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München: Rassistische Hetze nach mutmaßlichem Anschlag

Am Donnerstag fuhr ein Fahrzeug in eine Menschenmenge und verletzte dabei 36 Menschen. Politiker:innen und Medien nutzen die Situation, um vorschnelle Schlüsse zu ziehen und rassistisch zu hetzen. – Ein Kommentar von Herbert Scholle.

Am Donnerstag Vormittag kam es in München zu einem mutmaßlichen Anschlag: Ein 24-Jähriger fuhr mit einem Fahrzeug in eine Menschenmenge. Diese hatte sich dort versammelt, um im Rahmen einer ver.di-Demonstration für einen besseren Tarifvertrag zu kämpfen. 36 Menschen wurden verletzt, davon zwei lebensgefährlich – darunter auch ein zweijähriges Kind.

Der Täter soll laut Generalstaatsanwaltschaft München mutmaßlich aus einem islamistischem Motiv heraus gehandelt haben. Das geht aus einer Untersuchung seines Smartphones, sowie der Aussage der Polizist:innenen vor Ort hervor, laut derer er nach der Tat religiöse Ausrufe getätigt haben soll. Es gibt allerdings bisher keine Anzeichen auf Verbindungen zu fundamentalistischen Terrororganisationen oder Mittäter:innenn. Auch hat das Bundesinnenministerium vorerst einen Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl ausgeschlossen. Der Täter soll inzwischen zugegeben haben, sein Fahrzeug absichtlich in die Menschenmenge gesteuert zu haben.

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Verbreitung von Fehlinformationen und rassistischer Hetze

Wie man es schon bei vorherigen Anschlägen in Deutschland beobachten konnte, instrumentalisierten auch hier Politiker:innen sowie Medien das Leid, um rassistisch zu hetzen und die Diskussion in eine Migrationsdebatte zu verwandeln. In diesem Fall wurden dafür auch Falschinformationen verbreitet, zuvorderst vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Dieser hatte bereits wenige Stunden nach der Tat berichtet, dass es sich beim Täter um einen abgelehnten Asylbewerber ohne Aufenthaltserlaubnis handele, der bereits zuvor durch Ladendiebstähle und Betäubungsmittel polizeibekannt war. Wörtlich behauptete Herrmann, „dass er eben im Moment nicht abgeschoben werden kann und er deshalb sich weiter in unserem Land aufhalten durfte“.

Diese Informationen stellten sich jedoch als falsch heraus, und Herrmann musste sich korrigieren. Der Täter war zwar 2016 als unbegleiteter Geflüchteter nach Deutschland gekommen, er hat jedoch mittlerweile eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Auch die Behauptung, er sei durch mehrere Straftaten der Polizei bereits aufgefallen, stellte sich als Falschaussage heraus. Ganz im Gegenteil arbeitete der 24-Jährige als Ladendetektiv und war in mehreren Ladendiebstahlprozessen als Zeuge aufgetreten. Woher die Behauptung von bekannten Drogendelikten kam, ist nicht klar.

Das hinderte diverse staatliche Medien und die Konzernpresse aber nicht daran, die Falschbehauptungen unkritisch wiederzugeben und zu verbreiten. Teils konnte man noch Stunden nach der Korrektur irreführende und falsche Überschriften und Aussagen lesen.

Wie es möglich ist, dass dem Innenminister Bayerns, der Zugang zu allen möglichen Akten und Informationen zum Täter hat, ein solcher Fehler unterläuft, ist verwunderlich. Es kann sich eigentlich nur um eine bewusste Verbreitung von Fehlinformationen oder um einen vorschnellen Schluss handeln ohne das Bedürfnis, die Aussagen zu überprüfen, bevor man sie in die Welt setzt. In beiden Fällen geht es Innenminister Herrmann augenscheinlich vor allem darum, die Tat zu nutzen, um ein politisch nützliches Narrativ zu verbreiten.

Christian Huber, Vizepräsident des Polizeipräsidiums München, rechtfertigt dies derweil damit, dass es nach der Tat eine „Chaos-Phase“ gegeben habe, in der Informationen „virulent“ rumgegangen seien. Der Fehler sei menschlich nachvollziehbar: „es dauert eine gewisse Zeit, bis man ein Bild bekommt“, so Huber. Diese versuchte Rechtfertigung erklärt jedoch nicht, warum der Innenminister kein Problem damit hatte, wenige Stunden nach der Tat eine migrant:innenfeindliche Erzählung zu verbreiten. Wenn die Phase nach der Tat so chaotisch war und verschiedenste Informationen durch die Gegend schwirrten – ist dies dann nicht umso mehr ein Grund sicherzustellen, dass die eigenen Aussagen auf tatsächlichen Fakten basieren? Ganz offensichtlich war aber das Bedürfnis, rassistisch gegen Geflüchtete zu hetzen, hier größer als die wahrgenommene Pflicht, der Wahrheit nachzukommen.

