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Gutachten: Klimaschutz Deutschlands „zu langsam“ und kann „nicht ausreichen“

Am Mittwoch stellte der deutsche Expertenrat für Klimafragen sein Gutachten vor. Die Bilanz ist ernüchternd. Erstmals ging es auch um soziale Fragen.

„Die in den vergangenen Jahren beobachtete Geschwindigkeit der (…) Emissionsminderung würde nicht ausreichen, um das gesetzlich festgelegte Klimaziel für das Jahr 2030 zu erreichen.“ So urteilt der „Expertenrat für Klimafragen“ (ERK) in seinem Gutachten für die Jahre 2021 und 2023, das gestern veröffentlicht wurde.

Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen begutachten dort die gesamtgesellschaftliche Treibhausgasemission und die Maßnahmen der Bundesregierung für Klimaschutz. Neben jährlichen Prüfberichten veröffentlicht das Gremium umfassendere Zweijahresgutachten.

Zu wenig fürs Klima

Der ERK beschreibt, dass gegenüber den Jahren 2019 bis 2021 die Gesamtemissionen zwischen 2021 und 2023 deutschlandweit um 11,7 Prozent gesunken sind. Doch nicht alle Sektoren hätten gleichwertig zu diesem Rückgang beigetragen: Im Energie- und Industriesektor seien die CO2-Emissionen deutlich, bei Gebäuden und in der Landwirtschaft leicht zurückgegangen. Im Verkehrssektor gab es hingegen einen Anstieg von CO2.

Die Expert:innen bescheinigen Deutschland zwar einen beschleunigten Rückgang der Emissionen. Dieser reiche jedoch nicht aus, um die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Laut bundesdeutschem Klimaschutzgesetz sollen bis 2030 die Treibhausgasemissionen 65 Prozent geringer sein als 1990. Um das Ziel noch zu erreichen, müsse laut ERK das Tempo der Einsparungen verdoppelt werden.

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Soziale Frage erstmals thematisiert

Zum ersten Mal beinhaltet das Zweijahresgutachten des ERK die soziale Frage von staatlichen Klimaschutzmaßnahmen. Die Forscher:innen kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Frage nach Klimagerechtigkeit noch starker Nachholbedarf bestehe. Maßnahmen wie etwa die staatliche Subventionierung von E-Autos kämen eher wohlhabenderen Menschen zugute. Auch die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) werde eher von einkommensstarken Haushalten genutzt, da ärmere Menschen häufiger in Mietwohnungen leben. Fördergelder für energetische Sanierung kommen dann Vermieter:innen zugute. Dies habe einen „regressiven Verteilungseffekt“, vergrößere also die klimasoziale Ungerechtigkeit.

Außerdem wird betont, dass wegen Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen durch Unternehmen, die auf Konsument:innen weitergegeben werden, sowie der EU-weiten CO2-Bepreisung die Inflation verstärkt wird. Da untere und mittlere Einkommen stärker von diesen Preissteigerungen betroffen sind, empfiehlt das Gremium finanzielle Kompensationen.

Bemängelt wird auch, dass Deutschland im internationalen Vergleich generell weniger sozial gestaffelte Fördermaßnahmen beschließt. Als positive Beispiele wurden dagegen Maßnahmen aus Frankreich oder dem Vereinigten Königreich genannt. Die aktuellen Klimaschutzmaßnahmen führten in Deutschland zu einer sozialen Schieflage, so der Bericht.

Maßnahmen der Bundesregierung unzureichend

Der ERK widmet sich in seinem Gutachten auch konkreten Klimaschutzmaßnahmen, die durch die Ampelkoalition im zweijährigen Zeitraum beschlossen wurden. Das Heizungsgesetz sei zwar finanziell für den deutschen Staat effizienter gestaltet worden, könne aber weiterhin keinen großflächigen Heizungsumbau in Gang setzen. So würden immer noch zu viele Heizungen fossiler Energieträger installiert und bestehende Heizungen zu langsam nachhaltig umgerüstet, um die Klimaziele zu erreichen.

Nach dem Ende der staatlichen Förderung für neue E-Autos seien außerdem die Neuzulassungen von Autos mit Diesel- oder Benzinantrieb wieder gestiegen. Auch hieran sei der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Klimaschutz erkennbar. Ein gerechter verteiltes Einkommen käme dem Klimaschutz zugute. Da aktuell noch deutlich zu viele Verbrenner in Betrieb seien, könnten die Klimaziele im Bereich Verkehr für 2030 schon jetzt nicht mehr erreicht werden. Die Expert:innen empfehlen dafür explizit Gegenmaßnahmen.

Die Maßnahmen des 9- oder 49-Euro Tickets bewertet die Kommission hingegen gemischt. Ob durch einen günstigeren Nahverkehr tatsächlich weniger Autos auf den Straßen sind, sei fraglich. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass es sich hierbei auch mehr um eine sozio-ökonomische Maßnahme handle, die Menschen Einsparungen bei Verkehrskosten ermöglichen soll. In Verbindung mit der Analyse zur sozialen Verträglichkeit weist der ERK darauf hin, dass Klimapolitik generell breiter gedacht werden müsste.

Selbst positive Entwicklungen nicht verlässlich

Insgesamt betont das Gremium, dass weitreichende Investitionen in allen Sektoren notwendig seien. Den größten Anteil der Emissionssenkungen der letzten Jahrzehnte hätten mit über zwei Dritteln der Energiesektor, also vor allem die Strom- und Wärmeerzeugung, gehabt. Aber auch dort sieht das Gremium Investitionslücken.

Ob der Rückgang der Emissionen überhaupt fortgesetzt wird, ist fraglich. Die Jahre 2021 bis 2023 waren noch geprägt durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und damit dem Rückgang der Wirtschaftsleistung und des Verkehrs. Außerdem löste der Kriegsbeginn in der Ukraine 2022 eine Energieknappheit aus. Die Bundesregierung appellierte zum Sparen und weniger Menschen nutzen Strom und Heizung. Der Gasverbrauch 2024 ist demgegenüber deutschlandweit gestiegen.

Die kommende Bundesregierung muss innerhalb des ersten Jahres, also bis Februar 2026, ein Klimaschutzprogramm vorlegen. Der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich Merz (CDU), drohte bereits Windräder abzubauen. Er plädiert zudem dafür, Klimaschutzgesetze rückgängig zu machen und die Wirtschaft über Klimaschutz zu priorisieren.

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