Am vergangenen Wochenende wurde ein kurdisches Konzert behördlich verboten. Eine junge, politisch aktive Ezidin berichtet uns von den antikurdischen Diskriminierungen und den wiederkehrenden staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen kurdische Menschen in der Diaspora.
Hamburg – Während sich am vergangenen Sonntagmittag auf dem belebten Schulterblatt Menschen bei winterlicher Sonne auf wackeligen Holzbänken zusammendrängen, um Cappuccino oder Latte Macchiato zu schlürfen und dem bunten Treiben der gentrifizierten Sternschanze zuzusehen, spielt sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein anderes Szenario ab: Vor der Roten Flora versperren Polizeikräfte einer Gruppe von Besucher:innen den Zutritt. Der Grund: das behördliche Verbot eines geplanten kurdischen Konzerts.
Die junge, politisch aktive Ezidin Rûken* berichtet uns im Interview von den antikurdischen Diskriminierungen und den wiederkehrenden staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen die unfreiwillig emigrierten, kurdischen Menschen hier bei uns.
Erzähl uns zunächst gerne etwas von deiner Biografie.
Ich bin in Deutschland geboren und in einer Kleinstadt hier aufgewachsen. Als ezidische Kurdin bin ich in einer festen Community dort aufgewachsen, wo es einen sehr festen Zusammenhalt gibt. In der ezidischen Kultur in der Diaspora ist es durch die Verfolgung üblich, örtlich nah beieinander zu sein. Meine Eltern mussten vor knapp 40 Jahren aus ihrer Heimat nach Deutschland fliehen, da sie dort Verfolgung und Vertreibung ausgesetzt waren. Ein Großteil meiner Familie weist eine ethnische Verfolgungsgeschichte auf, wodurch fast jede Generation woanders aufwuchs.
Das Leben in Deutschland ist nicht einfach und die ezidische Bevölkerung war bis zum Genozid im Shingal 2014 in der deutschen Gesellschaft eine weitestgehend unbekannte Bevölkerungsgruppe. Uns war es auch immer wichtig, als eigene Minderheit anerkannt zu werden und nicht, wie es sonst gesellschaftlich praktiziert wurde, als Muslime bezeichnet zu werden. Das Massaker von 2014 verursachte dann eine zusätzliche Fluchtbewegung der Ezid:innen nach Europa.
Die Hoffnung, dass Europa und besonders Deutschland ein sicherer Ort für uns sind, sollte sich jedoch schnell als Trugschluss erweisen. Die Ezid:innen mussten feststellen, dass islamistische Kräfte, wie auch die autokratische AKP-Regierung, von den EU-Staaten politisch stark unterstützt werden. Der Islamismus stellt für die ezidische Kultur durch ihre offene Feindseligkeit eine große Gefahr dar, besonders für die Frauen. Daher ist und bleibt die feste Verwurzelung innerhalb der ezidischen Bevölkerung so wichtig und ist ein geschützter Ort vor Angriffen. Wir wurden mit den Idealen und Hoffnungen der kurdischen Freiheitsbewegung aufgezogen.
Mit ungefähr 13 Jahren habe ich mich nach einem kurzen Türkei-Aufenthalt politisiert, da ich dort stärker als zuvor den antikurdischen Rassismus in der Gesellschaft miterlebt habe. Dort entstand auch die direkte Verbindung zur kurdischen Widerstandsbewegung, da ich mich ab dem Zeitpunkt intensiv mit der kurdischen Unterdrückungsgeschichte befasst habe, die auch direkt meine Biografie betrifft. Seitdem bin ich in diesen Strukturen aktiv, denn für mich bedeutet die Freiheit der Kurd:innen die Freiheit jeden unterdrückten Volks. Man kann seit über 10 Jahren in Rojava beobachten, wie die dortigen revolutionären Kräfte unter widrigsten und fatalen Umständen versuchen, die Menschen vor Krieg, Elend und Terror zu beschützen.
Wie erlebst du im speziellen den antikurdischen Rassismus und die staatliche Repression hier in Deutschland?
Jede:r Kurd:in ist im Leben mit tiefster Ablehnung und Feindseligkeit konfrontiert worden! Das geht über beleidigende Sprüche bis hin zu tätlichen Angriffen uns gegenüber. Zu beobachten ist auch, dass diese Diskriminierung immer stärker zunimmt. In Deutschland sind die nationalistischen türkischen Grauen Wölfe eine große Bedrohung, die hier institutionell sehr unterschätzt wird.
Auch islamistische Organisationen feinden Kurd:innen an und schrecken selbst vor Angriffen nicht zurück. Die Grauen Wölfe zählen hierzulande zu den mitgliederstärksten rechtsextremen Gruppierungen. Es kommt systematisch und wiederholt dazu, dass diese türkischen Faschist:innen kurdische Veranstaltungen ganz offen bedrohen, kurdische Personen filmen oder fotografieren und offen Hetze betreiben. Diese illegalen Aufnahmen landen nicht selten bei offiziellen Stellen des türkischen Staats und gefährden die Existenz von kurdischen Menschen.
In der BRD bleibt dieses Handeln nahezu ungestraft. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die türkische Regierung dieses Vorgehen gutheißt und aktiv fördert. Als schlimmste Konsequenz droht den denunzierten Personen eine Inhaftierung bei einer Einreise auf türkisches Staatsgebiet und noch Schlimmeres wie Folter, Verschleppung und Ermordung. In der BRD herrscht keinerlei sensibler oder anerkennender Umgang mit der Verfolgungsgeschichte der Kurd:innen – weder staatlich, noch mehrheitsgesellschaftlich. Die militärische Unterstützung der Türkei durch die deutsche Bundesregierung blendet gezielt die Lebensrealität der Kurd:innen aus – sei es hier, als auch in Kurdistan.
