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Massenproteste in Serbien halten an – Studierende in den ersten Reihen

Über drei Monate nach dem Tod von 15 Menschen durch den Einsturz des Bahnhofsvordachs des Hauptbahnhofs in Novi Sad halten die Massenproteste in Serbien weiter an. Sie richten sich gegen die Korruption im Land, aber auch konkret gegen die rechte Regierung. Dabei werden regelmäßig wichtige Hauptstraßen blockiert, auch die Besetzung der Universitäten und Hochschulen hält weiter an.

Seit dem Einsturz des Bahnhofsvordachs des Hauptbahnhofes in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens, der 15 Todesopfer forderte, wird Serbien von Protesten überflutet: Diese gingen zunächst vor allem von Studierenden aus, die Universitäten besetzen, schwappten dann aber zügig auf große Teile der Bevölkerung über. Die Protestbewegung macht die Regierung, insbesondere die zurzeit regierende neoliberale und nationalistische Serbische Fortschrittspartei (SNS), für den Tod der Menschen in Novi Sad verantwortlich. Schuld seien besonders die jahrelange Korruption und der Sparzwang in öffentlicher Infrastruktur. Auch nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Miloš Vučević Ende Januar riss die Protestwelle nicht ab.

Serbiens Premierminister tritt zurück – Studierendenproteste gehen weiter

Vor circa einer Woche legten hunderte Studierende sieben Stunden lang den Verkehr auf einer zentralen Kreuzung in Belgrad und die Gazela-Brücke lahm. Es wurden insgesamt 15 Schweigeminuten im Gedenken an die 15 Opfer abgehalten und 15 Rosen in den Fluss Sava geworfen. Neben den Studierenden sollen auch viele Anwohner:innen an den Protesten teilgenommen haben.

Im Ort des Unglücks, Novi Sad, wurden ebenfalls Kreisverkehre an drei Zufahrtsstraßen blockiert und Rosen in die Donau geworfen, wie örtliche Medien berichteten. In Nis wurde versucht, an einer Zahlstation eine der wichtigsten Ausfahrten der Autobahn A1 im Norden der Stadt zu blockieren.

Eigene Infrastruktur und antifaschistischer Selbstschutz: Studierende als treibende Kraft

Ein großer Teil der Hochschulen und Universitäten im Land ist seit November durch die Studierendenschaft besetzt. Über die Proteste an den Universitäten hinaus sind die Studierenden immer wieder auch die vorantreibende Kraft hinter anderen Protestaktionen wie beispielsweise Straßenblockaden.

„Jede Entscheidung, die die Gemeinschaft hier in der blockierten, besetzten Universität betrifft, wird vor Ort durch Mehrheitsentscheidung getroffen. Nur so funktioniert unsere Gemeinschaft auf legitime Art und Weise“, äußert sich Nemanja Curcic, ein Studierender und Aktivist in der Campus-Besetzung in Novi Sad, gegenüber der Deutschen Welle.

In Novi Sad sind die Studierenden mittlerweile straff organisiert, die Universität der Stadt ist nahezu komplett besetzt. Zur Organisation wurden spezielle Teams gebildet, um die Erledigung einer Vielzahl an Aufgaben – darunter Logistik, Öffentlichkeitsarbeit oder die Anlieferung von Hygieneartikeln für die Besetzer:innen – gewährleisten zu können. Da die Protestbewegung immer wieder Angriffen durch faschistische Kräfte ausgesetzt ist, organisiert sie in Novi Sad auch antifaschistischen Selbstschutz in Form eines Sicherheitsteams und der Sondereinheit „Biber“: sie tragen Motorradkleidung und Helme, um sich zu schützen, sollten sie von einem Auto angefahren werden.

Die Studierenden sind nicht nur der Regierung gegenüber, sondern dem gesamten Staat und Teilen der etablierten Opposition gegenüber kritisch. Vorschläge wie die Bildung einer Übergangsregierung haben sie bisher abgelehnt.

Rücktritt des Ministerpräsidenten zeigt keine Wirkung – Proteste halten an

Seitdem gab es jedoch immer wieder organisierte Angriffe auf Protestierende: So auch im Januar, als Mitglieder der Regierungspartei SNS aus einem Parteibüro heraus Studierende mit Baseballschlägern angriffen – woraufhin eine junge Studentin mit Kieferbruch ins Krankenhaus geliefert werden musste. In Folge dessen trat der Ministerpräsident Miloš Vučević zurück. Der ebenfalls im Mittelpunkt der Proteste stehende Präsident Aleksandar Vučić blieb jedoch weiterhin im Amt.

Belgrad: Auto fährt in Demonstration – Frau verletzt

Darüber hinaus versuchen Vučić und die Regierung, die Proteste immer wieder durch zahlreiche Maßnahmen einzudämmen: Die Regierung wechselt dabei zwischen integrativen Maßnahmen wie Gesprächsangeboten und der Einführung eines kostenlosen Nahverkehrs in der Hauptstadt Belgrad und gewaltsamem Vorgehen gegen Protestierende bis hin zur Diffamierung der Proteste als „vom Ausland gesteuert”. Dabei wirft Vučić den westlichen Staaten und auch dem Nachbarland Kroatien Einmischung vor.

Dass Anhänger der Regierungspartei die Proteste immer wieder angegriffen haben sollen, indem sie mit Autos in die Menge hinein fuhren, soll Vučić laut MDR mit den Worten „Na und?!“ kommentiert haben. Bisher blieben sowohl der Rücktritt von Vučević, als auch die anderen Maßnahmen ohne Wirkung.

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