Zeitung für Solidarität und Widerstand

Österreich auf dem Weg nach Rechtsaußen

Rund einen Monat nach Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen der Österreichischen Volkspartei und der faschistischen Freiheitlichen Partei Österreichs nimmt ein mögliches Bündnis Formen an.

Am 3. Januar scheiterten die langwierigen Verhandlungen des potenziellen Dreierbündnis bestehend aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und den liberalen NEOS. Daraufhin wurde der Regierungsauftrag den „Freiheitlichen” rund um den selbsternannten „Volkskanzler“ Herbert Kickl übertragen.

Österreich am Scheideweg

Nun, mehr als einen Monat später, sind die Gespräche fortgeschritten: Laut der österreichischen Zeitung Standard ist ein Großteil der Arbeitsgruppen zu einem vorläufigen Ergebnis gekommen. Es fehlen wohl nur noch die Gruppen der Bereiche Wirtschaft, Soziales und Landwirtschaft. Die beiden Chefverhandler Kickl und sein Pendant der ÖVP, Christian Stocker, arbeiteten mit Hochdruck daran, ein baldiges Ergebnis zu erzielen. In dieser Woche sollen sich die beiden noch mehrfach miteinander treffen, um bei den großen Streitthemen auf einen Nenner zu kommen.

Ressort-Fragen noch nicht geklärt

Ein Diskussionspunkt wird die Ressort-Verteilung betreffen: Kickl bestehe demnach auf der Übernahme der beiden Ressorts des Finanz- und Innenministeriums. Im gleichen Atemzug greift er seinen potenziellen Koalitionspartner an, indem er auf Fehler in der Schulden-, Sicherheits- und Migrationspolitik der ÖVP hinweist, die – zumindest aus seiner Sicht – in der letzten Legislaturperiode gemacht worden seien.

Österreich: FPÖ und ÖVP beschließen Sozialabbau

Dass unter Kickls damaliger Leitung des Innenministeriums das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) – der österreichische Nachrichtendienst – aufgelöst werden musste, verschweigt er an dieser Stelle. Damals ließ Kickl nämlich die Räumlichkeiten des BVTs von einfachen Polizist:innen durchsuchen, um die BVT-Ermittlungen in Bezug auf rechte Umtriebe in der FPÖ zu unterbinden. Dies führte dazu, dass der österreichische Geheimdienst international als nicht mehr vertrauenswürdig galt, weshalb Kooperationen mit ihm eingestellt wurden. Das BVT wurde in der Folge 2021 aufgelöst und von der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ersetzt.

EU-Politik bleibt Streitthema

Aber auch themenbezogen gibt es noch einige Differenzen zwischen den beiden Parteien: Am schwierigsten wird es wohl sein, Gemeinsamkeiten in Bezug auf die EU-Politik zu finden. Während die ÖVP stets einen Pro-EU-Kurs verfolgte, will Kickl den Einfluss der EU auf die österreichische Politik auf ein Minimum beschränken.
Bei anderen populistischen Aussagen ruderte die FPÖ bereits zurück: Plakative Themen wie der Ausstieg aus der UNO oder die Pflicht, Arbeiten an den Universitäten auf Deutsch zu verfassen, seien nicht Teil der Verhandlungen.
Auch die Erhöhung des Tempolimits auf 150 km/h wurde nicht beschlossen.

Jedenfalls sind die Verhandlungen schon jetzt die längsten in der Geschichte des österreichischen Staats. Die bisher langwierigsten Koalitionsgespräche von 1962 dauerten 129 Tage – diese Marke wurde am Dienstag überschritten.

Unterschiedliche Protestaktionen gegen den Rechtsruck

Derweil warnen über 1.000 Wissenschaftler:innen in einem Offenen Brief vor einer von der FPÖ geführten Regierung. Sie sehen den „Wissenschaftsstandort Österreich“ durch die rückwärtsgewandte und menschenverachtende Politik der FPÖ in Gefahr. Auch in der Zivilgesellschaft reißt der Protest nicht ab: Am Dienstagabend zogen in Wien etwa 20.000 Demonstrant:innen gegen den Rechtsruck vom Kanzleramt bis zur Zentrale der ÖVP.
Der Termin wurde auch symbolisch gewählt: 25 Jahre zuvor war die erste Koalition aus ÖVP und FPÖ gebildet worden.

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