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Die Linke rettet sich in den Bundestag – aber rettet sie auch uns?

Es wird vom „Comeback des Jahres“ gesprochen: Die Linkspartei fährt ein Ergebnis von knapp 9 Prozent ein. Doch während die Partei sich Sitze im Bundestag sichern kann, bleibt die Frage, was sie uns Arbeiter:innen bringt. Und welches Potential der Aufschwung unter Jugendlichen birgt. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.

Jubel bei der Partei Die Linke: Nachdem sie in Umfragen lange bei 3 Prozent Wählerzustimmung dümpelte, kann sie nun mit fast 9 Prozent Zweitstimmen und voraussichtlich sechs Direktmandaten in den Bundestag einziehen. Damit erlangt sie auch wieder den Status einer Fraktion, den sie nach der Abspaltung eines Teils der Partei um Sahra Wagenknecht verlor.

Damit ist eine historische Krise der Partei vorerst beendet. Einerseits wurde es für sie schwieriger, in der sich verschärfenden Weltlage eine klare Position zu beziehen – beispielsweise in ihrer Haltung zum Ukrainekrieg oder zum Genozid in Gaza. Andererseits führte die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) zu einem zeitweiligen Verlust ihres Selbstverständnisses. Doch nun konnte sie ein weiteres Mal Wähler:innen mobilisieren und eine Aufholjagd hinlegen, mit der kaum einer gerechnet hatte.

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Wirkliche Hochburgen hat sie dabei nur wenige. In Berlin steht sie aktuell mit 21 Prozent nach dem Zweitstimmenergebnis als stärkste Kraft da. Vier von zwölf Wahlkreisen konnte sie als Direktmandat gewinnen. In Leipzig Süd gelingt mit Kandidat Sören Pellmann ein weiterer Direkteinzug in den Bundestag. Auch der Ex-Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, konnte den Wahlkreis Erfurt und Weimar gewinnen.

Der Wahlkampf und die Forderungen

Wer früher sozialpolitische Reformen wollte, nur um regelmäßig wieder enttäuscht zu werden, wählte SPD. Auch heute mag es noch Wähler:innen geben, darunter viele Arbeiter:innen, die in der SPD ihre Interessenvertretung sehen. Eine Zeitenwende und Wirtschafts- und Regierungskrise später zeigt sich jedoch eine starke Abwanderung der Wähler:innenschaft – größtenteils zur CDU und AfD, aber auch viele zur Linkspartei und zum BSW.

Der Recht-und-Ordnung-Wahlkampf der SPD ließ zudem große Themenfelder offen: Die Preissteigerungen, den sinkenden Lebensstandard von Millionen Arbeiter:innen und die steigenden Mieten.

Die Linkspartei versuchte es dagegen mit klassischer Sozialpolitik, verbunden mit populären Forderungen nach einem Mietendeckel und der Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Hygieneartikel und den ÖPNV. Die Weitergabe der Rabatte an die Konsument:innen solle mit Preisaufsichten kontrolliert werden. Außerdem steht sie für 15 Euro Mindestlohn, 1.400 Euro Mindestrente und Steuererleichterungen für die Mehrheit – finanziert mit der Vermögenssteuer.

Hinzu kam die rassistische Wahldebatte, die nach dem Muster „Abschieben schafft Sicherheit“ vonstatten ging: Im Gegensatz zum BSW ließ sich die Linkspartei nicht auf Forderungen nach mehr Abschiebungen oder verschärften Grenzkontrollen ein. Der „Fall der Brandmauer“ zur AfD mit der Abstimmung zu Friedrich Merz’ 5-Punkte-Plan und eine wahrscheinliche Koalition der SPD mit ihm mögen die Sympathien für die Linkspartei noch verstärkt haben.

In der breiten Anti-AfD Bewegung, die Ende Januar wieder einen Aufschwung erlebte, konnte sich die Linkspartei deutlich stärker als SPD und Grüne als Alternative in der sich polarisierenden Parteienlandschaft darstellen.

Ihre Inhalte und Aktionen wurden den Wähler:innen mit einer großen und modernen Social Media-Präsenz vermittelt. Auf Instagram und Tik Tok hat die Linkspartei die meisten Abonnent:innen. Einen nicht unbedeutenden Teil der jüngeren Wählerschaft wird sie hierüber erreicht haben. Mit Erfolg: In der Wählergruppe der 18-24-jährigen erreichte sie nach vorläufigen Ergebnissen 27 Prozent der Stimmen.

