Es liest sich wie eine geschmacklose Verschwörungstheorie, ist aber wahr: Nach einem geheimen Beschluss der Innenministerkonferenz soll die Polizei Kinderpornografie im Netz nicht löschen. Ein Lehrstück darüber, wie deutsche Sicherheitspolitik funktioniert. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.
Schon 2021 hatte eine gemeinsame Recherche von ARD und NDR aufgedeckt, dass die deutsche Polizei von pädo-kriminellen Inhalten im Netz weiß, sie aber nicht löscht. Was damals schon ein Skandal war, ist es heute – vier Jahre, nachdem Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Besserung gelobt hatte – umso mehr. Denn das Nicht-Löschen der Inhalte ist kein misslicher Fehler in der Arbeit der Polizei, sondern ein Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK).
In einer Talkshow mit Markus Lanz im Jahr 2022 sagte Faeser noch: „Das BKA hat das Verfahren jetzt umgestellt, also beides zu tun, schnelle Beweissicherung aber gleichzeitig die Bilder zu löschen, weil das so wichtig ist für die Betroffenen“. Ein Jahr später fasste die IMK dann einen geheimen Beschluss, der genau in die andere Richtung ging. Das deckte eine gemeinsame Recherche von STRG_F und dem ARD-Magazin Panorama auf.
Warum werden die kriminellen Inhalte nicht gelöscht?
Neben dem Schock darüber, dass pornografische Inhalte, die Gewaltverbrechen an Kindern und Jugendlichen zeigen, von der deutschen Polizei bewusst nicht aus dem Netz genommen werden, stellt sich den meisten jetzt wahrscheinlich die Frage nach dem „Warum”: Sind Regierung und Polizei vielleicht selbst von kriminellen Pädophilen durchsetzt?
Wahrscheinlich nicht. Zwar gab es Fälle wie die „Edathy-Affäre”, und die Sicherheitsbehörden sind ohnehin ein Schmelztiegel für jede Art von schlechten und widerwärtigen Menschen – seien es Faschist:innen oder einfach nur sadistische und gewalttätige Persönlichkeiten. So wäre es nicht abwegig, wenn auch pädophile Gewalttäter:innen sich bei der Polizei in „guter“ Gesellschaft und sicher fühlen könnten. Jedoch ist dieser Schluss viel zu voreilig und schlicht nicht beweisbar – noch dazu ist das Schmieden von Verschwörungstheorien und die Vor-Verurteilung Einzelner wenig nützlich.
Die Illusion von Sicherheit
Die Gründe für das Versagen der Polizei und Nancy Faesers liegen wohl eher in den Massenüberwachungsmaßnahmen, die schon seit Jahren gefordert und Stück für Stück tatsächlich eingeführt werden. Als immer wiederkehrende Rechtfertigung nutzt der Staat dabei das Argument, besser gegen kriminelle Pädophile im Netz vorgehen zu wollen.
Mit Chatkontrollen zum Beispiel solle die Verbreitung genannter Inhalte verhindert werden. Dabei würden die Behörden auf die unverschlüsselten Daten von Millionen Bürger:innen zugreifen. Sichere und private Kommunikation wären dann faktisch unmöglich, weil der Staat immer und ohne Probleme auf alle Daten zugreifen könnte.
Statt also Kinder und Jugendliche zu schützen, ist der Staat eher darauf bedacht, den Kindesmissbrauch im großen Stil zu instrumentalisieren, um die Überwachung im Internet voranzutreiben. Man könnte meinen, dies schaffe doch eigentlich wenigstens einen Anreiz, bei kinderpornografischen Inhalten konsequent und hart durchzugreifen, um die Überwachungsmaßnahmen nach außen erfolgreich wirken zu lassen. Doch anscheinend möchten Polizei und Sicherheitsbehörden ihren so nützlichen Sündenbock bloß nicht zu schnell loswerden.
Billige Ausreden
Die offizielle Begründung der Behörden ist im Übrigen völlig aus der Luft gegriffen und wenig sinnhaft: Die Arbeit sei zu personalintensiv und außerdem müsse man bei jedem einzelnen kinderpornografischen Inhalt die dahinterstehende Straftat ermitteln. Eine billige und gerade, wenn es sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geht, unangebrachte und nicht nachvollziehbare Ausrede.
Millionen und Abermillionen von Euro werden jedes Jahr in die Polizeien gepumpt, ihre Budgets ständig erhöht. Trotzdem will man nicht genug Personal haben, um online Inhalte zu löschen – eine Arbeit, für die es wahrscheinlich gerade einmal eine Handvoll Polizist:innen benötigen würde? Zumindest wenn sie ihre Arbeit so ernst nehmen wie die Journalist:innen von STRG_F und Panorama.
Die haben das Löschen der Inhalte in einem Pilotprojekt nämlich einfach in die eigene Hand genommen und in wenigen Monaten über 300.000 Links, die zuvor insgesamt 23 Millionen Mal (!) heruntergeladen wurden, gelöscht. Ihre Arbeit hat dazu geführt, dass das zweitgrößte kinderporngrafische Forum der Welt den Betrieb eingestellt hat. Diese „personalintensive Arbeit“ wurde von zwei Journalist:innen erledigt, die so einen größeren Beitrag für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen geleistet haben, als die deutsche Polizei in den vergangenen vier Jahren.
Und ja, natürlich muss man gegen die hinter den Netz-Inhalten stehenden Straftaten ermitteln, aber das ist doch kein Grund dafür, die Inhalte nicht zu löschen. Diese Hilflosigkeit der Behörden bei einer vergleichsweise einfachen Arbeit macht die Forderungen nach Massenüberwachung noch lachhafter: Wenn man schon mit den Online-Foren nicht klarkommt, wie sollen denn dann jemals die Daten von Millionen Chats ausgewertet werden?
Um die Sicherheit von Kindern ging es noch nie
Für den deutschen Staat ist es natürlich ein Leichtes, diese Frage zu beantworten: Es brauche einfach mehr Geld, mehr Personal und mehr Befugnisse für die Polizei. Denn schließlich komme man mit den ganzen Inhalten nicht hinterher! Dass man nicht einmal versucht hat, diese zunächst einmal zu löschen und so die Statistik der pädophilen Straftaten hochhält, fällt dabei hoffentlich keinem auf.
Und wenn doch? Dann setzt man sich eben einmal zu Markus Lanz, Maybrit Illner oder Anne Will und erzählt, was man demnächst alles besser machen will … um dann hinter verschlossenen Türen und ohne Kameras das Gegenteil zu beschließen und stattdessen Massenüberwachung zu fordern, um den Folgen der eigenen Politik entgegenzuwirken – und mit dem ganzen Zirkus dann wieder von vorne zu beginnen.
Um die Sicherheit von Kindern ging es dabei noch nie.