Zeitung für Solidarität und Widerstand

Klassenkampf statt Wahlzirkus

Rund um die Bundestagswahl wiederholt sich einmal mehr der Höhepunkt im Zirkus der bürgerlich-liberalen Demokratie. Forderungen werden aufgestellt, Versprechen gemacht, politische Gegner:innen verhöhnt und neue Sieger:innen gekrönt. Einen Ausweg aus Kriegen und Krisen schaffen aber weder CDU noch SPD, nicht die AfD und nicht die Grünen, auch nicht die Linke oder das BSW. Statt dieses Wahlzirkus ist es nun Zeit, dass wir selbst das Heft in die Hand nehmen. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Die erste Jahreshälfte des Jahres 1916 verbrachte der kommunistische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin damit, im Exil in Zürich seine Analyse des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems niederzuschreiben. Das so entstandene Werk, veröffentlicht unter dem Titel „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” umreißt das Wesen des Imperialismus zu Beginn des ersten Weltkriegs und stellt dabei als ein Merkmal die Entstehung der sogenannten Finanzoligarchie und die umfassende Herrschaft des Finanzkapitals über die ganze Gesellschaft heraus.

Wer heute nach Beweisen sucht, warum Lenins Werk auch über 100 Jahre nach seiner Entstehung noch längst nicht überholt ist, muss sich nur einmal die aktuelle Liste der Spitzenkandidat:innen der bürgerlichen Parteien für die Bundestagswahl und ihre Verbundenheit zum Kapital ansehen: Friedrich Merz von der CDU war jahrelang Manager bei dem US-amerikanischen Vermögensverwaltungsgiganten Blackrock. Olaf Scholz von der SPD hat während des Cum-Ex-Skandals klargestellt, dass er auf der Seite der Finanzbetrüger:innen einzuordnen ist. Alice Weidel von der AfD arbeitete erst für die Investmentbank Goldman-Sachs und saß später bei einer Investment-Tochter des deutschen Versicherungsmonopols Allianz in der Vorstandsetage.

Über Christian Lindner von der FDP ist längst bekannt, dass er die Wünsche von Porsche und VW direkt in politische Verträge einfließen ließ. Nur Robert Habeck scheint etwas unbefleckter zu sein, hat aber trotzdem bereits als Wirtschaftsminister erfahren, dass auch er nach der Pfeife des Kapitals zu tanzen hat.

Wir haben die Wahl …

Natürlich, so könnte der eine oder die andere jetzt entgegnen, geht es bei der Wahl und der Regierung nicht um einzelne Personen, sondern um die Parteien und die Programme, denen die Spitzenkandidat:innen angehören. Das ist ganz richtig, ändert aber nichts daran, dass am Ende der Bundestagswahl das Finanzkapital gewonnen haben wird. Jede bürgerliche Partei, von AfD bis BSW, egal ob rot, schwarz oder grün, vertritt die Interessen bestimmter Teile des Finanzkapitals. Dass sie nicht alle einfach eine große Koalition bilden, liegt vor allem daran, dass auch einige Interessen innerhalb der Kapitalist:innenklasse überkreuz miteinander liegen und es unterschiedliche Strategien für den Machterhalt gibt.

Der größte Unterschied ist derzeit die Frage, wie offen das deutsche Finanzkapital schärfere Angriffe auf die Millionen Arbeiter:innen – also allen diejenigen, die den Reichtum der Kapitalist:innen mit ihrer bezahlten und unbezahlten Arbeit erschaffen – unternehmen wird. Schon in den letzten Jahren haben wir erlebt, wie im Zuge der Aufrüstung der Bundeswehr und Milliardenhilfen für die – im internationalen Konkurrenzverhältnis ins Hintertreffen geratene – deutsche Wirtschaft unsere Lebensbedingungen Stück für Stück schlechter wurden. Sozialkürzungen und Stellenabbau sind aber, angesichts der sich immer weiter verschärfenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten auf der Welt, nicht das Ende dieser Entwicklung.

SPD und Grüne möchten deswegen, solange es geht, die Illusion des großen Miteinanders von Reichen und Armen aufrecht erhalten – für sie zählt vor allem, unseren Lebensstandard gerade so weit aufrechtzuerhalten, dass wir nicht offen zum Protest gegen die Herrschenden übergehen. Die AfD, die CDU und die FDP stehen hingegen ganz unverhohlen dafür, uns und unsere Klasse noch stärker in die Mangel zu nehmen und den Kapitalist:innen noch größere Geschenke zu machen. Weil sie wissen, dass es dabei zu Unruhen kommen kann, rüsten sie die Polizei auf, die uns bei Demonstrationen und Versammlungen zusammenknüppeln werden. AfD und BSW vertreten außerdem besonders die Interessen desjenigen Teils des Kapitals, das den Schulterschluss mit dem russischen Imperialismus wiederherstellen möchte.

Schlussendlich heißt das für uns, dass sich zwar kurzfristig durch die Wahl und neue Kräftekonstellationen in der bürgerlichen Regierung für uns Unterschiede ergeben können – über kurz oder lang geht es dabei aber im Grunde nur darum, wie schnell es uns schlechter gehen wird. Jedes kleine Zugeständnis an uns wird uns – sofern die Kapitalist:innen weiter nach eigenen Interessen schalten und walten – früher oder später wieder genommen werden.

… ob wir wirklich etwas verändern wollen

Die bürgerlichen Parteien führen uns also auf lange Sicht in unser Verderben. Mit diesem Wissen im Kopf kann angesichts des laufenden Wahlzirkus, der Sondierungen und der ganzen Expert:innen-Talks schnell Frust und Überdruss aufkommen – so wie bei den rund 30 Prozent der Wahlberechtigten, die sich an der Wahl nicht beteiligen werden. Aber auch das Nichtwählen wird uns keine Verbesserung bringen.

Stattdessen heißt es für uns, eine echte Alternative aufzubauen und der Herrschaft des Finanzkapitals endlich den Garaus zu machen. Dabei geht es für uns nicht darum, mit so halbgaren Forderungen wie dem Austritt aus der EU oder der Wiederherstellung nationaler Stärke einen scheinbaren Ausweg aus dem Status Quo anzutäuschen.
Nein, für uns und unsere Klasse führt der Weg nur über die Überwindung des Kapitalismus in seiner Gesamtheit und den Ausstieg aus dem imperialistischen Weltsystem.

Was würde Lenin wohl wählen, wäre er noch am Leben – und hätte er einen Wahlbenachrichtigungszettel von den deutschen Behörden erhalten? Es lässt sich mit Blick auf das Werk und Schaffen Wladimir Iljitsch Lenins vorsichtig vermuten, dass er den Zettel unter den heute gegebenen Umständen zerrissen und stattdessen alle Ausgebeuteten und Unterdrückten zum Zusammenschluss gegen die Regierung und die Kapitalist:innen aufgerufen hätte. Und genau das ist es, was wir heute zu tun haben.

Nach der Wahl werden die Politiker:innen wieder in ihren Parlamenten und Kämmerlein, in ihren „Schwatzbuden” sitzen, wie Lenin gesagt hätte, und um kleinste Formulierungen und große Geschenke für das Kapital feilschen.
Lasst uns währenddessen organisieren, um ihnen klassenkämpferisch und mit unserer geballten Kraft zu zeigen, dass wir unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen – unabhängig von dem, was sie reden und unabhängig von dem, was das Finanzkapital im Schilde führt!

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 95 vom Februar 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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