukas Mainzer.
Vor etwa einem Jahr gründete sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Abspaltung der Linkspartei. Mit großen Hoffnungen startete die Partei in den Europawahlkampf und die Landtagswahlkämpfe 2024. Mit 6,2 Prozent schaffte sie den Einzug ins Europarlament. In den Landtagswahlen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg zog das BSW aus dem Stand mit 11,8 Prozent, 15,8 Prozent und 13,5 Prozent in die Parlamente ein. In Thüringen und Brandenburg bildet sie sogar die jeweilige Koalitionsregierung.
Doch bei der Bundestagswahl am Sonntag vergangene Woche folgte der erste große Dämpfer: Die Partei scheiterte nach vorläufigem Endergebnis mit 4,972 Prozent der Stimmen denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Laut einem Sprecher der Bundeswahlleiterin fehlen der Partei nur etwa 13.400 Stimmen. Woran scheiterte das BSW bei der Bundestagswahl?
Manipulativ, utopisch, rassistisch: Das BSW stellt sein Europawahlprogramm 2024 vor
Schon jetzt keine Anti-Establishment-Partei mehr
Nach dem Einzug in drei ostdeutsche Parlamente begab sich das BSW in Koalitionsverhandlungen. In Thüringen bildete sich eine fragile „Brombeerkoalition“ gemeinsam mit CDU und SPD, ohne eigene Mehrheit. In Brandenburg entstand eine Koalition nur mit der SPD. Mit den Koalitionsverhandlungen begannen die ersten innerparteilichen Spannungen und Machtkämpfe. Die Sondierungsgespräche in Sachsen scheiterten.
Für die Erfurter Regierungskoalition musste das BSW unter Spitzenkandidatin Katja Wolf Kernthemen aufgeben. So wird etwa die Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland nicht mehr abgelehnt. Das entfachte den Machtkampf zwischen Wolf und Wagenknecht, aber auch weiteren Parteimitgliedern. In Hamburg etwa rebellierten laut Medienberichten zwei Mitglieder kurz vor der Bundestagswahl gegen die Vorsitzende und Namensgeberin, indem sie ohne Absprache einen eigenen Landesverband gründeten.
Bei der Bundespressekonferenz direkt nach der Bundestagswahl erklärte Sahra Wagenknecht, der Eintritt in unter anderem die Thüringer Regierungsfraktion „hat uns Stimmen gekostet.“ Hier sieht sich das BSW bereits mit der harten Realität der Landespolitik konfrontiert, in der „90 Prozent der Landeshaushalte Pflichtausgaben sind“ und somit Wahlversprechen nicht eingelöst werden können. Mit den Regierungsbeteiligungen ist das BSW also schon nach kurzer Zeit keine unverbrauchte Alternative mehr, die sich nach außen gegen das Establishment positionieren kann, sondern Teil des Establishments.
BSW: „Blackbox“, „rotbraun“ oder normale bürgerliche Partei?
Wahlkampfthemen ziehen nicht
Im Wahlkampf fokussierte sich das BSW programmatisch besonders auf zwei Themen. Migration und Kriege, insbesondere auf den Krieg in der Ukraine. Das Thema Migration wurde zum dominanten Wahlkampfthema in Medien und Politik. Wagenknecht erkannte in der Rückschau an, dass die Forderung nach Begrenzung der Migration kein „Alleinstellungsmerkmal des BSW“ sei. Daher konnte sich die Partei damit nicht von anderen abheben. Im Gegenzug schaffte es die Linkspartei, sich im Zuge der Debatte um noch mehr Abschiebungen als einzige Partei abzuheben.
Die Linke rettet sich in den Bundestag – aber rettet sie auch uns?
Auch beim Thema Ukrainekrieg kamen vermutlich aktuelle politische Entwicklungen dem BSW in die Quere. Bei dem Ziel, Verhandlungen mit Russland zu starten, kam ihr der neue US-Präsidenten Donald Trump zuvor. Dabei hatte sich das BSW explizit gegen den US-Imperialismus gestellt und sich eine eigene deutsche Annäherung an den russischen Imperialismus gewünscht. Nun verschiebt sich jedoch die Weltordnung und beide arbeiten zusammen in der Ukraine-Frage – und das BSW versackt in der Bedeutungslosigkeit.
Beschuldigung der Medien und Umfrage-Institute gerechtfertigt?
Bei der Suche nach Schuldigen für die Wahlniederlage greift Wagenknecht neben alten Kamellen wie dem deutschen Parteienrecht, den eigenen Mitgliedern und falsch gesetzten Inhalten auch direkt die Medien und Umfrageinstitute an. Wagenknecht zufolge habe nach den Landtagswahlen 2024 eine „Negativkampagne“ eingesetzt, die sie in ihrer gesamten „politischen Kampagne so noch nie erlebt habe“.
Ob und wie sich die deutschlandweite Medienberichterstattung über das BSW entwickelt hat, lässt sich sicherlich nur mit wissenschaftlichen Methoden zweifelsfrei herausfinden. Dass viele Medienhäuser in Deutschland einem bestimmten politischen Lager nahestehen, ist allgemein bekannt. Sahra Wagenknecht war für das BSW über das gesamte Jahr 2024 trotzdem eine der meisteingeladenen Talkshow-Gäste und wird damit im Verhältnis zu Sitzen im Bundestag überproportional bevorteilt. Lag es also vielleicht doch eher an ihr und ihren zum Teil menschenfeindlichen Ansichten?
