Die USA und die Ukraine wollen diese Woche ihren „Mineraliendeal“ beschließen. Wie dieses Abkommen in die Geschichte der beiden Länder passt.– Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Diese Woche wollen die Ukraine und die USA ihren „Mineraliendeal“ besiegeln: Künftig sollen 50 Prozent der Einnahmen, die durch ukrainische Bodenschätze generiert werden, in einen Investmentfonds der USA fließen, mit dem die Ukraine beim „Wiederaufbau“ unterstützt werden soll. Zudem sollen die USA auch selbst Zugang zu den Rohstoffvorkommen erhalten.
Ein Handel, der nicht weniger bedeutet als einen riesigen Eingriff in die ukrainische Wirtschaft und die Ausbeutung ihrer Bodenschätze durch die USA – und das, obwohl US-Präsident Trump den ukrainischen Präsidenten einen Kriegstreiber nennt und die Unterstützung für die Ukraine zusammenstreicht.
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Es ist ein Deal, bei dem der ukrainischen Regierung wohl wenig übrig bleibt, als ihn zu akzeptieren. Um das zu verstehen und um nachzuvollziehen, wie abhängig die Ukraine von den USA ist und in welchem Verhältnis die beiden Staaten zueinander stehen, lohnt es sich, einen Blick in die Geschichte der beiden Länder zu werfen. Außerdem sollte man sich auch kurz das System anzuschauen, das überhaupt erst zum Krieg geführt hat: den Imperialismus.
Das imperialistische Weltsystem
Auch wenn bürgerliche Historiker:innen und Parlamentspolitiker:innen es verneinen: Wir leben im Imperialismus. Verschiedene kapitalistische Großmächte auf der Welt – die USA, Russland, China, Japan oder auch Deutschland – streben nach Hegemonie. Sie wollen diejenigen sein, die politisch, ökonomisch und militärisch den Ton auf der Welt angeben.
Dabei geht es weniger um einzelne Machthaber, die von der Weltherrschaft träumen, weil sie Bösewichte oder Verrückte sind. Es geht um konkrete ökonomische Gesetze und Interessen: Zum einen müssen alle Unternehmen – also auch die immer gigantischer werdenden Monopole – ständig wachsen, nach neuen Handelsrouten, Absatzmärkten, Rohstoffquellen und nach billigen Arbeitskräften streben. Nur so können sie im Konkurrenzkampf bestehen.
Weil es auf der Welt heute aber kaum einen Fleck gibt, der vom Kapitalismus nicht schon erfasst, kaum einen Absatzmarkt, der nicht besetzt wäre, kämpfen die Monopole untereinander um die Neuaufteilung der Welt. Das passiert mit politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen, aber auch militärischen Mitteln. Ausgeführt wird dieser Kampf in erster Linie auf der Ebene der Nationalstaaten, die wiederum im Interesse „ihrer“ Monopole agieren.
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Die Ukraine: Spielball der Imperialisten
Ein zentrales Schlachtfeld dieser oben beschriebenen Neuaufteilung der Welt ist und war Eurasien. Auf der größten zusammenhängenden Kontinentalmasse der Welt lebt ein Großteil der Erdbevölkerung. Es ist also klar, dass Eurasien im Kampf um die Vorherrschaft eine zentrale Rolle einnehmen muss.
Hier kommt die Ukraine ins Spiel: Für den Kampf um die Vorherrschaft in Eurasien war und ist sie von zentraler Wichtigkeit – zum einen wegen ihrer riesigen Mineral- und Rohstoffquellen und der großen Getreideproduktion, zum anderen wegen ihrer geografischen Lage.
Im Südosten bietet sie Zugang zum Schwarzen und zum Asowschen Meer und damit eine Verbindung zum Don, aber auch zum Balkan, zum Bosporus und zum Kaukasus. Im Südwesten ist sie durch die Karpaten geschützt, und von der im Westen gelegenen Stadt Lviv ist es nur ein Katzensprung nach Warschau, Prag oder Berlin und somit nach Zentraleuropa.
Vor allem aber liegt die Ukraine spätestens seit dem Zerfall der Sowjetunion wie eine Pufferzone zwischen den westlichen und östlichen Imperialisten. Doch auch zu Zeiten des Kalten Kriegs war die Ukraine schon von besonderer Bedeutung.
Die Ukraine auf dem Weg zur Abhängigkeit
Das zeigen unter anderem Dokumente über verdeckte militärische Operationen der CIA in der Ukraine, von denen es die ersten schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 gab. Während der Operation „Red Sox“ wurden 85 Agenten mit Fallschirmen über der Ukraine abgeworfen und so ins Land geschmuggelt.
Ihre Aufgabe war es, mehr über die Sowjetunion und ihr Agieren in Europa herauszufinden, eine Basis für mögliche weitere Operationen zu schaffen und den ukrainischen „Widerstand“ gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Aufgegangen ist der Plan kaum. Die allermeisten der Agenten wurde schon kurz nach ihrer Landung verhaftet und hingerichtet.
