Zeitung für Solidarität und Widerstand

Regierungsbeschluss: Deutsche Freunde und Helfer in Gaza

Die deutsche Bundesregierung hat beschlossen, deutsche Polizist:innen nach Gaza und ins Westjordanland zu entsenden und dort im Rahmen von EU-Missionen für Ordnung sorgen zu lassen. In Berlin setzt die Polizei unterdessen weiterhin mit Gewalt Verbote und Abschiebeanordnungen gegen palästinensische Aktivist:innen durch. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Am Grenzübergang zwischen Ägypten und dem palästinensischen Gaza-Streifen in Rafah sollen zukünftig bis zu 25 deutsche Polizist:innen palästinensische Kolleg:innen beim Grenzschutz unterstützen. Das beschloss die Bundesregierung am gestrigen Mittwoch und machte damit den Weg frei zu einer deutschen Beteiligung an einer breiter angelegten EU-Mission.

Die Bundesregierung erklärte in diesem Zusammenhang, dass der Aufbau eigenständiger palästinensische Sicherheitsstrukturen eine wesentliche Voraussetzung dafür sei, dass die israelische Armee sich nach Abschluss ihrer genozidalen Offensive wieder aus dem Gaza-Streifen zurückzieht. Die deutschen Polizeikräfte sollen laut Regierung dafür sorgen, die Ausreise und Einreise von Palästinenser:innen zu koordinieren.

Im palästinensischen Westjordanland sollen deutsche Polizeikräfte zudem dabei helfen, palästinensische Kolleg:innen auszubilden, „wirksame Polizeistrukturen” aufzubauen und „strategische Planungsprozesse” zu unterstützen.

Die Einsätze geschehen im Rahmen von zwei EU-Missionen, die bereits 2005, nach dem Ende der Zweiten Intifada, aufgenommen wurden. Begründet wird die Wiederaufnahme der zwischenzeitlich ausgesetzten Missionen damit, auf diese Weise einen konkreten Beitrag zur Einhaltung der Waffenruhe zwischen der palästinensischen Hamas und der israelischen Regierung zu leisten.

Waffenstillstand in Gaza – Was jetzt?

Befriedung und State Building dort …

Nach wie vor hält die BRD in der Palästinafrage an ihrer Strategie fest, nach der eine sogenannte „Zwei-Staaten-Lösung” angestrebt werden soll. Das heißt, dass sich Deutschland dafür einsetzt, einen eigenständigen palästinensischen Staat unter Führung einer gemäßigten und „gehorsamen” palästinensischen Regierung aufzubauen. Der Einsatz von deutschen Polizist:innen in Palästina zur Ausbildung palästinensischer Sicherheitsstrukturen geschehe als Teil dieser Langzeitstrategie.

Bereits in der Vergangenheit hatte sich Deutschland an den EU-Missionen zum Aufbau von Polizeistärke in Palästina beteiligt und zum Beispiel im Jahr 2010 mehrere Polizeistationen um die palästinensische Stadt Jenin herum aufgebaut. Die BRD stärkt mit diesen Maßnahmen gezielt die Präsenz der Kräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde. Diese vertritt vor allem die Interessen einer kleinen palästinensischen „Komprador-Bourgeoisie” – also solchen palästinensischen Kapitalist:innen, die selbst von einer Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung profitieren – und wird von dem Großteil des palästinensischen Volks und der palästinensischen Widerstandsbewegung als verlängerter Arm der israelischen Besatzung angefeindet.

Gleichzeitig steht die momentane deutsche und europäische Anstrengung nicht nur den Interessen der palästinensischen Widerstandsbewegungen entgegen, sondern auch den imperialistischen Plänen der israelischen und der US-amerikanischen Regierung. Trump und Netanjahu hatten jeweils kürzlich angekündigt, den Gaza-Streifen nicht in palästinensische, sondern in US-amerikanische Kontrolle entlassen zu wollen und eine Präsenz der israelischen Armee aufrecht zu erhalten. Trump sprach in diesem Zusammenhang offen davon, die palästinensische Bevölkerung des Gaza-Streifens vertreiben und eine „Riviera des Nahen Ostens” errichten zu wollen.

Waffenstillstand in Gaza in Gefahr

… und Repression hier

Während sich die deutsche Regierung und die deutsche Polizei als Freunde und Helfer des palästinensischen Staatsaufbaus und palästinensischer Eigenständigkeit inszenieren, unterdrücken Behörden und Polizeikräfte weiterhin palästinensischen Protest auf deutschen Straßen. So nimmt auch anderthalb Jahre nach dem 7. Oktober 2023 die Repression gegen palästinensische Demonstrationen vor allem in Berlin nicht ab, sondern verschärft sich sogar stetig weiter. Eine neue Stufe der rassistischen Kriminalisierung des palästinensischen und palästina-solidarischen Protests stellte erst jüngst das Verbot der arabischen Sprache auf Demonstrationen in Berlin dar. Das Sprachverbot wurde von Polizist:innen gewaltsam durchgesetzt.

Außerdem streben die Sicherheitsbehörden vermehrt an, palästinensische Aktivist:innen gezielt als Clan-Mitglieder und Islamist:innen zu kriminalisieren, um sie so abschieben zu können. Nachdem vor einem Jahr bereits eine staatliche Kampagne gegen die Organisation Samidoun stattfand – in deren Zuge das Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene nicht nur verboten, sondern einzelnen Mitglieder auch angedroht wurde, sie abzuschieben –, stürmte die Berliner Polizei am Dienstag ein Geschäft in der Berliner Sonnenallee und nahmen zwei junge Berliner Aktivist:innen fest.

Auch wenn momentan unklar ist, ob die Aktivist:innen tatsächlich abgeschoben werden, haben die Behörden in Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Medien bereits ihr Ziel erreicht: Palästinensischer Protest wird öffentlich weiterhin in Verbindung mit Terrorismus und Clan-Kriminalität gebracht, potenzielle Unterstützer:innen der Proteste werden so zum Teil abgeschreckt und durch die Androhung von Abschiebungen gezielt vom Demonstrieren und ihrer Beteiligung an der praktischen Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf abgehalten.

Noch Menschen oder schon Tiere? – Wie deutscher Journalismus Palästinenser:innen entmenschlicht

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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