Eine negative Berichterstattung über innerparteiliche Streits und „Chaos“ im Anschluss an die Landtagswahlen sind sicherlich auch nicht von der Hand zu weisen. Während der BSW-Bundesvorstand die Streitereien im Hamburger Landesverband im Dezember 2024 noch als „nichtigen Vorgang“ bezeichnete, findet Wagenknecht in dieser Woche nach der Bundestagswahl klare Worte. Sie erwähnte, dass bei vergleichbaren Vorgängen in weiteren Landesverbänden die Partei „nicht überlebt“ hätte. Die Dramatisierung der Medien war hier also durchaus angebracht. Auch das ist also eher ihr selbst und ihrem Parteiaufbau zuzuschreiben.
Neben Medien seien angeblich auch Umfrageinstitute an dieser Kampagne gegen das BSW beteiligt gewesen. Demnach hätte das Institut Forsa das BSW fälschlicherweise auf vier Prozent gesetzt, während andere Institute die Partei noch bei sieben Prozent sahen. Darauf folgte laut Wagenknecht eine „Welle von Artikeln in nahezu allen großen Medien“ darüber, dass es das BSW wahrscheinlich nicht in den Bundestag schaffe. Dass Forsa das BSW knapp zwei Tage vor der Wahl auf drei Prozent einschätzte, betrachtet Wagenknecht als „gezielte Aktion zur Manipulation von Wahlverhalten“.
Auch diese Aussage wird für das BSW schwer zu halten sein. Fehleinschätzungen von Umfrageinstituten von einigen Prozentpunkten sind nicht ungewöhnlich. Es mag zwar auch bei Umfrageinstituten Mauscheleien geben und gegeben haben (mit Geld ist ja bekanntlich alles käuflich heutzutage). Beispielsweise sah Allensbach etwa die Union zwei Tage vor der Wahl bei 32 Prozent und damit fast 4 Prozentpunkte höher als im Endergebnis. Gleichzeitig sahen die allermeisten Institute das BSW in den Wochen vor der Wahl bei maximal 5 Prozent und lagen damit etwa richtig.
Ob sich Wählende so kurz vor der Wahl anhand von Umfragen für ihre Stimme entscheiden, ist ohnehin fraglich. Nach einer Umfrage zur Bundestagswahl 2021 entscheiden sich nur neun Prozent der Wählenden erst am Wahltag für ihre Wahl.
BSW will das Ergebnis „juristisch überprüfen“
In der Bundespressekonferenz hat Wagenknecht zwar die Niederlage anerkannt, trotzdem prüft das BSW aktuell eine juristische Anfechtung des Ergebnisses. Das wird begründet mit über 200.000 Auslandsdeutschen, von denen viele nicht wählen konnten, weil ihre Wahlunterlagen zu spät angekommen seien.
Eine Anfechtung des Ergebnisses ist jedoch nur möglich, wenn klare Wahlfehler vorlagen. Nach Ansicht von Staats- und Parteienrechtlern war das bei der Bundestagswahl aber nicht gegeben. Die verspätete Zusendung von Wahlunterlagen lag demnach an der durch das Grundgesetz vorgegebenen Zeitspanne von 60 Tagen für die Austragung der Neuwahl nach der gescheiterten Vertrauensfrage. Außerdem sei die Briefwahl aus dem Ausland nur eine „zusätzliche Option“, auf die es keinen Anspruch gebe. Wählende hätten demnach auch die Möglichkeit gehabt, vor Ort in Deutschland zu wählen.
Demnach sehen Jurist:innen zwar Handlungsbedarf bei Briefwahlen im Ausland, jedoch halten viele eine Anfechtung durch den Wahlausschuss oder in nächster Instanz gar durch das Bundesverfassungsgericht für unwahrscheinlich. Zusätzlich müssten bei erfolgreicher Wiederholung die im Ausland lebenden Deutschen signifikant häufiger das BSW wählen als der Rest der Bevölkerung. Auch das ist eher unwahrscheinlich.
Wie geht es weiter mit der Partei?
Das BSW befindet sich schon kurz nach der Gründung in einer handfesten Krise. Die Partei kann sich thematisch nicht mehr behaupten und droht an Kämpfen um Macht und Ausrichtung zu zerbrechen. Wagenknechts Auftritt in der Bundespressekonferenz nimmt bei der Suche nach Schuldigen für das Wahlergebnis verschwörungstheoretische Ausmaße an und dürfte wohl kaum neue Unterstützer:innen mobilisieren. So brachten führende Mitglieder der Partei gar „Knicke in Wahlzetteln“ als mögliche Schuldige für die Niederlage ins Spiel.
Schon vor der Wahl kündigte Wagenknecht an, die Partei in diesem Jahr umzubenennen. Das Kürzel BSW soll bleiben und zukünftig für „Bündnis für Sicherheit und Wohlstand“ stehen. Die Parteivorsitzende und Gründerin ermöglicht damit Landesverbänden wie etwa Thüringen, auch formal unabhängiger zu agieren. Und sie macht damit den Weg frei für einen eventuellen Rückzug aus dem Parteiprojekt BSW. Noch vor wenigen Wochen knüpfte sie ihre politische Zukunft an den Ausgang der Wahl. Eins ist klar: Die Partei würde ohne sie noch weniger Überlebenschance haben. Doch Vorsicht, politisch irrelevant ist das BSW noch lange nicht.