Trotzdem zeigen diese Dokumente, dass die USA schon lange ein Interesse an der Ukraine haben. Und offensichtlich haben sie auch kein Problem, diesem Interesse mit „schmutzigen Mitteln“ nachzugehen oder einen „ukrainischen Widerstand“ zu unterstützen, der aus Faschist:innen, SS- und Wehrmachtskollarobateuren und Kriegsverbrecher:innen besteht. Eine Tradition, die in der Verehrung des Faschisten Stepan Bandera und dem Bataillon Asow bis heute weiterlebt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren es die USA, die sich am vehementesten für die „Freiheit“, also die Öffnung der Märkte für westliches Kapital in den ehemaligen Ostblock-Staaten eingesetzt haben. Schon damals flossen Milliarden an „Aufbauhilfen“ und Investitionen in die Ukraine, um sie als neuen Kapitalmarkt für die USA zu erschließen. Zu nennen ist hier beispielsweise der FREEDOM Support Act.
Die USA leisteten außerdem Beihilfe bei dem Prozess der Privatisierung von Wirtschaft, sowie Grund und Boden. Sie halfen bei der Erstellung von Patenten und einem kapitalistischen Wirtschaftsrecht, der Ausbildung von Bänkern und der Unterstützung und Finanzierung der neuen bürgerlichen Parteien.
Verschärfung des Konflikts ab 2014
2014 kam es mit dem Euromaidan zu einem der einschneidendsten Ereignisse der jüngeren europäischen Geschichte: In dem, was manche eine demokratische Revolution, andere einen von den USA und anderen westlichen Imperialisten gesteuerten Putsch nennen, wird der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt und durch eine prowestliche Regierung ersetzt.
Wenig später folgen die russische Annexion der Krim sowie Aufstände in den mehrheitlich russisch bevölkerten Regionen im Osten der Ukraine. Der Konflikt erreicht ein neues Niveau. Dass sich an der Organisation der Proteste auch maßgeblich ausländische Akteur:innen beteiligt haben, ist unumstritten.
Wie stark zum Beispiel die USA sich eingemischt haben, zeigt ein abgehörtes Telefonat aus dem Februar 2014 zwischen dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, und der US-Staatssekretärin Victoria Nuland. Die beiden beraten sich – noch vor dem Sturz Janukowitschs – völlig schamlos darüber, wen sie als neue ukrainische Regierung einsetzen wollen.
Der Preis der „Unabhängigkeit“
Gerade unter der Biden-Administration wurde der Einfluss der USA auf die ukrainische Politik noch größer: Durch die enormen Waffenlieferungen, Milliarden von Dollar an finanzieller Unterstützung oder die geheimdienstliche und militärische Unterstützung durch die CIA wurde die Ukraine noch abhängiger von den USA. Der westliche Imperialismus durchdringt die Wirtschaft der Ukraine, mischt sich in die Politik des Landes ein und spricht derweilen vom Kampf um „Unabhängigkeit“.
Eine Unabhängigkeit, die nichts anderes bedeutet als die Abhängigkeit von den Widersachern des russischen Imperialismus, und die das Land de facto zum Vasallenstaat macht. Dass sich jetzt auch noch die Bodenschätze einverleibt werden sollen, die Trump und Musk unter anderem für ihr Megaprojekt „Stargate“ zum Ausbau der KI-Infrastruktur so dringend benötigen, ist also nur die Kirsche auf der Torte.
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Der rauere Ton der neuen US-Regierung gegenüber der Ukraine und die Friedensverhandlungen mit Russland, die ohne Selenskyj stattfinden, sind also keine Abkehr von der Ukraine, sondern ein Ausdruck der Herrschaft der USA über das Land und ihrer imperialistischen Interessen.
Jetzt, wo es mehr und mehr darum geht, sich stärker auf den Kampf gegen den chinesischen Konkurrenten zu konzentrieren, soll der Krieg, den man in den letzten drei Jahren maßgeblich unterstützt und vorangetrieben hat, einfach so beendet werden. Eine Entscheidung, gegen welche die ukrainische Regierung zwar protestieren kann, die sie aber eben als Vasallenregierung letztendlich hinnehmen muss. Egal unter welchen Bedingungen.
Die Ukraine ist kein Einzelfall
Dabei ist nicht zuletzt wichtig zu betonen, dass die Entwicklung der Ukraine und der Kampf verschiedener imperialistischer Mächte um sie keine Besonderheit im Sinne des Verhältnisses zwischen den Parteien darstellen. Hier kommen die Widersprüche zwischen den Interessen der Großmächte und denen des ukrainischen Volkes einfach nur besonders deutlich zum Vorschein.
Auf der ganzen Welt gibt es Länder, die wirtschaftlich vollkommen von imperialistischen Staaten oder Regionalmächten abhängig sind. Dabei ist es auch relativ egal, ob dieses Verhältnis euphemistisch als „Aufbauhilfe“ oder „wirtschaftliche Kooperation“ beschrieben oder direkt durch militärische Macht ausgeübt wird. Effektiv handelt es sich in allen Fällen um vollständig oder teilweise abhängige Neokolonien.