Die EU-Kommission will sich für mehr Bürokratieabbau einsetzen. Wer profitiert davon und warum sind es nicht wir Arbeiter:innen? – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Der EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis hat angekündigt, dass die EU-Kommission noch diese Woche einen Fünf-Punkte-Plan zum Bürokratieabbau vorlegen wolle. So sollen europäische Firmen durch weniger Papierkram und weniger strikte Beschränkungen Kosten sparen und wettbewerbsfähiger werden.
Oft steht die Europäische Union, genau wie Deutschland, dafür in der Kritik, einen aufgeblähten bürokratischen Apparat und zu viele Regelungen, Pflichten und Beschränkungen für die Wirtschaft aufgebaut zu haben. Immer wieder fordern Politiker:innen deshalb einen solchen „Bürokratieabbau“, bei dem es meistens darum geht, den Beamtenapparat zu verschlanken, Regelungen zu lockern oder ganz abzuschaffen.
Doch in den allermeisten fällen passiert das nicht im Interesse der Arbeiter:innen, die sich mit hunderten von Briefen herumschlagen und für die jeder Gang zum Amt eine Qual ist. Sondern es gechieht im Interesse der Kapitalist:innen und Unternehmen, die dann an weniger Gesetze einhalten müssen und so „effizienter“, also profitabler werden können. Auch das, was bereits über den Fünf-Punkte-Plan der EU-Kommission bekannt ist, schlägt in diese Kerbe.
5-Punkte Plan
Die geplanten Vorschläge der EU-Kommission sehen unter anderem vor, „ineffiziente Anforderungen für Papierformulare“ bei der Produktsicherheit aufzuheben und die Ausnahmen, die es für kleinere Unternehmen gibt, auch größeren Unternehmen einfacher zugänglich zu machen. Übersetzt heißt das: den Kapitalisten wird es einfacher gemacht Schlupflöcher zu nutzen, Regularien zu umgehen und potenziell gefährliche Produkte auf den Markt zu bringen.
Auch in der Landwirtschaft will man „Quellen der Komplexität und exzessiver bürokratischer Belastung“ abschaffen. Was genau damit gemeint ist, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig sollen auch Klimaschutzgesetze, die im Rahmen des „Green Deal“ beschlossen wurden, abgeändert werden. So soll ausländischem Kapital – zum Beispiel über Lockerungen beim CO2-Grenzausgleichsmechanismus – der Zugang zum EU-Markt erleichtert werden.
Für 80 Prozent der Importeure soll diese Abgabe in Zukunft wegfallen. Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus ist eine Gebühr auf Stahl, Aluminium, Zement und Düngemittel, die eingeführt wurde, um den Wettbewerbsnachteil von EU-Unternehmen auszugleichen, die einen Emissionsausgleich zahlen müssen.
Gleichzeitig sollen Investoren über einen einfacheren Zugang zum Programm InvestEU und dem europäischen Fond für strategische Investitionen (EFSI) das Geschäft leichter gemacht werden. Außerdem sollen die Berichtsanforderungen an Unternehmen niedriger werden. Dafür sollen unter anderem Änderungen am Gesetz zur Cybersicherheit (CSA) vorgenommen werden. Insgesamt will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die Berichtspflicht um 25 Prozent verringern.
All diese Gesetzesänderungen und neuen Regulationen will die Kommission am liebsten so schnell wie möglich mit Hilfe des sogenannten „Omnibus-Verfahrens“ durchbringen. Es sollen also immer direkt mehrere Gesetzesänderungen auf einmal – eben so, als wären sie in einem Bus – vorgeschlagen werden – eine Methode, die viele wohl von Javier Milei, dem Präsidenten Argentiniens kennen. Nur, dass er nicht mit dem Bild eines Omnibusses, sondern mit der Kettensäge arbeitet.
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Lobby-Treffen mit Scholz
Dass dieser „Bürokratieabbau“ den Arbeiter:innen Deutschlands und der EU überhaupt nichts bringen wird und im Interesse der Unternehmer:innen liegt, erkennt man auch daran, dass die Vorschläge zum großen Teil direkt von den Industrieverbänden und Aufsichtsräten deutscher Monopole kommen. Durch einen kleinen Umweg über Olaf Scholz haben die Forderungen der Industriellen ihren Weg in die Spitze der EU-Kommission gefunden.
Ende Oktober traf sich Scholz im Kanzleramt zu einem Treffen hinter verschlossenen Türen mit einer ganzen Reihe an Wirtschaftsvertreter:innen. Die Teilnehmerliste ist lang und milliardenschwer, und auch Gewerkschaftsspitzen waren geladen: der Bundesverband der Deutschen Industrie; Wirtschaftsvereinigung Stahl; Verband der chemischen Industrie; Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau; BASF; Mercedes Benz Group; BMW; Volkswagen und Porsche; Wacker Chemie; Siemens; Bayer; SAP; Deutscher Gewerkschaftsbund; IG Bergbau, Chemie, Energie und die IG Metall.
Die Forderungen der Industriellen bezogen sich unter anderem auf die Verbreitung von Wasserstoff, Hilfe beim Aufbau von E-Mobilität, Unterstützung für die Stahlindustrie und die Verschiebung von Berichtspflichten, zum Beispiel für Nachhaltigkeitsrichtlinien. Allesamt Forderungen, die Scholz teilweise fast wortgleich in einem Brief an die EU-Kommissionspräsidentin weitergeleitet hat, deren Behörde jetzt wiederum einen Plan zum Bürokratieabbau vorstellen will, in dem teilweise wieder dieselben Forderungen vorkommen.
So wird aus den Aufsichtsräten über das Kanzleramt und von dort direkt weiter in die EU-Kommission und so alle Länder der EU mitregiert – eine Art der Politik, die nicht mehr viel mit Demokratie zu tun hat und bei der nie wesentliche Verbesserungen für uns herausspringen werden.