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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Kinopremiere von Kneecap: „Jedes auf Irisch gesprochene Wort ist eine abgefeuerte Kugel für die irische Freiheit“

Die Geschichte des irischen Rap-Trios Kneecap ist nun in den deutschen Kinos zu sehen. Zwischen bewaffneten Organisationen und legalen Protesten für den Irish Language Act füllen die jungen Rapper mit ihrer Musik eine kulturelle und politische Lücke in Nordirland. Der Film zeigt eine mitreißende und turbulente Achterbahnfahrt, in der die Sprache als Befreiungsinstrument jedoch manchmal überhöht wirkt. – Eine Rezension von Marius Fiori und Gillian Norman.

Am 23. Januar lief das Biopic „Kneecap“ über die Entstehungsgeschichte des namensgleichen Rap-Trios aus West-Belfast, Nordirland in den deutschen Kinos an. Die drei Bandmitglieder verkörpern sich selbst in der mit fiktionalen Elementen gespickten Komödie. Mo Chara, Móglaí Bap and DJ Próvaí überzeugen nicht nur musikalisch, sondern auch schauspielerisch auf ganzer Linie.

Der Film ist ein rasantes Feuerwerk und springt nahezu dauerhaft zwischen drei Themengebieten: Sex, Drogen und dem Nordirisch-Sein als junger Mensch in den frühen 2000er Jahren. Ach so, um Hip-Hop und Sprache geht es natürlich auch. Über allem stehen dabei die Aspekte von Identität und Zugehörigkeit.

Abseits des bewaffneten Befreiungskampfs

Der Film beginnt mit klassischen Bildern aus dem Belfast der letzten Jahrzehnte: Bombenanschläge, IRA-Sturmhauben und Protestmärsche gegen die britische Besatzung werden in einem ironischen Licht dargestellt. Schnell wird dadurch klar, dass das klassische Wiederkäuen von Geschichte in diesem Film eine andere Art von Platz erhält – ein anderes Kapitel soll aufgeschlagen werden. Doch der Kampf zwischen Protestanten und Katholiken, Unionisten und Republikanern wird nicht vollständig im Hintergrund verschwinden.

25 Jahre Karfreitagsabkommen – Wie steht es um den irischen Befreiungskampf?

Denn die Anfangsszene startet auf einem illegalen Rave im nordirischen Wald, nahe der Stelle, an der Bandmitglied Móglaí Bap (Naoise Ó Cairealláin) ein paar Jahre zuvor traditionell irisch getauft wurde. Eine Veranstaltung, die kurz darauf von einem Polizeihubschrauber unterbrochen wird, weil ein geheimes IRA-Treffen hinter der Waldzusammenkunft vermutet wird.

Irische Sprache als Form der Rebellion

Der Rave wird – als Ausdrucksform junger, frecher Subkultur – selbstredend innerhalb kürzester Zeit gewaltsam von der Polizei mit Hundestaffel aufgelöst. Kneecap-Mitglied Mo Chara (Liam Óg Ó hAnnaidh) schafft es nicht mehr rechtzeitig, von der Party zu fliehen und landet kurzerhand für eine Nacht im Gefängnis. Beim Verhör durch die örtliche Polizeikommissarin, die vermutet, dass Mo in seinem Notizbuch voller irisch-gälischer lyrischer Texte ein altes IRA-Versteck erwähnt, weigert er sich, Englisch zu reden. Stattdessen wird jede Frage seinerseits auf gälisch beantwortet, was die englische Kommissarin natürlich nicht versteht und ihr noch weniger gefällt.

Also wird mitten in der Nacht ein ansässiger Musiklehrer (JJ Ó Dochartaig) aus dem Schlaf geklingelt, der als Übersetzer für die Exekutive fungieren soll. Im Verhörraum bemerkt man schnell, dass der Musiklehrer JJ dem jungen Mo Chara wesentlich mehr zugetan ist als der örtlichen Kommissarin. Er berät ihn heimlich rechtlich und hilft ihm, die an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe der Kommissarin zu entkräften.

Als JJ dann noch gebeten wird, in Mo Charas Notizbuch nach Hinweisen zu suchen, findet der Lehrer eine volle Seite mit MDMA-Pappstreifen. In einer passenden Situation gelingt es ihm, das Buch einzustecken und Mo somit aus dem Knast frei zu bekommen. Tja, halt mangelnde Beweislage.

Hip-Hop auf Irisch

JJ lässt der Gedanke an die irisch-gälische Lyrik aus Mo Charas Buch jedoch nicht los. Die Texte sind vulgär, antiautoritär, gegen Polizeigewalt gerichtet und vor allem gegen britischen Einfluss jeglicher Art. Also setzt er sich ans Mischpult in seiner Garage und beginnt, einen Beat nach dem anderen zu bauen, quasi um die Texte herum. Er zeigt den beiden Jungs ein paar Tage später sein Werk – zunächst reagieren Mo Chara und Móglaí Bap noch abweisend, denn wer würde sich denn schon für Hip-Hop auf Gälisch interessieren?

