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EIL: Öcalan ruft PKK auf, Waffen niederzulegen – wird sie das tun?

Nach 26 Jahren in Haft ruft Abdullah Öcalan, der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), zu deren Auflösung auf. Die in Rojava führende SDF sieht sich nicht daran gebunden, auch die Führung der PKK-Guerilla hatte zuvor Hürden formuliert.

Internationale Medien sprechen bereits jetzt von einem „historischen Moment“: Der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Vordenker der kurdischen nationalen Befreiungsbewegung Abdullah Öcalan hat zur Auflösung der bewaffneten Organisation aufgerufen. An die Gurilla gerichtet erklärte er demnach: „Beruft euren Kongress ein und fasst einen Beschluss zur Integration in den Staat und die Gesellschaft, wie es jede moderne Gesellschaft und Partei, die nicht zur Auflösung gezwungen wurde, freiwillig tun würde; alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen. Ich grüße alle, die an das Zusammenleben glauben und meinen Aufruf beherzigen.“

Die Erklärung wurde von einer Delegation der Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM) auf einer Pressekonferenz in Istanbul vorgetragen. Wenige Tage vor der Bekanntgabe des Aufrufs hatte eine Delegation der DEM Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul besucht. Dort befindet er sich seit über 26 Jahren in international rechtswidriger Isolationshaft. Darüber hinaus ist die PKK nicht nur in der Türkei, sondern auch in den USA und der EU als terroristische Vereinigung gelistet und wird entsprechend kriminalisiert. Unmittelbar vor der Veröffentlichung gab es noch einmal einen erneuten Besuch bei Öcalan, bei der auch ein Bild von Öcalan und der Delegation entstand.

Welche Vorbedingungen?

In der Erklärung Öcalans waren keine Vorbedingungen für die Niederlegung der Waffen genannt. Nach der nun vorgetragenen Erklärung zitierte der DEM-Politiker Sırrı Süreyya Önder jedoch die Worte von Abdullah Öcalan an die Delegation: „Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage.“

Welche Kompromisse der türkische Staat in dem Fall genau eingehen soll, bleibt unklar. Dass dieser zu weitgehenden Zugeständnissen bereit ist, erscheint derzeit wenig wahrscheinlich. So wurde der gesamte „Friedensprozess“ erst durch Devlet Bahçeli in Schwung gebracht – dem Anführer der faschistischen und zutiefst kurdenfeindlichen MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung).

Hinzu kommt, dass die Guerilla-Führung, die in den kurdischen Bergen lebt, zuvor selbst hohe Hürden für eine Waffenniederlegung aufgestellt hatte. So hatte Murat Karayılan, Mitglied des Exekutivrats der PKK und Oberkommandierender der Volksverteidigungskräfte (HPG), Anfang Februar in einem ausführlichen Interview erklärt: „Ich möchte auch sagen, dass für die Niederlegung der Waffen eine Entscheidung erforderlich ist. Zum Beispiel wäre dazu ein Kongressbeschluss notwendig. Der PKK-Kongress muss zusammentreten und einen solchen Beschluss fassen. Wer kann das tun? Rêber Apo [Öcalan, Anm. d. Red.] kann das tun. Rêber Apo kann einen Kongress einberufen, und wenn der Kongress zusammentritt, kann er dort sprechen.“

Er selbst müsse die Kämpfer vom Niederlegen der Waffen überzeugen, so etwas sei jedoch von Imrali aus nicht möglich. Eine symbolische Erklärung sei für den Anfang „eine wertvolle Sache“ – wie nun geschehen. Es sei jedoch notwendig, das Gesagte anschließend umzusetzen, und das könne nur Öcalan selbst tun. Einen ersten Schritt, die Einberufung eines Kongresses, hat Öcalan nun getätigt.

Zudem wäre zunächst ein Waffenstillstand notwendig. „Wie könnten wir, solange es keinen Waffenstillstand gibt, das Ablegen von Waffen auf die Tagesordnung setzen!“, heißt es bei dem hochrangigen PKK-Führungsmitglied.

Abdullah Öcalan selbst ist schon seit 2002 nicht mehr Vorsitzender der Organisation, gilt aber weiterhin als symbolischer Führer der PKK – und sein Wort scheint über den westasiatischen Raum hinaus Gewicht zu haben. Internationale wie regionale Reaktionen bleiben somit abzuwarten.

Was kann man von den „neuen Friedensgesprächen“ zur Lösung der kurdischen Frage erwarten?

Türkischer Staat greift an

Der gesamte Prozess ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der türkische Staat in den vergangenen Monaten in der Region zunehmend an Stärke gewonnen hat. Besonders nach dem Fall des Assad-Regimes in Syrien konnte sich die faschistische Regierung in Istanbul eine Menge an politischen Vorteilen schaffen und damit die eigene Verhandlungsbasis massiv ausbauen.

Gleichzeitig befindet sich die kurdische Bewegung auch an anderen Stellen unter großem Druck: Nach Verhandlungen mit der islamisch-fundamentalistischen HTS ist nun geplant, die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) Teil der neuen syrischen Armee – unter Führung eben jener Fundamentalisten – werden zu lassen. Das passt zu den Forderungen westlicher Politiker:innen wie unter anderem von Außenministerin Annalena Baerbock, welche zuletzt im Dezember eine Entwaffnung der „kurdischen Rebellen“ forderte.

Zugleich erklärte laut Reuters Mazloum Abdi, Kommandeur der SDF, man sehe sich an den Aufruf Öcalans nicht gebunden, da es sich bei ihnen nicht um eine Struktur der PKK handele. Zugleich begrüßte er den Aufruf Öcalans, der große Auswirkungen auf die Region haben werde. Tatsächlich ist die YPG als Kern der SDF jedoch stark von der PKK beeinflusst. Ihr Kampf in Rojava dürfte vorerst weitergehen, die mittelfristige Entwicklung ist jedoch offen.

Und auch die PKK-Führung sah sich zuletzt stark aufgestellt. So hatte Karayılan Anfang Januar noch erklärt: „Unsere militärische Stärke und unser Siegeswille sind heute stärker als je zuvor. Mit 40 Jahren Kampferfahrung, der erreichten taktischen Tiefe, der militärischen Leistung und dem Opfergeist unserer Kräfte haben wir die Fähigkeit, unseren legitimen Verteidigungskrieg erfolgreich zu führen.“

Es sei dennoch von „großer Bedeutung, diese Gelegenheit zu nutzen. Andernfalls wird der Krieg in der Region mit größerer Intensität weitergehen, und es ist ausgeschlossen, dass der türkische Staat diesen Krieg gewinnen kann. Die Kräfte des kurdischen Volkes und der regionalen revolutionären Bewegungen sind heute stärker als je zuvor“. Nach einer schnellen Waffenniederlegung hörte sich dies von Seiten der PKK-Führung außerhalb der Gefängnismauern nicht an.

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