Nach fast 50 Jahren Haft ist der indigene Widerstandskämpfer Leonard Peltier von der Isolationshaft in den Hausarrest verlegt worden. Was wir vom Widerstand der indigenen Völker Nordamerikas gegen den dortigen Siedlerkolonialismus lernen können – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko.
Für amerikanische Präsidenten ist es üblich, als letzte Amtshandlung Amnestien für Gefangene in den amerikanischen Gefängnissen auszusprechen. Dementsprechend hoch ist die Hoffnung von Angehörigen und Unterstützer:innen von langjährigen (politischen) Gefangenen wie Leonard Peltier oder Mumia Abu-Jamal am Ende einer jeden Amtszeit.
Der scheidende Ex-Präsident Joe Biden entschied sich zwar gegen eine Begnadigung Peltiers, ließ aber die zweifach lebenslängliche Haftstrafe des über 80-Jährigen zumindest in einen Hausarrest umwandeln. Auch wenn also mehr möglich gewesen wäre, geht damit eine deutliche Verbesserung der Haftbedingungen einher. Peltier hatte fast 50 Jahre in amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen gesessen, oft in Isolationshaft.
Darunter litt auch der Gesundheitszustand des indigenen Aktivisten. Seine Sehfähigkeit sei inzwischen extrem eingeschränkt, er benötige dringend medizinische Unterstützung. Begleitet von vielen Unterstützer:innen kam er in seiner Heimat in der Turtle Mountain Reservation an.
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Wofür bekam der Native American Peltier 50 Jahre Knast?
Vorgeworfen wird Peltier, Ende der 70er Jahre zwei FBI-Agenten bei einem Schusswechsel im Pine-Ridge-Reservat getötet zu haben. Im Rahmen des Prozesses gegen Peltier kam es jedoch zu vielen „Ungereimtheiten“. So wurde eine ihn belastende Zeugenaussage zurückgezogen und damit begründet, vom FBI unter Druck gesetzt worden zu sein. Des Weiteren wurde erst Jahre nach dem Prozess der Verteidigung die ballistischen Daten zugänglich gemacht. Diese belegen, dass zwar Schüsse, nicht aber die tödlichen Schüsse aus Peltiers Waffe kamen.
Das alles hat dem indigenen Aktivisten des American Indian Movement (AIM) wenig genützt. Trotz mangelnder Beweise wurde er wegen Mordes inhaftiert. Denn die Repression gegen Leonard Peltier ist Teil einer viel tiefergehenden Unterdrückungskampagne gegen den antikolonialen Widerstand und die revolutionäre Bewegung in den USA.
Indigener Widerstand in den USA und die AIM
Seit dem Beginn der gewaltsamen Eroberung der amerikanischen Kontinente durch europäische Siedler:innen leisteten Indigene Widerstand. Die Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents ging mit massiven Vertreibungs- und Vernichtungswellen einher, denen große Teile der einheimischen Bevölkerung zum Opfer fielen. Aktuell geht man von der Ermordung von über vier Millionen indigenen Menschen alleine bis zur Unabhängigkeit der USA 1776 aus.
Auch nach dieser anfänglichen Phase der Kolonisierung durch europäische Kolonialmächte hörte das systematische Morden und Vertreiben nicht auf. Sie bildet in gewisser Weise bis heute eine Grundlage US-amerikanischer Politik und Gesellschaft.
Der amerikanische Siedlerkolonialismus ist kein abgeschlossenes Projekt der Vergangenheit. Ganz im Gegenteil handelt es sich um einen weiterhin aktiven Prozess der Vertreibung, Entrechtung und Ermordung sowohl der indigenen Bevölkerung als auch anderer unterdrückter Nationalitäten.
Ein Beispiel sowohl für die andauernde Unterdrückung der amerikanischen Indigenen als auch für ihren kollektiven Widerstand stellten die Proteste in Standing Rock 2016 dar. Staat und Öl-Konzerne hatten sich vorgenommen, eine Öl-Pipeline durch ein Gebiet der Sioux zu verlegen, was sowohl ihre Trinkwasserversorgung gefährdet als auch wichtige Grabstätten und religiöse Plätze zerstört hätte. Tausendfacher Protest und aktiver Widerstand der indigenen Bevölkerung und ihrer Unterstützer: innen wurde gewaltsam durch private Sicherheitskräfte niedergeschlagen.
Heute und jeden Tag: Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Wer war Leonard Peltier?
Leonard Peltiers Geschichte ist besonders dahingehend interessant, dass sie eng mit einer besonders militanten Periode des indigenen Widerstandes in den USA verwoben ist. Die 1960er bis 1980er Jahre waren eine Zeit, in der revolutionäre und widerständige Bewegungen und Organisationen in den USA aus dem Boden sprossen. Sie entfalteten durchaus relevanten Einfluss auf das Leben in den USA.
