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„Man könnte Zaid gleich behandeln, tut es aber nicht” – Interview mit der Anwältin eines politischen Gefangenen

Am 20. Januar stellten sich in ganz Deutschland von sich aus sieben Antifaschist:innen, nachdem sie über Monate und Jahre dem Verfolgungsdruck des deutschen Staats durch ein Leben im Untergrund entgangen waren. Einer von ihnen, der junge Antifaschist Zaid, sitzt seitdem in der JVA Köln-Ossendorf in Ausweisungshaft. Perspektive hat mit Anna Busl, der Anwältin von Zaid, über die Haftbedingungen und die Repression gegen Antifaschist:innen in Deutschland gesprochen.

Wie geht es Zaid?

Den Umständen entsprechend geht es ihm gut. Trotzdem ist es natürlich so, dass eine Inhaftierung immer mit einer gravierenden Belastung einhergeht, da vieles beantragt und genehmigt werden muss. Zaid bekommt auf jeden Fall jede Menge Post und freut sich darüber sehr. Er hat Bücher, die er lesen kann. Außerdem bekommt er hoffentlich mittlerweile auch Zeitungen, so dass er auch das politische Tagesgeschehen weiter mitverfolgen kann.

Und er freut sich, wenn von draußen Musik zu hören ist, wie bei den Kundgebungen, die vor der JVA stattgefunden haben. Auch wenn er dann nicht jeden Redebeitrag mitbekommen kann, ist es doch wichtig, das Gefühl zu haben, nicht alleine und nicht vergessen zu sein. Das geht ja nicht nur ihm so, sondern allen Gefangenen.

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Darf er Besuch empfangen?

Auch Besuch muss, genau wie vieles andere, durch die Generalstaatsanwaltschaft Köln genehmigt werden. Dafür müssen Besuchserlaubnisse beantragt werden, dann braucht es freie Termine in der JVA. Das alles führt zu Verzögerungen. Für Auslieferungshäftlinge in NRW gilt eigentlich gesetzlich, dass mindestens zwei Stunden Besuchszeit im Monat gewährt werden müssen. Für Zaid wurde das weder im Januar noch im Februar erfüllt. Das geht so nicht. Daher haben wir jetzt entsprechende Anträge bei der JVA gestellt, dass Zaid nun seine ihm zustehenden Besuche auch bekommt.

Gibt es etwas, das Zaid in der Solidaritätsarbeit besonders wichtig ist?

Er freut sich wie gesagt sehr über die Kundgebungen vor der JVA. Gleichzeitig möchte er nicht, dass nur er alleine durch solche Kundgebungen adressiert wird, sondern auch die anderen Gefangenen, mit denen er zusammen ist. Zaid findet wichtig, dass das zum Thema gemacht wird.

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Zaid besitzt ja – anders als die anderen aufgetauchten Antifaschist:innen – keine deutsche Staatsbürgerschaft. Welche Schwierigkeiten und besonderen Gefahren ergeben sich daraus?

Hier muss ich ein bisschen ausholen: Die ungarischen Behörden haben nach den Ereignissen 2023 beim „Tag der Ehre“ Strafverfahren eingeleitet und irgendwann Rechtshilfesuchen gestellt, die ursprünglich bei der Generalstaatsanwalschaft in Sachsen bearbeitet wurden. Dann hat aber die Bundesanwaltschaft diese Verfahren bei allen – auch bei Zaid – übernommen, und zwar als Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und wegen diverser Körperverletzungsdelikte. Das heißt, es gibt ein ungarisches Verfahren und ein deutsches Verfahren.

Aber: Eine Doppelverfolgung ist rechtlich nicht zulässig, und im Falle der anderen sechs Aufgetauchten hat die Bundesanwaltschaft den zuständigen Generalstaatsanwaltschaften bereits mitgeteilt, dass sie dem Ermittlungsverfahren in Deutschland den Vorrang vor dem ungarischen Auslieferungsgesuch ggibt. Bei Zaid hat das die Bundesanwaltschaft – noch – nicht getan, weil er kein deutscher Staatsangehöriger ist, und daher noch zu klären sei, ob die Bundesrepublik überhaupt zuständig ist (im Strafgesetzbuch gibt es eine Regelung der Zuständigkeit für hier, wenn die Täter:innen Deutsche sind, wenn die Opfer Deutsche sind oder wenn der Tatort in Deutschland liegt).

Aber es gibt ja das Verfahren wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen Vereinigung – und die wurde ja dann wohl in Deutschland gebildet. An sich hätte die Bundesanwaltschaft also durchaus die rechtliche Möglichkeit, auch für Zaid das Ermittlungsverfahren hier in Deutschland zu führen und damit gegenüber Generalstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht Köln klar zu artikulieren: Wir geben dem Verfahren hier in der Bundesrepublik den Vorrang.

Der Punkt ist also: Man weiß um die Haftbedingungen in Ungarn, und man hätte die rechtlichen Möglichkeiten, Zaid nicht auszuliefern. Für mich heißt das in der Folge, dass bei sechs deutschen Staatsangehörigen anders entschieden wird als bei Zaid, der kein deutscher Staatsangehöriger ist. Man könnte Zaid gleich behandeln, tut es aber nicht.

Zaid ist ein Gefangener von vielen, die momentan die Repression des Staates zu spüren bekommen. Gleichzeitig gab es jetzt gerade ein Urteil in den Verfahren zur Engels-Demo in Wuppertal, wo die Polizei von einem Gericht doch auch einmal in die Schranken gewiesen wurde. Könnte so etwas vielleicht auch öfter passieren?

Also, generell entwickelt sich der Repressionsdruck ja nie geradlinig. Nur weil es gerade eine, zugegeben sehr schöne, Entscheidung in den Engels-Demo-Verfahren gegen die Polizei gegeben hat, muss das erstmal nicht heißen, dass das auch in anderen Fällen so sein wird – vor allem, weil das Verhalten der Polizei bei dieser Sache insgesamt sehr absurd war und es bereits einige Freisprüche für Demonstrierende in diesem Fall gegeben hat.

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Unabhängig davon ist es, denke ich, schon so, dass die letzten Jahre geprägt sind von einer Zunahme an strafrechtlichen Verfahren gegen Aktivist:innen. Allein wenn wir uns anschauen, was es alles im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit an Einschränkungen gegeben hat, sehen wir, wie sehr in Deutschland Meinungen und Haltungen wie in der Palästina-Frage, aber auch rund um den Krieg in der Ukraine, unterbunden werden sollen …

Dazu ist die Zahl von Strafverfahren auch durch die Verschärfung der Paragrafen zu Widerstand und tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamt:innen seit mehreren Jahren angestiegen. Auch dass zum Beispiel die Klimabewegung mittlerweile als kriminelle Vereinigung verfolgt wird, ist eine Folge davon, dass der Staat bei Vereinigungsdelikten einen höheren Verfolgungswillen entwickelt hat.

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Weiterhin haben wir heute so viele inhaftierte kurdische Gefangene in Deutschland, die aufgrund des PKK-Verbots verurteilt wurden oder verfolgt werden, wie seit Jahren nicht mehr. Insgesamt ist also die Zunahme enorm. Auch über die Strafverfolgung hinaus sehen wir Verschärfungen, zum Beispiel jetzt kürzlich mit der Anfrage der CDU, mit der Demonstrierende eingeschüchtert werden sollen. Die Freiheiten, die der bürgerliche Staat gewährt und angeblich garantieren will, werden dadurch immer mehr in Frage gestellt.

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