Während sich Gräben vertiefen und der Ukraine-Krieg tobt, rücken Formen hybrider Kriegsführung ins Licht der Öffentlichkeit. Die Ostsee ist ein solcher Kriegsschauplatz im Kampf um Infrastruktur, Ressourcen und die Wahrheit. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.
Hunderte Seekabel, welche sich über tausende Kilometer um die gesamte Welt spannen, überliefern Datenströme für Internet und Rundfunk oder zur Stromversorgung. 99 % des Internetverkehrs laufen über sie ab, denn sie sind vielfach effizienter als Satelliten. Mit dieser Schlüsselrolle für das gesellschaftliche Leben und die kapitalistische Wirtschaft drohen sie stärker in den Fokus des imperialistischen Mächteringens zu geraten.
Nach der Beschädigung mehrerer Seekabel in der Ostsee sind NATO-Staaten und Öffentlichkeit alarmiert. Schnell drängte sich der Verdacht auf, dass es der imperialistische Konkurrent Russland oder auch China gewesen sein könnten, deren Schiffe durch Schleppnetze und Anker mehrere Seekabel vorsätzlich beschädigten. Und tatsächlich, 2023 sagt der Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates Dimitri Medwedew, nichts könne Russland „daran hindern, die Tiefseekabel am Meeresgrund zu zerstören, die der Kommunikation unserer Feinde dienen“.
Im Januar, Dezember und November wurden jeweils ein Seekabel durch äußere Einwirkung beschädigt. Im Dezember wurde ein russisches Schiff unter der Fahne der Tim-Cook-Inseln verdächtigt und festgesetzt. An der Beschädigung des Seekabels im November soll ein chinesischer Frachter beteiligt gewesen sein.
Zuletzt betroffen waren Kabel des lettischen Rundfunks, ein Stromkabel zwischen Estland und Finnland und ein Datenkabel zwischen Dänemark und Schweden. Die Vorwürfe, die schnell erhoben wurden weisen in eine Richtung: Die beschädigten Seekabel seien als Teil einer hybriden Kriegsführung mit Vorsatz durch die „russische Schattenflotte“ erfolgt. Mit der „Schattenflotte“ werden Schiffe bezeichnet, die nicht unter russischer Flagge fahren beim Versuch europäische und US- Sanktionen zu umgehen.
Hybrider Krieg oder Aufrüstungskampagne?
Die mal mehr, mal weniger begründete Angst vor hybriden Angriffen Russlands, welche es durchaus auch gibt, erfüllen im europäischen Diskurs einen klaren Zweck: Marineeinheiten sollen aufgerüstet werden und die Präsenz der NATO-Flotte in der Ostsee soll erhöht werden. Laut der Außenministerin Anna-Lena Baerbock seien die Vorfälle „ein dringender Weckruf“ und es bräuchte „mehr Investitionen in den nationale Schutz“.
Dem Gegenüber steht ein Bericht der Washington Post, gestützt auf Informationen aus Sicherheitskreisen, nach denen laut aktueller Informationen keine Beweise für russische Sabotage-Akte vorliegen. Aktuell muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Unfälle, z.b. durch unerfahrene Schiffsbesatzungen, gehandelt hat. Der Sprecher der unabhängigen Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen, Manuel Atug, ordnete ein, dass jährlich ca. 200 Beschädigungen von Seekabeln alleine in der Ostsee stattfinden würden – von denen im Schnitt eine auf einen Sabotageakt zurückzuführen ist.
Notdürftige Reparaturen an Nordstream 2
Am Dienstag machte die Zustimmung der dänischen Energieagentur zur Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen an der Pipeline Nordstream 2 Schlagzeilen. Diese werden von der Nordstream 2 AG durchgeführt und sind notwendig, damit nicht noch mehr Gas in die Umwelt entweicht. Auch wird die Pipeline dadurch nicht weiter durch eintretendes Meerwasser beeinträchtigt.
Die Genehmigung Dänemarks findet vor dem Hintergrund diplomatischer Spannungen mit der neuen US-Regierung unter Trump statt und kann als Warnung verstanden werden. Die neue Trump-Regierung liebäugelt damit, Grönland unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Land gehört zum Autonomiegebiet von Dänemark. Dabei gehe es neben der strategischen Lage Grönlands entlang wichtiger Handelsrouten auch um natürliche Ressourcen.
Doch auch andere Interessen spielen im Tauziehen um die Nordstream-Pipelines mit. Mit der ungeklärten Sprengung der Gaspipelines Nordstream 1 und 2 von Russland nach Deutschland wurde Russlands Zugang zum europäischen Gasmarkt erschwert und dem umstrittenen Infrastrukturprojekt der Riegel vorgeschoben. Die Ermittlungen dazu laufen noch und werden seit Beginn aus „ermittlungstaktischen Gründen“ unter Verschluss gehalten.
Günstiges Gas für Made in Germany
Zuvor konnten deutsche Konzerne von dem günstigen Pipeline-Gas profitieren. Für die energieintensive Schwerindustrie bedeuten die gestiegenen Energiepreise durch den Import von US-amerikanischem Flüssiggas eine Explosion ihrer Produktionskosten. Mit der AfD und dem Bündnis Sara Wagenknecht gibt es in Deutschland zwei Parteien, die die Wiederaufnahme der Gasimporte durch den noch intakten Nordstream-Strang forden. Eine Senkung der Energiekosten und erneute Annäherung des deutschen an den russischen Imperialismus wäre die Folge.
Diesen Bestrebungen hat der polnische Präsident Andrzej Duda beim World Economic Forum eine klare Absage erteilt. Im Interview mit der BBC forderte er seinerseits eine Demontage der Pipeline. Auch der US-amerikanische Finanzier Stephen P. Lynch, der sowohl Trump-Unterstützer ist wie auch Kontakte zum russischen Staat hat, möchte Zugriff auf die Pipelines. Er möchte diese im Fall eines Konkurs und der Zwangsversteigerung der Nordstream 2 AG kaufen.
Bisher befindet sich diese noch in den Händen des russischen Monopols Gazprom. Ob diese Versteigerung zustande kommt ist noch nicht geklärt. Mit diesem Schritt hätte der US-amerikanische Staat jedoch ein Druckmittel sowohl auf Russland und etwaige Verhandlungen im Ukraine-Krieg, als auch gleichzeitig auf Deutschland, welches noch abhängiger von US-amerikanischen Energiekonzernen wäre.