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Bundesgerichtshof: Recht auf Kriegsdienstverweigerung kann ausgesetzt werden

Dem ukrainischen Geflüchteten M. droht die Auslieferung an die Ukraine. Dort muss er trotz Verweigerung mit der Einberufung ins Militär befürchten. Laut BGH kein Grund gegen eine Auslieferung. Auch nach deutschem Recht dürften Kriegsdienstverweigerer eingezogen werden.

2023 ersuchten die Strafverfolgungsbehörden der Ukraine die Auslieferung eines nach Deutschland geflohenen Ukrainers. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 2018 einen Polizisten beleidigt und angegriffen zu haben. Im Falle seiner Auslieferung würde dem Geflüchteten eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren drohen.

Bei einer Anhörung nach seiner vorläufigen Festnahme im Mai 2024 äußerte seine Pflichtverteidigung zudem noch eine weitere Befürchtung: So könne nicht ausgeschlossen werden, dass ihr Mandant nach dem Strafverfahren in die Armee eingezogen und an die Front geschickt werde.

Der Ukrainer gab an, „anti-politisch und gegen den Krieg“ zu sein. Die Möglichkeit, jemanden im Dienst an der Waffe zu töten, könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Er hatte eineinhalb Jahre Grundausbildung bei der Armee geleistet und dann die Armee verlassen. Die Anforderungen, die dort an die Rekruten gestellt worden seien, wären „ganz schlimm“ gewesen. Allerdings ist in der Ukraine die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern, derzeit nahezu ausgeschlossen.

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Ukraine: Zwangsrekrutierung, kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Dieses Recht wurde bereits zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgesetzt. Schon vorher war das in der Verfassung von 1991 verankerte Recht stark eingeschränkt und auf Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften beschränkt. Da sich derzeit nicht mehr viele Ukrainer:innen freiwillig zum Militärdienst melden, gibt es nun regelmäßige Rekrutierungswellen – am Arbeitsplatz, aber auch an Bahnhöfen, den Grenzen, auf öffentlichen Plätzen und an weiteren Orten.

Einigen Berichten zufolge wird auch physische Gewalt gegen Menschen angewendet, die sich der Einberufung entziehen wollen. Auf Widerstand gegen die Rekrutierung ist eine Strafe von bis zu fünf Jahren angesetzt. Auch soll die Armee bereits Soldat:innen daran gehindert haben, zu ihrer Gerichtsverhandlung wegen Kriegsdienstverweigerung zu erscheinen.

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BGH: Auslieferung auch bei drohendem Kriegsdienst rechtens

Die Gefahr für den ukrainischen Geflüchteten, an die Front geschickt zu werden, ist also sehr real. Das Oberlandesgericht in Dresden fragte deshalb beim Bundesgerichtshof (BGH) nach, ob eine Auslieferung mit dem deutschen Recht vereinbar sei. Am 16.01.2025 entschied daraufhin das BGH: Kriegsdienstverweigerung schützt nicht vor Auslieferung.

Das Oberlandesgericht selbst hatte noch die Verlängerung der Auslieferungshaft angeordnet und beabsichtigt nun, der Auslieferung zuzustimmen, wie der Beschluss des BGH festhält. Es wies in seiner Anfrage an den BGH jedoch auf das „Grundrecht der Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit“ im Artikel 4 des Grundgesetzes hin, das „ohne Einschränkung für jeden gelte, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne“. Daraufhin erwiderte der BGH jedoch, dass es sich beim Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht „um einen integralen Bestandteil der Gewissensfreiheit und damit der Menschenwürde“ handle.

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Zwang zum Militärdienst prinzipiell auch in Deutschland möglich

Des Weiteren führte der BGH aus, dass dieses Recht selbst in Deutschland im Kriegsfall eingeschränkt oder ausgesetzt werden könne. Auch wenn dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Gewissensfreiheit eine hohe Bedeutung zukomme, könne es die deutsche Verfassung durchaus gestatten oder sogar erfordern, „den Schutz des Kriegsdienstverweigerungsrechts in außerordentlicher Lage gegenüber anderen hochrangigen Verfassungswerten zurücktreten zu lassen.“

Es sei daher auch in Deutschland nicht undenkbar, dass Wehrpflichtige „in letzter Konsequenz“ sogar daran „gehindert“ werden dürften, „den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern“. Eine Auslieferung des Geflüchteten an die Ukraine ist nach diesem Urteil nun sehr wahrscheinlich.

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