Nach einem holprigen Wahlsieg wird die Union wohl wieder einmal mit der SPD koalieren. Ein Bündnis mit der AfD als zweitstärkster Kraft schließt der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz noch kategorisch aus. Was bedeutet der Wahlsieg von Merz innen- und außenpolitisch, und welche Auswirkungen hat er auf die Arbeiter:innen in Deutschland? – Ein Kommentar von Thomas Stark.
Der Abend der Bundestagswahl hielt in diesem Jahr viele denkwürdige Momente bereit: Die vor wenigen Wochen noch totgeglaubte Linke feiert ein bemerkenswertes Comeback und holt sogar sechs Direktmandate. Die vor wenigen Wochen noch als politische Galionsfigur gefeierte Sahra Wagenknecht versteckt sich nach dem desolaten BSW-Ergebnis einen ganzen Abend vor der Presse, um am nächsten Tag die Wahl infrage zu stellen. Wolfgang Kubicki verkündet sein politisches Karriereende, um dann doch für den FDP-Vorsitz seinen Hut in den Ring zu werfen. Und Friedrich Merz ordnet trotz eines nicht überragenden Wahlsiegs „Rambo Zambo“ im Konrad-Adenauer-Haus an.
Keine Alternative zur schwarz-roten Koalition
Das politische Ergebnis der Bundestagswahl ist immerhin eindeutig: Die Union ist trotz ihres historisch zweitschlechtesten Ergebnisses (nach Armin Laschets Lacher-Niederlage 2021) klar stärkste Kraft im Parlament und wird dort aller Voraussicht nach mit einer historisch geschrumpften SPD koalieren. Diese unternimmt zwar gerade noch Versuche, den Preis für eine gemeinsame Regierung hochzutreiben – ihr Generalsekretär spricht von „keinem Automatismus für eine Koalition“ und kündigt einen Mitgliederentscheid an. Am Ende wird sie sich aber an die Worte des scheidenden Kanzlers Olaf Scholz vom Wahlabend halten und ihrer „staatspolitischen Verantwortung“ fügen.
Immerhin ist ein Bündnis aus Union und SPD die einzige rechnerische Möglichkeit für eine Zweierkoalition, solange Friedrich Merz ein Bündnis mit der AfD als zweitstärkster Kraft ausschließt. Das hat er am Wahlabend aber so klar und deutlich gemacht, dass er seine Ankündigung kaum wird zurücknehmen können, ohne selbst das Feld zu räumen.
Die Linke rettet sich in den Bundestag – aber rettet sie auch uns?
Angriffe auf Beschäftigte drohen
Welche Auswirkungen eine Union-SPD-Regierung unter Friedrich Merz innen- und außenpolitisch haben könnte, lässt sich dem Sofortprogramm der CDU sowie den Äußerungen von Merz aus dem Wahlkampf entnehmen. Im Einklang mit Forderungen von Kapitalverbänden will der Autor des Buchs „Mehr Kapitalismus wagen“ Unternehmen steuerlich entlasten und Regulierungen wie das Lieferkettengesetz abbauen. Beschäftigten droht vor allem eine Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Regelung, denn so will die CDU „flexibleres Arbeiten für Beschäftigte und Unternehmen“ ermöglichen. Ebenso will die Union Überstunden durch Steuerfreiheit attraktiver machen und Steueranreize dafür schaffen, in der Rente freiwillig weiterzuarbeiten. Wie „freiwillig“ das Ganze am Ende wirklich sein wird, lässt sich beim Bürgergeld erahnen: Dieses will Merz abschaffen und stattdessen eine „neue Grundsicherung“ mit „Arbeitspflicht“ einführen.
Auch beim Ausbau des Überwachungs- und Repressionsstaats will sich Merz hervortun. Sein Sofortprogramm enthält die „Speicherung von IP-Adressen“ und die „elektronische Fußfessel“, angeblich zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder. Die Union will die „illegale Migration stoppen“ und „dauerhafte Grenzkontrollen“ einführen, wie sie es vor der Wahl im Bundestag — bislang ohne Erfolg — vorangetrieben hatte. Ebenso will sie Vereinfachungen bei der Einbürgerung aus der Ampelzeit wieder abschaffen. Im Wahlkampf hatte Merz sogar einen Entzug der Staatsbürgerschaft für Straftäter:innen mit doppeltem Pass ins Spiel gebracht.