Repressionen gegen kurdisches Gesellschaftszentrum in Nürnberg
Die staatliche Repression hier äußert sich insbesondere in der Mundtotmachung und der kollektiven Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung. Schon kleinste Delikte – wie ein vermeintlicher Wurf einer leeren Plastikflasche aus einem Demonstrationszug – werden juristisch so aufgeblasen, dass daraus Staatschutz-Verfahren in die Wege geleitet werden, wenn angeblich kurdische Personen daran beteiligt gewesen sind. Der deutsche Rechtsstaat scheint hier für uns Kurd:innen beinahe außer Kraft gesetzt.
Dies führt uns direkt zu der verbotenen kurdischen Veranstaltung am vergangenen Sonntag in Hamburg. Was hat sich dort genau zugetragen?
Die kurdische Gemeinschaft hier vor Ort hatte seit längerem ein Jugend- und Kulturfest organisiert, bei dem traditionelle kurdische Tänze und Musik aufgeführt, wie auch Speisen aus kurdischen Regionen angeboten werden sollten. Es wurde folkloristische Kleidung getragen und die Feierlichkeit sollte auch dem Zelebrieren der 10-jährigen Befreiung Rojavas und dem Sieg über den IS-Terror dienen.
Das Fest war auch eine symbolische Aktivität des Trostes, des Widerstandsgeistes und der Motivation, um die schweren militärischen Angriffe auf Rojava und ihre Zivilbevölkerung in den vergangenen Monaten zu verarbeiten.
Zunächst sollte die Feier in einem Gebäude in Harburg stattfinden, wurde jedoch kurzfristig durch angebliche baurechtliche Gründe durch die Hamburger Polizei verweigert. Der neue Veranstaltungsort wurde dann die Rote Flora. Bereits bei den Vorbereitungen am Vormittag zogen sich dann Polizeikräfte mit ihren Einsatzfahrzeugen am Schulterblatt zusammen und beobachteten die Vorbereitungen.
Als der Einlass beginnen sollte, positionierten sich die Polizeibeamt:innen vor den Eingängen und untersagten den Zutritt. Als Begründung nannten sie, dass es sich um eine sogenannte PKK-Werbeveranstaltung handeln würde.
Da stellt sich mir direkt die Frage: Warum wird die kurdische Kultur direkt mit Terrorismus in Verbindung gebracht? Weder hier noch in der Heimat können wir unsere Kultur und Sprache ausleben!
Unser juristischer Beistand hat dann versucht, den zuständigen Staatsschutz zu kontaktieren, erhielt jedoch keinerlei Antwort oder eine Begründung zum Verbot unserer Feier. Die einzige Antwort durch die Polizei war, dass es keine angemeldete Veranstaltung und somit keine verantwortliche Person zu ermitteln sei. Besonders die auftretenden Musiker:innen wurden von der Hamburger Polizei als Propagandabetreiber:innen für den bewaffneten Kampf diffamiert. Diese ganzen Anschuldigungen entbehren, wie gewohnt, jeglicher Grundlage!
Es wurden und werden in der BRD intensiv politische Strafprozesse gegen Kurd:innen geführt. Wie siehst du hierbei die Entwicklungen? Was ist die direkte Auswirkung auf die kurdische Gemeinschaft hierzulande?
Die staatliche Repression wird durch diese Gerichtsverfahren immer weiter vorangetrieben und reicht weit in die Gemeinschaft hinein. Es ist ein systematisches Vorgehen der deutschen Sicherheitsbehörden, kurdische Vereine permanent zu beobachten und gezielt zu versuchen, sie durch Einschüchterung zu destabilisieren. Es werden einzelne Personen vom Verfassungsschutz mit vermeintlich strafrechtlichen Konsequenzen bedroht, oder es wird versucht, mit finanziellen Angeboten und beruflichen Perspektiven V-Personen anzuwerben. Besonders kurdischen Frauen wird mit Kindesentzug oder der Gefährdung des Aufenthaltstitels gedroht!
Kadri Saka vor Gericht: Der kurdische Freiheitskampf im Schatten des Terrorparagrafen 129b
Der massive Druck des türkischen Staats auf die EU-Politik und die bilateralen Beziehungen zur BRD spielen hier bei der überzogenen Strafverfolgung von Kurd:innen eine einschneidende Rolle. Dennoch oder gerade deshalb versucht die kurdische Gemeinschaft noch enger zusammenzurücken, um diesen institutionellen Angriffen in der Diaspora standzuhalten.
Besonders in Hamburg ist in den letzten Monaten, im Kontext zu den Entwicklungen in Syrien, die polizeiliche Repression gegen kurdische Demonstrationen und Kundgebungen stärker geworden. Die Hamburger Justiz hat letztes Jahr zwei vermeintlich führende PKK-Mitglieder in einem prozessual skandalös geführten §129b-Verfahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und zeigt damit ihren überzogenen Verfolgungswillen gegen organisierte kurdische Menschen. Daher ist mein Appell an alle Kurd:innen, unser Dasein, unsere Heimat und unsere Rechte weiterhin entschlossen zu verteidigen und weiterhin Präsenz zu zeigen!
Es bleibt für uns zum Trotz dabei: Unsere Sprache und das Ausleben unserer kulturellen Traditionen ist und bleibt unser Widerstand!
*Name wurde von der Redaktion geändert