Auch eine aktive Parteibasis und die Konzentration auf wenige Hochburgen beim Haustürwahlkampf wurden von der Zeitung Neues Deutschland als mögliches Erfolgsrezept genannt.

Die Linke an der Macht

Die Linke ist nun sicher zurück im Bundestag. Ist das ein Hoffnungsschimmer für uns Arbeiter:innen? Um das Einhalten der eigenen Wahlversprechen braucht sich die Linkspartei keine Sorgen machen. Denn bei den kommenden Koalitionsverhandlungen ist sie erst einmal außen vor. Gleichzeitig lohnt sich auch ein Blick auf ihre vergangenen Regierungsbeteiligungen: Denn neben den gut klingenden Forderungen hat die Linkspartei, dort, wo sie in Regierungsverantwortung war, kaum nachhaltige Verbesserungen gebracht.

Manche Probleme hat sie dabei sogar vergrößert, wie z.B. mit dem Ausverkauf kommunaler Wohnungen in Berlin. Ein Problem, bei dem sie sich heute auf der Seite derer sieht, die es lösen wollen. Ein beschlossener Mietendeckel für Berlin wurde im Jahr 2021 vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Den demokratischen positiven Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne – oder besser gesagt dem teuren Rückkauf der verscherbelten Wohnungen – ließ die rot-grün-rote Landesregierung in der Schublade einstauben.

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In Verantwortung waren sie kaum mehr als das linke Feigenblatt SPD-geführter Regierungen und mussten diese – mit allem drum und dran – mittragen. Dabei ist klar: Schuld sind in einer Koalition immer nur die Anderen.

Doch besonders in Thüringen zeigte sich, dass sie auch als stärkste Kraft die gleiche Politik wie die anderen Parteien macht. In der Wahlperiode von 2019 bis 2024 war die Linkspartei mit 31 Prozent stärkste Kraft und stellte mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. In Sachen Abschiebung waren die Thüringer Behörden auf dem gleichen Niveau wie die anderen Bundesländer dabei. 2023 lagen die absoluten Zahlen mit 315 Abschiebungen zwar niedriger als beispielsweise in NRW oder Berlin. Verglichen mit der Einwohner:innenzahl und dem Anteil an Migrant:innen, bei denen Thüringen fast an unterster Stelle steht, kommt Ramelows Regierung prozentual jedoch sogar auf mehr Abschiebungen als NRW oder Berlin.

So konnte die Linkspartei letztendlich auch nur die Krise und das Elend des Kapitalismus verwalten, ohne nachhaltige Lösungen für die Probleme der Menschen zu finden. Das drückte sich auch in den aktuellen Wahlergebnissen aus. Neben den prozentualen Verlusten der Linkspartei in Thüringen konnte die AfD mit fast 39 Prozent der Stimmen einen deutlichen Sieg einfahren.

Gefangen im Netz des deutschen Imperialismus

Doch wenn man nun von der Linken eine Lösung für all diese Probleme der Arbeiter:innen fordern würde, täte man ihr unrecht: Probleme wie wiederkehrende Wirtschaftskrisen, die koloniale Abhängigkeit dutzender Länder, Kriege um Ressourcen und Einfluss, sowie die Unterdrückung von Frauen und LGBTI+ lassen sich nicht mit einer Sozialreform beenden, die von der nächsten Regierung kassiert wird.

Am Ende der schönen Worte ist noch viel Zwang übrig – Zwang, nach den Interessen der Konzerne das System zu verwalten, während eine linke sozialdemokratische Regierung den Arbeiter:innen höchstens ein paar Krümel mehr bieten kann als andere Parteien. So haben die größten Kapitalverbände BDI und INSM schon kurz vor der Wahl ihren Forderungskatalog an die neue Regierung aufgestellt. Darin enthalten sind: mehr Geld für Aufrüstung, die Einschränkung der Migration aus humanitären Gründen, eine Ausweitung der Möglichkeiten zur Ausbeutung der Arbeiter:innen durch längere Arbeitszeiten sowie steuerliche Entlastungen für Unternehmen.