„Get Your Brits Out“ – Kneecap aus Belfast machen Rap auf Gälisch

2017 entsteht nach einer durchzechten Nacht die erste Single C.E.A.R.T.A (dt.: Rechte), gepeitscht von JJs sprachlicher Vision, dass die gälische Sprache „freigelassen“ werden müsse, befreit aus Jahrzehnten des Einsperrens und Verstaubens. Die Single kommt lokal gut an, Mund-zu-Mund-Propaganda und eine exzessive erste Show im örtlichen Pub, bei der mutmaßlich Koks-Baggies in das feiernde Publikum geworfen werden, markieren die Anfänge des Erfolgs.

Die drogenhandelnden Jugendlichen geraten dann auch ins Fadenkreuz militanter politischer Organisationen wie der „Radical Republicans Against Drugs” (RRAD) – eine Anspielung auf die tatsächlich existierende Republican Action Against Drugs, die sich 2012 mit anderen Organisationen zur New IRA zusammenschloss. Zwar gehen sie erst gewaltvoll gegen die Drogendealer vor, um die Jugend von einem zersetzenden „Hedonismus“ zu befreien, sehen dann aber ein Potential darin, ihre eigenen Aktivitäten über diesen wirtschaftlichen Zweig zu finanzieren.

Auch als der erste Song im irischen Radio laufen soll, werden die drei angehenden Rapper wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn aufgrund der irischen Sprache und der rigorosen Thematisierung von Drogenkonsum und Sex durch sie, schiebt das Radio dem Song einen Riegel vor. Auch ein weiterer Auftritt wird durch das Auftreten der Polizei abgebrochen, Kneecap dient als Zielscheibe der anti-irischen Repression der Polizei.

So lautet auch das über allem schwebende Credo des Films: „Gach focal a labhraítear i nGaeilge, is é piléar scaoilte ar son saoirse na hÉireann“ („Jedes auf Irisch gesprochene Wort ist eine abgefeuerte Kugel für die irische Freiheit“). Mo und Móglaí haben dieses Zitat schon in früher Kindheit von Móglaís Vater (Michael Fassbinder), einem später untergetauchten IRA-Mitglied eingetrichtert bekommen – zusammen mit vielen anderen Lektionen zur irisch-gälischen Sprache.

Ein Leben ohne Perspektive

Der Film beginnt ungefähr im Jahr 2015 und endet gegen 2019. Es werden die Anfänge von „Kneecap“ erzählt. Der spätere große Durchbruch mit einem Auftritt beim Glastonbury Festival bleibt noch aus. Stattdessen wird ein Fokus auf die Lebensrealität junger Menschen gelegt, die im Norden von Irland leben.

Die sogenannte „ceasefire-babies“-Generation aus Nordirland bekam zwar nie unmittelbar die „Troubles“ der späten neunziger Jahre mit, dennoch litt sie weiterhin unter den Spätfolgen. Diese Generation wuchs in offiziell friedlichen Zeiten auf, trotzdem blieben die Spuren des alten Konflikts: Wohnsiedlungen getrennt nach Konfessionen, „Friedensmauern“ inmitten von Städten. Eine grassierende Perspektivlosigkeit, die gerade junge Menschen deprimieren muss.

Das individuelle Schicksal von Móglaí Bap ist hierbei repräsentativ: Sein Vater, ein untergetauchter IRA-Kämpfer, der weiterhin möchtegern-märtyrerhaft im Untergrund als Yogalehrer lebt, dadurch aber seine Ehefrau in eine jahrzehntelange Depression und seinen Sohn in ein Aufwachsen ohne Vater zwingt. Im Film kompensieren die Jungs von Kneecap das durch exzessiven Drogenkonsum und -handel. Das Vertrauen in politische Lösungen ist gering – zu oft wurde man von der Politik der Regierung Irlands und kolonialen Einflüssen Englands über den Tisch gezogen. Viele junge Menschen wollen Nordirland verlassen, es droht ein Brain-Drain.

Parallel zur Haupthandlung werden die aktivistischen Bemühungen der Bevölkerung für den Irish Language Act 2021 dargestellt, der zum Ziel hat, der irischen Sprache mehr offizielle Anerkennung als Landessprache zu geben.

Zwischen legalen Protesten, bewaffnetem Kampf und kultureller Rebellion

Im Film wird immer wieder die große Kluft zwischen dem Rap-Trio, den militanten bewaffneten Organisationen und der in legalem Rahmen arbeitenden Protestbewegung dargestellt. Die Frau von DJ Próvaí, die sich öffentlich für den Irish Language Act einsetzt, beklagt, dass die Texte der Rapper dem Anliegen schaden würden. Denn die britischen Medien und Teile der irischen Regierung sehen darin einen Anlass, die irische Sprache mit den vulgären Texten und dem „asozialen“ Verhalten gleichzusetzen.

Andererseits haben die RRAD – zumindest oberflächlich – ein Problem mit den illegalen Aktivitäten der Drogenhändler. Die berechtigte Kritik an dieser fehlgeleiteten Politik, die sich vor allem gegen Teile der eigenen Bevölkerung richtet, die selbst unter den fehlenden Perspektiven leidet, wird im Film jedoch von Anfang an genutzt, um den legitimen und notwendigen bewaffneten Kampf gegen die britischen Besatzer ins Lächerliche zu ziehen.

Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Parteien, die teils aus einer eigenen Engstirnigkeit und fehlendem Kooperationswillen und teils auch aus gezielten Spaltungsversuchen von außen entstehen, verhindern letztendlich, dass die verschiedenen Menschen ihre Kräfte zusammenführen. Ihr gemeinsames Interesse von einem Zurückdrängen des britischen Einflusses, besseren ökonomischen Bedingungen und damit einer Grundlage für eine aufblühende irische Kultur rückt schnell in den Hintergrund.

Was der Film eindrucksvoll zeigt, ist der Einfluss, den kulturelle Projekte auf das politische Bewusstsein der Menschen haben. Besonders Hip-Hop war in seiner Entstehung eine Ausdrucksform schwarzer Menschen in den USA, mit der sie ihre Unterdrückungserfahrungen sowie die gesellschaftlichen Ursachen thematisierten. Dazu zählten in den 60er Jahren beispielsweise auch Musiker aus dem Umfeld der Black Panther Party (BPP), die Sprechgesang nutzten, um politische Botschaften zu verbreiten.

Der Fokus des Films auf die Sprache als Mittel der eigenen Befreiung aus der Unterdrückung ist auch in postkolonialen Bewegungen keineswegs eine Seltenheit. Und mit welcher Gegenwärtigkeit in diesem Film mit dem „Werkzeug“ der Sprache gespielt wird, ist beachtlich – zunächst auf der Polizeiwache, dann zensiert im Radio, anschließend skandalisiert in der britischen Presse.

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Doch eine Beschränkung auf diesen Teil des Kampfes lässt schnell die Ursachen der Probleme in den Hintergrund rücken. Denn dass in Irland die gälische Sprache unterdrückt wird, ist ein Ausdruck der ökonomischen Ausbeutung und militärischen Besatzung – nicht anders herum. Die Schlussfolgerung daraus sollte also nicht die Ablehnung anderer Kampfformen sein, sondern ganz im Gegenteil ein Zusammenführen von legalen Protesten, bewaffneten Organisationen sowie kulturellen Angeboten – und gegen jede Spaltungsversuche der Feinde.

Rezensionsliebling im bürgerlichen Feuilleton

Kneecap ist trotzdem sehenswert. Der Film reißt einen mit in die turbulente Achterbahnfahrt zwischen Ketamin-Überdosierung vor Auftritten, Hetzjagden mit der Polizei und der Perspektivlosigkeit einer noch jungen Generation Nordirlands. Kneecap haben sowohl einen Film über die Entstehung einer der interessantesten Hip-Hop-Gruppen der Gegenwart gemacht, und zugleich eine komplette Generation junger, abgehängter nordirischer Menschen porträtiert, wie es vorher noch niemand anders geschafft hat.

Weltpremiere hatte der unter Regie von Rich Peppiatt entstandene Film bereits im Januar 2024 beim Sundance-Film-Festival in Utah. Erstmalig wurde dort ein irisch-gälisch-sprachiger Film gezeigt – und gewann dort auch prompt den Publikumspreis. Es folgten weitere Nominierungen und Auszeichnungen, u.a. bei den „British Academy Filmawards” oder den „Irish Film Awards”. Im Anschluss wurde „Kneecap“ von Irland als Beitrag für die Oscars in der Kategorie „Bester internationaler Film“ eingereicht – also die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der internationalen Pop-Kultur.

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Es ist eine Eigenart des Hip-Hop, oder genauer ähnlicher Subkulturen, in den hochlobenden Fängen des bürgerlichen Feuilletons zu landen – meist ganz ohne Zutun. Ein bekanntes Beispiel hierfür wäre das Album „Russisch Roulette“ des Frankfurter Rappers Haftbefehl. Ein Album, das in der Rap-Szene damals durchaus positiv aufgenommen wurde, im Kulturteil von großen Tageszeitungen wie FAZ oder SZ aber wie der nächste Bansky hochgelobt wurde.

Es ist meist vollkommen willkürlich und kulturlos, wie der nächste große Wurf einer solchen Subkultur in der bürgerlichen Presse rezipiert wird. Nach „Kneecaps“ erfolgreichem Debüt wurden direkt die Vergleiche zum schottischen Filmopus „Trainspotting“ gezogen. Dieser Vergleich beruht einzig und allein auf der Gemeinsamkeit des exzessiven Drogenkonsums, der aber in völlig unterschiedlichen Kontexten und völlig unterschiedlichen Zeiten sowie Rahmenbedingungen stattfindet.

Das bürgerliche Feuilleton beschäftigt sich immer wieder gerne mit den – oft besonders drastischen – Unterdrückungserfahrungen der Arbeiter:innenklasse. Doch es scheint, als würde dies nur passieren, solange der revolutionäre Kampf der Unterdrückten gegen die Ursachen ihres Elends entweder ausgeblendet oder in einem nicht ausreichend ernstnehmendem Licht dargestellt wird.

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