In einem aktuellen Bericht vom Afghanistan-Untersuchungsausschuss werden gravierende Fehler des 20 Jahre dauernden Bundeswehr-Auslandseinsatzes eingeräumt. Doch so wie der Einsatz selbst sollen auch die „Lehren“ daraus lediglich der imperialistischen Außenpolitik der BRD dienen.
Am 11. September rasten zwei Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center in New York City. Daraufhin erklärte der damalig amtierende US-Präsident George W. Bush den „war on terror“ („Krieg gegen den Terrorismus“).
Im Gegensatz zu den erklärten Zielen ging es der US-Regierung jedoch weniger um die Bekämpfung des Terrorismus, sondern um eine Rechtfertigung für die Invasion und Besatzung Afghanistans im Jahr 2001 und des Irak im Jahr 2003. Auch das Ausschalten ihrer Konkurrenz in Form von islamisch-fundamentalistischen Kräften wie der in Afghanistan herrschenden Taliban gehörte zu den nicht ausgesprochenen Absichten.
Während die Kriegsparteien mit vollen Geldtaschen das Land verließen, forderte der „war on terror“ mehr als eine Million Opfer, stürzte ein gesamtes Land in tiefe Armut und wirtschaftliche Abhängigkeit, führte zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosenquote und hatte mehr als 20 Millionen Menschen zur Folge, die laut dem Welternährungsprogramm der UN akut von Hunger bedroht sind.
Am 31. August 2021 rückten die letzten US-amerikanischen Bodentruppen aus Afghanistan ab, nachdem sich der Aufwand für die Besatzungsmächte nicht mehr lohnte. Bereits am 30. Juni beendete auch Deutschland den 20jährigen Auslandseinsatz – mit harter Bilanz.
Afghanistan: Die Besatzer haben ein verhungerndes Land zurückgelassen
„Bessere“ Kriegspolitik als Lehre aus dem Afghanistankrieg
Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ sollte die Fehler und Lehren für zukünftige Kriegseinsätze herausarbeiten und kam in einem ausführlichen Bericht am Dienstag zu dem vernichtenden Urteil, dass der „größte, teuerste, opferreichste Kriseneinsatz der – vor allem westlichen – Staatengemeinschaft“ sein Ziel nicht erreicht und insgesamt als „strategisch gescheitert“ gewertet werden müsse. Direkt nach dem Abzug der westlichen Truppen konnten die Taliban innerhalb weniger Monate den gesamten afghanischen Staatsapparat übernehmen – mit fatalen Folgen für die afghanische Bevölkerung.
Neben viel Kritik am gesamten Verlauf des Einsatzes, unklaren Zielsetzungen und einer Unterschätzung der Kräfte der Taliban umfasst der Bericht 72 konkrete Empfehlungen, die darauf abzielen, die „deutsche Außenpolitik grundlegend zu verbessern“. Nach ernsthaften Bestrebungen zur Verhinderung von Kriegen sucht man in dem Bericht jedoch vergeblich. Schlussendlich geht es allen voran darum, zentrale Lehren zur Weiterentwicklung und Professionalisierung der imperialistischen Kriegspolitik der Bundesregierung im Ausland zu ziehen.
So empfiehlt die Kommission die Errichtung eines „Nationalen Sicherheitsrats”, der die Erstellung einheitlicher Lagebilder und Strategien ermöglichen und die Kommunikation zwischen den involvierten Gremien erleichtern und Entscheidungen verbindlicher gestalten soll. Zudem werden auch eine engere Zusammenarbeit und Absprache zwischen den militärischen und zivilen Strukturen gefordert, sowie „standardisierte Verfahrensprinzipien“ zur besseren Koordinierung der Einsätze innerhalb der Bundesregierung.
Auch wird nochmal explizit festgehalten, dass private Investoren:innen und Unternehmen eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der durch Krieg zerstörten Länder spielen und dementsprechend Kapitalinteressen stärker bei Kriegseinsätzen mitgedacht werden müssten.
Operationsplan Deutschland statt Friedenspolitik
Viele der „Lehren“ lassen sich in einem, für die Zukunft der Bundeswehr zentralen Dokument wiedererkennen: dem „Operationsplan Deutschland“. Dieser wurde im Frühjahr 2024 offiziell fertiggestellt und gilt als geheimer, mehrere hunderte Seiten langer Plan, um die strategische Ausrichtung für die deutsche Militär- und Außenpolitik der kommenden Jahre festzuhalten.
Zentral dabei sind vor allem die personelle Aufstockung der Bundeswehr, die Ausstattung mit moderner Kriegstechnik, die Schaffung eines gesellschaftlichen „Kriegsmindsets“ sowie die Vorbereitung Deutschlands als Dreh- und Angelscheibe für Truppenverlegungen im Falle eines Kriegs zwischen der NATO und Russland.
Zur Umsetzung des Plans ist eine umfassende Militarisierung der deutschen Gesellschaft notwendig – also der Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter die Erfordernisse des Militärs und des Kriegs. Dazu wurde in der Vergangenheit auch eine engere Kooperation zwischen Militär und zivilen Strukturen wie z.B. den Malteser und Johannitern beschlossen, um im Kriegsfall die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung und der Soldat:innen sicherzustellen.
Zudem sieht der Plan auch Beratungen für Unternehmen vor, um sie auf den nächsten großen Krieg vorzubereiten. Die Verbindungen zwischen Kapital und Kriegstreibern bestehen also auch hier fort.
Die Straffung der im Krieg beteiligten Gremien hatte auch Kriegsminister Boris Pistorus (SPD) mit seinen Plänen zur Umstrukturierung der Bundeswehr bereits im April letzten Jahres angekündigt. Zwar beinhalteten sie keinen Nationalen Sicherheitsrat, aber immerhin die Einführung einer vierten Cyber-Streitkraft sowie eines einheitlichen Führungskommandos.
Deutscher Staat mit Rundumschlag: Der Operationsplan Deutschland
Rassistischer Abschiebewahn statt Hilfe für Geflüchtete
Dass es bei dem Krieg und Auslandseinsatz in Afghanistan nie um die Interessen der afghanischen Bevölkerung und Frieden oder Demokratie ging, wird auch recht schnell klar, wenn man einen Blick auf die heutige Asylpolitik wirft. Menschen, die vor Kriegen fliehen – an denen Deutschland zum Teil selbst beteiligt war und ist – werden keineswegs mit offenen Armen empfangen.
Seit Monaten versuchen sich die verschiedenen Parteien in ihren Forderungen nach härteren Asylgesetzen zu überbieten: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weist stolz darauf hin, dass man bereits im Oktober „schwere Straftäter“ nach Afghanistan und damit direkt in die Hände der Taliban abgeschoben hat. Parallel möchte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kurz vor den Neuwahlen noch die Errichtung von zwei neuen Internierungslagern für Geflüchtete in Brandenburg und Hamburg durchsetzen.
Nach Anschlag in München: Angehörige stellen sich gegen Instrumentalisierung
Zeitgleich ziehen auch weitere Parteien mit, nicht zuletzt auch die vormalige „Friedenspartei“ der Grünen: so bejubelte die grüne NRW-Fluchtministerin Josefine Paul erst kürzlich, dass das Bundesland es geschafft habe, endlich eigene Abschiebeflüge zu organisieren. So wurden sieben Menschen nach Bulgarien abgeschoben, wo ihnen eine Überführung nach Syrien oder Afghanistan droht – für Paul „ein großer Schritt nach vorn“.