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In der Außenpolitik zeigt die Linkspartei zudem, dass eine immer stärkere Anlehnung an die grundlegende deutsche Geo-Strategie notwendig ist, um sich weiterhin als Teil der etablierten Parteien zu verstehen. 2010 erklärte Gregor Gysi dem US-Botschafer Murray bereits, dass die Forderung zur Abschaffung der NATO nur vorgeschoben sei, aber nicht Teil der Realpolitik der Linkspartei.

Auch in Bezug auf Israel zeigen sich führende Kräfte der Linkspartei immer wieder ganz im Sinne der deutschen Staatsräson: Ramelow hisste die Israel-Flagge vor seiner Staatskanzlei, und in Berlin wurde der palästina-solidarische Aktivist Ramsis Kilani ausgeschlossen. Zur Unterstützung der Ukraine zeigt sich der Linke Spitzenkandidat van Aken außerdem offen, deutsche Truppen zu entsenden.

Nehmen wir das Ruder in die Hand

Wenige Hochburgen der Linken, ein Social-Media-Hype und der rassistischste Wahlkampf der letzten Jahrzehnte und einer SPD auf Kriegskurs haben der Partei die Linke ein Comeback gebracht. Gewonnen ist für uns Arbeiter:innen dabei erst einmal nichts.

In wenigen Wochen wird sich eine neue Regierungskoalition unter Friedrich Merz zusammengeschlossen haben. Deren Kurs wurde schon in vielen Talkshows diskutiert. Es geht um massenhafte Abschiebungen und Stacheldraht, Wirtschaftssubventionen und Steuergeschenke für Konzerne, Kürzungen im sozialen Bereich und die Beschleunigung der militärischen „Zeitenwende“ in einer zugespitzten Weltlage.

Kommt eine neue politische Weltordnung?

Die Wahl ist gelaufen, auf den rassistischen Wahlkampf folgt eine Politik im Interesse der Konzerne. Die neue Regierung steht dabei vor der Verantwortung, die Wirtschaft Deutschlands auf dem Rücken der Arbeiter:innen zu retten und sich zum Krieg zu rüsten.

Die Linkspartei steht parlamentarisch im Abseits, trotz gezeigter Bereitschaft, sich für eine Koalition noch weiter zu verbiegen. Ein Kampf gegen die kommenden Vorhaben des Staats kann nur durch die Arbeiter:innen auf der Straße, im Betrieb, der Schule und Uni organisiert werden. Denn bei der Linkspartei können wir uns wohl auf kritische Anfragen an die Bundesregierung verlassen, aber auf nicht mehr.

Deshalb müssen wir mehr schaffen, als den Widerstand gegen die Verbrechen der nächsten Regierung zu organisieren. Unser Kampf als Arbeiter:innenbewegung muss weiter gehen – solange, bis wir der Herrschaft von Banken und Konzernen ein Ende gesetzt haben und nicht nur bis zur nächsten Reform, während alles zwischen Himmel und Erde brennt.

Linkspartei stärkste Kraft unter Jugendlichen

Hoffnung sollte uns der Erfolg der Linkspartei aber trotzdem geben. Denn besonders der Zuwachs an Unterstützer:innen unter den 18-24-jährigen zeigt, dass es unter Jugendlichen eine Offenheit für fortschrittliche Forderungen und Ideen gibt. Daran sollte auch die revolutionäre Bewegung anknüpfen und alle diejenigen jungen Menschen versuchen zu erreichen, die noch nicht zu tief in dem Glauben stecken, die Welt durch ein paar kleine Reformen oder ein paar Sitze mehr im Parlament verändern zu können.

Die zentrale Aufgabe muss es sein, die Ursachen der aktuellen Krise und die Zwänge des Systems, denen auch die Linkspartei im Bundestag unterliegt, greifbar zu machen. In den nächsten Jahren heißt es – neben dem Kampf gegen den Abbau unserer Rechte und der Verschlechterung unseres Lebensstandards – umso mehr, eine positive Perspektive für eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Und dabei können wir uns in der Art und Weise des Auftretens sicherlich einiges vom aktuellen Wahlkampf der Linkspartei abschauen.

Mario Zimmermann
Mario Zimmermann
Perspektive-Autor seit 2023. Lieblingsthemen: Militarisierung und Arbeitskampf. Lebt und arbeitet in Nürnberg. Motto: "Practice like you've never won, play like you've never lost!" -Michael Jordan

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