Hetze zeigt Effekt

So oder so ist schnell klar, dass das Narrativ zieht – und verschiedenste Politiker:innen nutzen es für den Wahlkampf: Markus Söder trat beispielsweise bereits am Abend der Tat im ARD-Brennpunkt auf und forderte dort, „Migration zu begrenzen“ und „jemanden, der dauerhaft kein Aufenthaltsrecht hat, aus dem Land zu verweisen“. Dass er wenige Momente später Herrmans Aussagen richtigstellen und die Vorbestrafungen sowie das Nichtvorhandensein eines Aufenthaltstitels verneinen muss, hinderte ihn anscheinend nicht daran, mit rassistischer Polemik Stimmung zu machen.

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Während sich die meisten Politiker:innen auf ein Statement des Mitgefühls beschränken und Kanzler Scholz bisher nur konkret die Abschiebung des Täters fordert, sind es vor allem Union und AfD, die sich den Vorfall zu Nutze machen, um ihre Positionen für die Bundestagswahl anzuheizen. So schreibt CDU-Kanzlerkandidat Merz: „Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen“, während Alice Weidel die Tat bereits wenige Stunden danach nutzt, um auf Basis der Falschinformationen aufzustacheln.

Identitätspolitik statt Analyse der Ideologie

Dass eine solche schreckliche Tat für rassistische Hetze und die Förderung der eigenen menschenfeindlichen Politik genutzt wird ist nichts Neues – das kennen wir so schon seit Langem, zuletzt beispielsweise bei den Gewalttaten in Aschaffenburg, Magdeburg und Solingen. Und auch in diesem Fall greift wieder das gleiche Prinzip: Die Identität und Herkunft des Täters werden in den Vordergrund gerückt, während seine Ideologie kaum genauer beleuchtet wird. Der Fakt, dass der Täter scheinbar fundamental-islamistisch motiviert war, wird nur gebraucht, um Geflüchtete pauschal vorzuverurteilen.

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Auch Betriebskampf – ein Zusammenschluss von klassenkämpferischen Arbeiter:innen, die gemeinsam für ihre Interessen einstehen – zeigt dies auf. In seinem Statement zum Angriff auf die Gewerkschaftsdemo heißt es:

„Die afghanische Herkunft des Fahrers wird in den Mittelpunkt gestellt. Dabei ist die Hautfarbe oder Herkunft eines Täters nicht das Entscheidende, sondern die Frage, welche Ideen er vertritt.

Der islamische Fundamentalismus ist eine extrem arbeiter:innen-feindliche Ideologie, welche die Klassenversöhnung predigt und den Klassenkampf durch religiöse Mystik verschleiert. […] Der islamische Fundamentalismus spaltet unsere Klasse und muss entsprechend konsequent bekämpft werden – ob die Opfer aktive Gewerkschafter:innen bei einer Streikkundgebung oder andere Arbeiter:innen etwa auf einem Fest sind.“

Gerade in diesem Kontext ist es besonders interessant, dass Innenminister Herrmann bereits wenige Stunden nach der Tat davon ausging, dass die ver.di-Demonstration nur zufällig als Ziel ausgewählt wurde. Natürlich kann man diese Möglichkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, jedoch zeigen solche Aussagen sehr deutlich die Einstellung von Politiker:innen wie Herrmann gegenüber dem fundamentalistischen Islamismus auf: Zur Hetze gegen Ausländer und Geflüchtete kann man ihn durchaus nutzen, die tatsächlichen arbeiter:innenfeindlichen Interessen hinter einer solchen Ideologie aufzuzeigen, ist für die eigene Politik jedoch wenig hilfreich.

Gemeinsam gegen Spaltung und Fundamentalismus

Lassen wir uns nicht in die Irre führen und von rechter Hetze einschüchtern. Die Politik wird auch diese Tat nutzen, um weitere Abschiebemaßnahmen voranzutreiben und uns Arbeiter:innen zu spalten. Unter dem Vorwand der Sicherheit werden uns so Stück für Stück unsere Freiheiten genommen – egal ob wir Geflüchtete sind, die nun einer noch größeren Gefahr von Abschiebung und rassistischen Angriffen ausgesetzt sind, oder nicht: trifft es einen von uns, dann trifft es alle.

Ebenso muss uns klar sein, dass die parlamentarischen Parteien nicht in unserem Interesse handeln, wenn sie nun Repressionen, Überwachungsmaßnahmen und die Kompetenzen für Sicherheitsbehörden noch weiter ausbauen. Sie interessieren sich nicht für unsere Sicherheit, sondern handeln in ihrem eigenen Interesse, um die innenpolitische Kontrolle zu sichern.
Lasst uns stattdessen gemeinsam, Schulter an Schulter, für unsere Interessen einstehen und gegen rechte Hetze, sowie islamistischen Fundamentalismus kämpfen.

Nach Anschlag von Solingen – Politik und Staat bereit für den Ausbau der Repression

Herbert Scholle
Herbert Scholle
Perspektive-Autor seit 2023 und -Redakteur seit 2024. Der Berliner Student schreibt besonders gern über Arbeitskämpfe und die Tricks der kapitalistischen Propaganda. Er interessiert sich außerdem für Technologie und Fußball sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen.

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