Seit Wochen sind hunderttausende Menschen auf den Straßen und protestieren gegen die rechte Politik der CDU und ihre versöhnlerische Haltung zur faschistischen AfD. Rechte Medien zeichnen derweil das Bild, als ob die Proteste von den anderen Parteien gesteuert seien.
So oder so: Die Proteste brechen aus ihrem staats- und systemtreuen Kokon nicht aus. Das braucht es aber, wenn wir den Faschismus wirklich besiegen wollen. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.
Hessen, Gießen, Darmstadt, Leipzig, München – die Liste könnte endlos weitergehen. Die Anti-AfD-Proteste aus dem Vorjahr flammen erneut auf und treiben hunderttausende Menschen auf die Straße. Allein in München versammelten sich um die 300.000 Demonstrant:innen – beeindruckende Zahlen!
Auslöser für einen der größten Massenproteste in der jüngeren Geschichte der BRD war der Schulterschluss der CDU/CSU mit der AfD bei der Abstimmung von zwei Unions-Anträgen zur Verschärfung der Asylpolitik, die ohne die AfD-Stimmen nicht hätten durchgebracht werden können. Viele sahen darin den offiziellen „Einsturz“ der Brandmauer gegen den Faschismus und der AfD als seinem parlamentarischen Arm.
Proteste von Regierung „gekauft“?
Die konservativ-rechten Tochterunternehmen des großen Axel Springer-Verlages wie BILD oder WELT, aber auch das vom ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt gegründete Onlinemedium Nius behaupten in ihren Artikeln, die Massenproteste gegen Rechts und ihre Organisator:innen seien von der Bundesregierung mitfinanziert. Als Beweise führen sie vermeintliche Spenden vom Familienministerium, dem Bundeskanzleramt oder dem Wirtschaftsministerium, aber auch von Organisationen wie Omas gegen Rechts oder BUND an.
Neu sind solche vermeintlichen „Entlarvungen“ von Rechts aber nicht. Das Argument, antifaschistische Demonstrant:innen würden vom Staat Geld dafür bekommen, dass sie auf der Straße sind, ist weder neu, noch schwer zu widerlegen.
Keine der Organisationen erhielt staatliche Finanzierung für die Proteste, sondern für ihre schulische Anti-Rassismus-Arbeit oder Umweltschutzprojekte. Der Großteil der Geldsummen wurde sogar bereits nach der letzten Wahl im Jahr 2021 bewilligt – also lange bevor die ersten Anti-AfD-Proteste überhaupt ausgebrochen sind.
Gezielte Desinformations- und Hetzkampagnen gegen linken Widerstand sind dabei keine Neuheit. Das haben uns die Proteste gegen die AfD-Bundesparteitage in Essen und Riesa gezeigt, wo Teilnehmer:innen pauschal als „Gewaltäter“ und „Terroristen“ bezeichnet wurden. Aber auch in ihrer Berichterstattung über pro-palästinensische Proteste spricht die BILD gerne mal von „gottlosen Barbaren“ oder „Menschen-Hassern“.
Lauwarmer Protest gegen rechts – keine Bedrohung für das System
Nichtsdestotrotz steckt auch ein Funken Wahrheit in den reißerischen Titeln von BILD und Co. Denn eine Nähe zwischen den bürgerlichen Protesten gegen Rechts und der Sozialdemokratie besteht tatsächlich: Immerhin bekommen sie – zwar nicht für Proteste, aber andere Projekte – Geld aus der Staatskasse gespendet, und das sind eben oft sozialdemokratisch besetzte Ministerien. Das macht die Demonstrationen noch lange nicht von den „Grünen gesteuert“, aber eine gewisse Abhängigkeit zwischen den meisten Organisator:innen der Großdemonstrationen und dem Staat besteht dadurch nahezu automatisch.
Diese Abhängigkeit wird noch einmal eindeutiger, wenn man bekannte Gesichter von Ampel-Politiker:innen auf den Protesten wiedererkennt: So hat zum Beispiel Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) auf der Demonstration in Hannover sogar eine Rede gehalten, in der er von einem Tabubruch gesprochen hat und forderte, sich jeden Tag für die Demokratie einzusetzen. Dass aber gerade die „Demokratie“, die er fordert und die „Parteien der demokratischen Mitte“ die rechte Politik der vergangenen Monate mitgetragen, selbst gefordert und auch umgesetzt haben, lässt er dabei vornehm aus.
Mit Zuckerbrot und Peitsche: Eine Reise durch die Migrationspolitik der Ampel
Woher kommt der Rechtsruck?
Dass mit dieser Nähe zur Sozialdemokratie der Horizont und der Spielraum der Proteste stark begrenzt ist, wird schnell klar, wenn man sich ihre Analysen und Forderungen genauer anschaut. Sie alle haben eines gemeinsam: sie verteidigen implizit den kapitalistischen Status Quo und schlagen sich durch ihre reform-orientierten Haltungen auf die Seite des Staates.
Denn eine klare Bezeichnung der Ursache, die dem Rechtsruck zugrunde liegt, findet sich in ihren Analysen unserer Gesellschaft nicht. Auf den Protesten wird vielmehr die heilige „Brandmauer“ beschworen, die wieder aufgebaut werden müsse, um den Faschismus hier im Land zu verhindern. Die „demokratischen Parteien“ müssten sich an ihre Werte erinnern und den Faschist:innen der AfD den Rücken kehren.
Die florierende faschistische Bewegung auf den Straßen wird dabei fast vollständig ausgeblendet. Auch werden die – dem Kapitalismus zugrunde liegenden – inneren Widersprüche nicht thematisiert. Diese sind es ja, welche die Imperialisten dazu zwingen, immer härtere Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Klassenherrschaft aufzufahren – was letztlich den Faschist:innen Tür und Tor öffnet, ihre reaktionäre Politik gesellschaftsfähig zu machen.
Ihre Brandmauer gab es nie!
Der ach so „plötzliche“ Sturz der Brandmauer war aber gar nicht mal so plötzlich – außer, man hat die Augen verschlossen vor den tausenden Abschiebungen, Milliardeninvestitionen in Krieg und Aufrüstung, Sozialkürzungen, Hetzkampagnen gegen Migrant:innen und Erwerbslose – und zwar alles während und durch die Ampelregierung.
Die Brandmauer hat nie bestanden. Das kann sie auch gar nicht. Immerhin stehen alle Parteien – egal ob CDU, AfD, FDP, SPD, Grüne, Linke oder BSW – für die Herrschaft des Kapitals: manchmal halt schwarz, blau, grün oder rot angestrichen, mal etwas sozialer gestaltet mit Zugeständnissen an uns Arbeiter:innen oder mal mit offener Hetze, Gewalt und Repression.
Der Aufstieg des Faschismus kann nur revolutionär gestoppt werden!
Eine wirkliche Alternative gegen den Faschismus werden die bürgerlichen Proteste gegen Rechts nicht bieten können, eben weil sie sich in ihrem antifaschistischen Kampf auf das System verlassen, das überhaupt erst den Nährboden für den Faschismus bereitet.
Umso wichtiger also, dass wir auf den Protesten präsent sind und die revolutionäre Perspektive bieten, die ihnen fehlt. Denn Faschismus lässt sich nicht gemeinsam mit Abschiebekanzler oder Panzerpistorius besiegen. Den größten Schlag verpassen wir dem Faschismus, wenn wir ihm seine kapitalistische Grundlage entreißen.