Die diesjährige Münchener Sicherheitskonferenz markierte das Ende der bisherigen transatlantischen Beziehungen. Anstatt die europäischen Staaten in die neue US-Verhandlungsoffensive gegenüber Russland einzubeziehen, hielt US-Vizepräsident J.D. Vance diesen „Demokratiedefizite“ vor und unterstützte unverhohlen die AfD. Um in der Ukraine-Frage nicht abgehängt zu werden, beriefen die europäischen Länder einen Krisengipfel ein.
„J.D. Vance hat uns den Mittelfinger gezeigt“ – die Feststellung des früheren Bundesaußenministers Sigmar Gabriel im Pioneer World Briefing war wenig diplomatisch, dafür auf den Punkt: Die Rede des US-Vizepräsidenten am Freitag vor der Münchener Sicherheitskonferenz hatte bei vielen deutschen Teilnehmer:innen für Erstaunen und Empörung gesorgt. Anstatt, wie alle erwartet hatten, den europäischen Verbündeten die Strategie der neuen US-Regierung gegenüber den Kriegen in der Ukraine und Westasien darzulegen – oder überhaupt über Sicherheitspolitik zu sprechen – hielt J.D. Vance den versammelten Europäer:innen eine Standpauke in Sachen „Demokratie“.
Diese befände sich in Teilen Europas im Niedergang. Dabei beklagte Vance ausschließlich Beispiele für Sanktionen gegen rechten politischen Aktivismus, wie etwa gegen Abtreibungen. Zudem äußerte er 9 Tage vor der Bundestagswahl, es dürfe keinen Platz für „Brandmauern“ geben. Schon zuvor hatte er sich in einem Interview für eine Zusammenarbeit der Parlamentsparteien mit der AfD ausgesprochen. Unmittelbar nach seiner Rede vollendete Vance den Affront und verließ die Konferenz für ein Treffen mit Alice Weidel.
Ende der bisherigen transatlantischen Beziehungen
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius widersprach als Erster und nannte Vance’s Ausführungen als „inakzeptabel“. Bundeskanzler Olaf Scholz wies die Rede des US-Gastes ebenfalls zurück. US-Präsident Trump nannte sie hingegen „brilliant“.
Der Vorgang offenbarte vor allem das, was viele deutsche Außenpolitiker:innen schon länger befürchtet hatten: Mit dem Amtsantritt der neuen US-Regierung sind die transatlantischen Beziehungen in ihrer bisherigen Form tot. Der Historiker Herfried Münkler spricht im Handelsblatt-Interview von „Vorläufern einer neuen Weltordnung“ und davon, dass Trump die Europäische Union zerstören wolle.
Konkreter Ausdruck hiervon findet sich in der Ukraine-Frage: In der Woche vor München hatte US-Präsident Trump mit seinem russischen Counterpart Wladimir Putin telefoniert und zügige Verhandlungen über eine Lösung des Ukraine-Kriegs in Gang gebracht. Die europäischen Staaten mit an den Tisch zu holen, ist dabei nicht vorgesehen: Trumps Ukraine-Sondergesandter General Keith Kellogg konterte eine entsprechende Nachfrage in München mit den Worten: „Definieren Sie ‚am Tisch‘.“.
Doch damit nicht genug: Die USA haben bereits öffentlich die Position abgeräumt, die Ukraine könne alle ihre verlorenen Gebiete zurückerhalten, und hat außerdem einer NATO-Mitgliedschaft des Landes eine klare Absage erteilt. Als Reaktion darauf warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi in München vor einem Angriff Russlands auf NATO-Staaten und forderte die Schaffung einer Europäischen Armee. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits am Freitag in ihrer Rede vor der Konferenz die Aktivierung einer Sonderklausel der europäischen Schuldenregeln in Aussicht gestellt, um höhere Rüstungsausgaben zu finanzieren.
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Krisengipfel der EU
Doch die Ereignisse überschlagen sich jetzt: Bereits in dieser Woche wollen hochrangige Delegationen aus Russland und den USA um die beiden Außenminister Sergej Lawrow und Marco Rubio in Saudi-Arabien zu Verhandlungen zusammentreffen. Ziel dabei ist es, ein Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin vorzubereiten, die Ukraine-Frage zu lösen und die Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederaufzunehmen.
Die europäischen Staaten versuchen nun, zu retten, was noch zu retten ist: Um überhaupt noch irgendeinen Einfluss auf einen möglichen Deal zwischen den USA und Russland haben zu können, wurde für Montag ein eiliger Krisengipfel in Paris einberufen. Daran nahmen nicht nur EU-Länder teil. Dabei soll es um eine mögliche europäische Friedenstruppe für die Ukraine gehen. Die USA hatten bereits klar gesagt, dass sie selbst keine Soldat:innen in die Ukraine schicken wollen.
Keir Starmer, der Premierminister des Vereinigten Königreichs, der am Pariser Gipfel teilnimmt, hatte die Bereitschaft seines Landes zur Truppenentsendung bereits öffentlich zugesagt. Dasselbe gilt für Schweden. Bundeskanzler Scholz dagegen trat vor dem Gipfel noch auf die Bremse und äußerte, die Debatte über eine Friedenstruppe sei noch „verfrüht“. Es gehe jetzt um die Frage, wie Frieden gewährleistet werden könne, ohne dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werde.
Ob sich die europäischen Bemühungen mit irgendwelchem Einfluss auf das Verhandlungsergebnis niederschlagen, ist indes fraglich. Sergej Lawrow jedenfalls hält eine Teilnahme der Europäer:innen an Friedensgesprächen ausdrücklich für überflüssig: „Ich weiß nicht, was sie am Verhandlungstisch zu suchen haben“.