Nicht die einzige, aber sicher eine der einflussreicheren Organisationen war das American Indian Movement (AIM), eine militante Organisation, die 1968 in Minneapolis gegründet wurde und sich für eine Vielzahl von indigenen Anliegen stark machte. Die Geschichte des AIM (bei dem Peltier ein Mitglied war) ist deswegen relevant, weil sie aufzeigt, dass militanter und entschlossener Widerstand sogar einem so mächtigen und skrupellosen Feind wie den USA ein Dorn im Auge sein konnte. Doch sie zeigt auch, wie eben dieser Feind im Zusammenhang mit dem Niedergang der revolutionären Bewegungen Ende der 70er Jahre nicht vor weitreichender und blutiger Repression zurückschreckt.
Eine zentrale Stärke des AIM war die Organisierung der indigenen Bevölkerung an Hand ihrer konkreten Probleme. Diese verband sie mit einer breiteren Vision der nationalen Souveränität als unterdrückte Völker über Stammesgrenzen hinweg. Besonders dringliche Anliegen waren hierbei die Einhaltung der in Verträgen mit dem US-Staat zugesicherten Rechte von Stammesgemeinschaften, die Bekämpfung sexualisierter Gewalt durch weiße Siedler an indigenen Frauen sowie die Aufarbeitung und Bekämpfung des „Boarding School Systems“, wonach indigene Kinder ihren Familien und Stämmen entrissen und in gefängnisartige Umerziehungsschulen gesperrt wurden. In diesen wurden sie nicht nur physisch und psychisch misshandelt, sondern ihre Kultur (in Form von z.B. Sprach- und Kleidungsverboten) wurde ihnen gewaltsam genommen.
Auch die ökonomischen Probleme der breiten indigenen Massen in den Reservaten und den Städten war ein Kernthema der AIM. Mit ihrer Massenarbeit, aber auch mit spektakulären Aktionen schafften sie es, eine nationale Bewegung der Indigenen in den USA aufzubauen. Dazu gehören Besetzungen wie die des Bureau of Indian Affairs (Büro für indianische Angelegenheiten), der kolonialen Verwaltungsbehörde der USA über die indigene Bevölkerung.
Erinnern heißt kämpfen – für Peltier und indigene Amerikaner:innen
Zentral waren hierbei auch die Ereignisse in Wounded Knee im Jahr 1973, als Aktivist:innen der AIM die Kleinstadt in der Pine Ridge Indian Reservation besetzten, um dem Massaker von 1890 zu gedenken, bei dem 300 wehrlose Angehörige verschiedener Sioux-Indianerstämme von einer US-Kavallerie ermordet worden waren. Das Massaker brach den Widerstand der indigenen Bevölkerung der Dakotas. Es beeinflusst die Kultur und das Leben der dortigen Native Americans bis heute und alljährlich findet eine 14-tägige Gedenkveranstaltung statt.
1973 kam es zu einem weltweit medial verfolgten Stand-off zwischen den Aktivist:innen auf der einen Seite und dem FBI, der Polizei und Milizen auf der anderen Seite. Dabei kam es nicht nur zur Ermordung von zwei Aktivist:innen während der Belagerung, sondern auch zu ca. 60 ungeklärten Morden in der Zeit danach. Es ist davon auszugehen, dass diese auf von der FBI unterstütze Gangs zurückzuführen sind. Sowohl die juristische Repression (der später auch Leonard Peltier zum Opfer fiel) als auch diese Morde schwächten die AIM und die gesamte indigene Bewegung nachhaltig.
Internationale Solidarität gegen Kapitalismus und Imperialismus
Nicht nur die Strategien und Methoden von Gruppen wie der AIM sind für uns heute von Interesse. Geschichten wie die von Leonard Peltier zeigen uns, wie zentral (internationale) Solidarität im Kampf gegen staatliche Repressionen ist: Die „Befreiung“ Peltiers wäre undenkbar, wenn es nicht seit Jahrzehnten eine Bewegung gebe, die sich aktiv für seine Befreiung eingesetzt hat.
Auch in Deutschland fanden koordinierte Solidaritätsaktionen für seine Freilassung statt. So erreichte am 18. Februar ein Grußwort Peltiers das 10. Nordamerika Filmfestival „Indigen“ in Stuttgart. Langfristige Solidaritätsarbeit, die in eine breitere Bewegung im Kampf gegen den Imperialismus eingebettet ist, zeigt, dass wir den Herrschenden nicht wehrlos ausgeliefert sind. Sie zeigt uns, dass Solidarität eine Waffe ist.
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