Deutschland als europäische Führungsmacht
Die Arbeiter:innenklasse in Deutschland wird sich in den kommenden vier Jahren also mit einer Vielzahl von ökonomischen und politischen Angriffen konfrontiert sehen. Die SPD hat in den letzten 12 Jahren an der Macht gezeigt, dass sie diese Angriffe selbst mitträgt oder aktiv vorantreibt. Dies gilt auch für die imperialistische Außenpolitik Deutschlands. Merz hat angekündigt, Deutschlands Führungsrolle in Europa zu stärken, und plant zu diesem Zweck eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich, Polen und dem Vereinigten Königreich.
Im Wahlkampf sprach er zwar davon, die Rüstungsausgaben bei zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes halten und diese jeweils aus dem laufenden Haushalt finanzieren zu wollen. Das Geld hierfür solle nämlich aus der „Neuaufstellung“ des Bürgergeldsystems stammen: Rüstung statt Soziales. Eine Erhöhung dieser Ausgaben durch eine Aufweichung der Schuldenbremse hat er aber ebenso wenig kategorisch ausgeschlossen wie gemeinsame europäische Staatsanleihen zur Finanzierung von Rüstungsprojekten.
Ziemlich sicher ist, dass Merz die Waffenlieferungen an die Ukraine fortsetzen und ausbauen wird und dabei weniger Widerstand seitens einer geschwächten SPD-Linken zu fürchten haben wird als noch Olaf Scholz. Im Dezember hatte Merz bei einem Ukraine-Besuch etwa erneut in Aussicht gestellt, dem Land deutsche Taurus-Marschflugkörper zu liefern, mit denen die Ukraine Ziele tief in Russland erreichen könnte – auch wenn er bei der Frage der konkreten Ausgestaltung dieser Lieferungen noch vage geblieben ist. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte Merz deshalb bereits auf, die Taurus-Lieferungen „sofort“ in die Wege zu leiten.
Europäischer Atomschirm?
Merz, der zehn Jahre lang Vorsitzender der transatlantischen Vereinigung Atlantik-Brücke war, ist am Wahlabend noch einmal deutlich von der Trump-Regierung abgerückt und hat die Notwendigkeit einer europäischen Aufrüstung auch aus dem neuen Kurs der US-Regierung abgeleitet, der die Situation in Europa „gleichgültig“ sei. Er sei sich nicht sicher, ob die Staats- und Regierungschefs der Nato bei ihrem Gipfel im Juni noch über die Nato „in ihrer derzeitigen Form“ sprechen würden. Deshalb hatte er kürzlich auch Gespräche mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich über einen europäischen nuklearen Schutzschirm ins Spiel gebracht, sollten sich die USA nicht mehr an die Beistandsklausel der Nato gebunden fühlen. Ein Szenario, in dem Frankreich oder England irgendeine Entscheidung über ihre Atomwaffen mit Deutschland teilen würden, gilt jedoch als extrem unrealistisch.
Schon bei einer außenpolitischen Grundsatzrede im Januar hatte der designierte Kanzler zudem angekündigt, einen nationalen Sicherheitsrat im Kanzleramt zu etablieren, der eine nationale Sicherheitsstrategie etablieren solle. Entsprechende Lehrstühle sollen auch an Universitäten eingeführt werden.
US-Präsident Trump begrüßte in einem Post auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social immerhin den Wahlsieg der „konservativen Partei in Deutschland“: „Ähnlich wie in den USA“ hätten „die Menschen in Deutschland genug von einer Agenda ohne gesunden Menschenverstand, die so viele Jahre vorherrschte, insbesondere in den Bereichen Energie und Einwanderung“. Dies sei „ein großer Tag für Deutschland“. Auch dies war ein denkwürdiger Moment des Wahlabends. Wie sich die Beziehungen zwischen der neuen Bundesregierung und der Führung in Washington konkret gestalten werden, bleibt erst einmal abzuwarten.