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Syrien: Der Westen auf Kuschelkurs mit Fundamentalisten

Nach dem Fall des Assad-Regimes gibt es tiefgreifende Umstrukturierungen in Syrien. Dabei mischen westliche Staaten ordentlich mit – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

In den vergangenen Wochen hat sich die Situation innerhalb Syriens stark gewandelt. Nachdem Assad gestürzt wurde, etablierte sich im Land zügig eine neue Regierung unter der Führung der islamisch-fundamentalistischen Hay’at Tahrīr asch-Scham (HTS, Komitee zur Befreiung Syriens/der Levante). Diese Führung steht nun im regen Austausch mit den westlichen Imperialisten. So wandelte sich Syrien innerhalb kürzester Zeit von einem der am stärksten sanktionierten Länder zu einem verlässlichen Partner für den westlichen Imperialismus.

Neuordnung in Westasien: In welche Richtung steuert das „Neue Syrien”?

In den vergangenen Wochen haben bereits verschiedene Staaten der EU direkten Kontakt zur Übergangsregierung aufgenommen, die Regierungschef:innen der EU haben bereits über die Leitlinien für einen Wiederaufbau der Beziehungen zu Syrien abgestimmt. In Kürze soll außerdem ein großer Teil der Sanktionen gegen den Staat aufgehoben werden.

Der Westen wird gönnerhaft

Über die zahlreichen Sanktionen im Finanzsektor hinaus zählten zu den Sanktionen zuletzt auch ein Waffenembargo, ein Verbot der Ausfuhr von Luxusgütern und chemischen Stoffen sowie ein strenges Verbot für den Kauf, die Einfuhr und den Transport von syrischem Rohöl und raffinierten Erdölprodukten.

Neben den Sanktionen zeigen sich die verbesserten Beziehungen zum Westen auch darin, dass die USA einen großen Teil ihrer Truppen aus dem Land abziehen wollen. So waren nach Angaben des Pentagons Ende Dezember rund 2000 US-Truppen in Syrien stationiert. Trump gab zuletzt an, „tausende“ Truppen abziehen zu wollen.

Repression gegen die Opposition – Rojava unter Beschuss

Die im Westen als moderat verkaufte HTS überzieht derweil ihre politischen Gegner mit Repression. So wurden vor kurzem sowohl die Baath-Partei, die ihr nahe stehenden Gewerkschaften so wie die nationale Fortschrittsfront samt aller Mitgliedsorganisationen verboten. Die Baath-Partei regierte Syrien vor dem Sturz von Baschar al-Assad.

Baerbock fordert Entwaffnung kurdischer „Rebellen“ – Todesurteil für kurdische Selbstverwaltung

Diese Repression trifft nicht nur die reaktionären Kräfte der ehemaligen Assad-Regierung, sondern wird ebenso rigoros gegen die fortschrittlichen Kräfte in Rojava angewendet. Bereits im Dezember preschte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vor und forderte die Entwaffnung der „kurdischen Milizen“ und die Eingliederung in die neu zu schaffende syrische Nationalarmee. Der neue De-facto-Machthaber und Chef der HTS, Ahmed al-Scharaa stimmte dem in einer Pressekonferenz zu und gab an, dass man nicht zulassen werde, dass sich im Land Waffen außerhalb der staatlichen Kontrolle befinden.

Gemeinsame Sache: Das westliche Kapital und die Fundamentalisten

Betrachtet man die Beziehungen der westlichen Imperialisten zu Syrien, dann sieht man vor allem, dass diese sehr wandelbar sind je nach den eigenen geostrategischen Interessen.

Die HTS ist entgegen der Darstellung in den westlichen Medien keine gemäßigte oder moderate Kraft, sondern eine islamisch-fundamentalistische Organisation, die aus einem Al-Qaida-Ableger entstanden ist. Dass nicht nur die USA, sondern auch die EU und Deutschland bereit sind, das unter den Teppich zu kehren, zeigt, dass die Interessen der syrischen Bevölkerung nach wie vor auf der Strecke bleiben.

Passend dazu fordert die deutsche Außenministerin Baerbock sogar selbst die Entwaffnung fortschrittlicher Kräfte in Kurdistan. Doch weder Assad in der Vergangenheit noch die EU und die neue syrische Übergangsregierung heute hatten je den Anspruch, diese zu vertreten. Am Ende sind die Völker Syriens also weiterhin auf internationale Solidarität statt auf leere Versprechen der Imperialist:innen angewiesen.

Tabea Karlo
Tabea Karlo
Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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