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Frankreich drängt, Deutschland zögert: Endspurt der Europäer:innen im Ukraine-Krieg?

Die USA unter Trump machen unmissverständlich klar, dass ihnen die Unterstützung der europäischen Staaten im Ukraine-Krieg und darüber hinaus nicht heilig ist. Deutschland, Frankreich und auch Großbritannien sind nun gezwungen, eigene Strategien zu entwickeln – und das möglichst schnell. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Der 14. Februar – das ist eigentlich der Tag der Liebe und der Romantik. Allerdings zeigt eine Studie aus den USA, dass sich rund um den Valentinstag durchschnittlich deutlich mehr Paare trennen als zu anderen Jahreszeiten. Die Gründe: falsche Erwartungen, Eifersucht und eine ohnehin schon wackelnde Beziehung, die man gerade so eben bis zum Tag der Liebe hinüber gerettet hat.

Als der neue US-amerikanische Vizepräsident „JD” Vance am 14. Februar 2025 im Bayerischen Hof zu München im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz das Podium betrat und in seiner Rede den jahrzehntelang garantierten Beistand aufkündigte, sind sicherlich jede Menge Herzen zerbrochen. Die ohnehin wackelige Beziehung der USA zu den europäischen Staaten droht wegen falscher Erwartungen noch weiter in die Krise zu rutschen.

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Deutschland wartet ab …

Während die USA unter Trump sich wieder Russland zuwenden und offenbar bereit sind, die Ukraine für eine schnelle Verhandlungslösung fallenzulassen, kämpft Olaf Scholz mit moralischen Appellen gegen die drohende Trennung an: „Wir werden”, führte Scholz bei einem Pressetermin am Donnerstag aus, „mit all unseren Möglichkeiten und unserer Kraft darauf bestehen, dass wir, die die Ukraine in der Vergangenheit unterstützt haben, und auch unsere transatlantischen Freunde, das weiterhin tun werden”. Das sei eine „gemeinsame Angelegenheit für die Demokratie und den Rechtsstaat”.

Für Deutschland, so viel ist neben Noch-Kanzler Scholz auch Bald-Kanzler Friedrich Merz (CDU) und dem Grünen Robert Habeck klar, kommt die Verantwortung vor allem im militärischen Sinne immer noch viel zu früh. Deswegen spielen sie auf Zeit und setzen weiterhin auf die Führung der USA: ob und wie man z.B. Truppen zur Sicherung eines eventuell kommenden Frieden schicken werde, wolle man mit den USA besprechen – und man möchte selber Teil der Friedensgespräche sein.

Für die angeschlagene deutsche Wirtschaft würde der Blitzaufbau einer international einsatzfähigen Truppe zum Grenzschutz gegen die russischen Kräfte erneut eine große Anstrengung bedeuten. Auch deswegen wird sich Deutschland nicht so leicht von den USA trennen – weder Scholz noch der USA-Freund Merz stehen für eine Ablösung vom US-Imperialismus. Merz könnte allerdings, wenn er in wenigen Wochen Kanzler einer neuen Regierung ist, deutlich größere Zugeständnisse an die USA machen, um die deutsche Vorherrschaft in Europa weiter zu garantieren.

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… und Frankreich will Tatsachen schaffen

Bei den den französischen Nachbarn sieht das Ganze ein wenig anders aus: Für Staatspräsident Emmanuel Macron ist nun endlich der Zeitpunkt gekommen, doch noch seiner Initiative, eigene Streitkräfte in die Ukraine zu entsenden und so langfristig auch der Errichtung von europäischen gemeinsamen Armeen, einen Schritt näher zu kommen. Frankreich strebt seit Jahrzehnten eine engere militärische Kooperation der europäischen Staaten an, um seine militärische Stärke stärker ausspielen und Deutschlands wirtschaftlicher Vormacht so beizukommen. Unmittelbar nach der Rede von JD Vance rief Macron einen europäischen „Sondergipfel” ein, der nun dazu genutzt wurde, über eigene Truppen in der Ukraine zu diskutieren.

Britische und französische Köpfe machten dabei bereits deutlich, dass sie bereit sind, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden. Die Soldat:innen sollen dort als „Peacekeeper”, also Wahrer:innen des Friedens, eingesetzt werden und dabei helfen, nach einem Friedensabkommen die Einhaltung der Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine zu gewährleisten. Der französische Präsident Macron sagte dazu, dass „die drei großen Armeen” Europas die Hauptlast schultern sollten, wenn es um die Sicherung des Friedens in der Ukraine gehe. Zu den Top 3 zählt der Franzose jedoch neben seiner und der britischen Armee nicht etwa die Bundeswehr, sondern die polnischen Streitkräfte.

Um den Frieden geht es nicht

Unabhängig davon, wie behäbig oder dynamisch die europäischen Staaten gerade reagieren – um einen echten Frieden für die Ukraine geht es ihnen nicht. Ja, momentan betonen deutsche Politiker:innen wieder, wie wichtig ihnen die Menschenrechte seien und wie sehr sie die demokratischen Bestrebungen in der Ukraine unterstützen. Und auch Frankreich wiederholt das Märchen davon, dass gemeinsame europäische Truppen Sicherheit für den Kontinent bedeuten würden. Doch tatsächlich sind diese Aussagen genauso gelogen wie die Aussagen von Trump und Putin, die nun die Ukraine als alleinigen Aggressor im Ukraine-Krieg darstellen wollen.

Hälfte der Ukrainer:innen will ein schnelles Kriegsende

Die Welt steuert immer weiter auf einen großen Krieg um die Neuaufteilung zu. Die europäischen Staaten, bislang allesamt mehr oder weniger im Windschatten der USA unterwegs, müssen nun schnellstens eigenständige Strategien umsetzen. Dazu gehören besonders für Frankreich und Deutschland auch weiterhin einerseits das gemeinsame europäische Bündnis und andererseits das Streben nach einer alleinigen Vorherrschaft über den Kontinent.

In der Ukraine sehen beide Potenziale – Deutschland vor allem wirtschaftliche, beispielsweise als Standort mit billiger Arbeitskraft für die eigene Industrie, und Frankreich vor allem militärische Vorteile im Sinne einer Herausbildung von gemeinsamen europäischen Streitkräften. Diese müssten in der spätestens 2029 erwarteten direkten Konfrontation mit dem russischen Imperialismus deutlich besser aufgestellt sein als heute.

Mehr Konfrontation, mehr Krieg, mehr Aufrüstung, mehr Kontrolle – all das sind für die Arbeiter:innen Europas keine guten Nachrichten. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die europäischen Staaten nun, wo sie gezwungen sind, noch schneller und noch mehr aufzurüsten, sich auch die Angriffe auf unsere Klasse noch intensivieren werden.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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