Nach wochenlangen Verhandlungen mit der syrischen Regierung ist nun klar: Die SDF werden Teil der syrischen Armee. Über Motive und Hintergründe informiert Lukas Mainzer.
Die Zukunft Syriens zeichnet sich zwei Monate nach Fall des Assad-Regimes allmählig ab. Die islamisch-fundamentalistische Miliz Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) sitzt mittlerweile auf Regierungsposten in der Hauptstadt Damaskus. Sie kontrolliert weite Teile des Landes. Die Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa beansprucht jedoch das gesamte Staatsgebiet. Im Widerspruch dazu steht die kurdische Selbstverwaltung im Norden und Osten Syriens (DAANES/Rojava).
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Parallel zu den intensivierten Angriffen durch die Türkei und ihrem Proxy, der Syrian National Army (SNA), plant die syrische Übergangsregierung das Militärbündnis der kurdisch angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in eine neue syrische Nationalarmee einzugliedern. Damit will die HTS sich das Gewaltmonopol im gesamten syrischen Staat sichern, was nur durch eine Schwächung der SDF möglich ist.
Dieser Schritt wurde auch bereits durch den türkischen Außenminister Hakan Fidan (AKP), aber auch durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) begrüßt. Sie forderte in einer deutsch-türkischen Pressekonferenz Ende Dezember 2024 die „Entwaffnung kurdischer Rebellen“. Die deutsche Bundesregierung machte damit klar, dass sie die türkischen und islamisch-fundamentalistischen Ziele über die kurdische Selbstverwaltung stellt.
Baerbock fordert Entwaffnung kurdischer „Rebellen“ – Todesurteil für kurdische Selbstverwaltung
Syrische Regierung verlangt Eingliederung der SDF
Doch wie reagieren die SDF auf die Versuche zur Eingliederung in das gesamtsyrische Militär unter Verwaltung der HTS? Seit mindestens einem Monat gibt es Gespräche zwischen beiden Parteien. Der aktuelle syrische Verteidigungsminister Murhaf Abu Qasra betonte dabei „Wenn wir [zur Integration der SDF] Gewalt benutzen müssen, sind wir bereit es zu tun.“
Bisher lagen die Positionen von SDF und syrischer Übergangsregierung laut Medienberichten noch deutlich auseinander. Präsident al-Sharaa forderte eine komplette Auflösung der SDF, die Ausweisung ausländischer Kämpfer:innen und das Aufgeben der Selbstverwaltung. Diese kontrolliert beispielsweise die Grenzübergänge zu Nachbarstaaten oder die Gefängnisse mit ISIS-Anhängern. Besonders der Rückzug von Grenzübergängen zur Türkei gelten als Kernforderung der türkischen Regierung.
Die SDF unter Führung von Mazloum Abdi bestand hingegen darauf, ein eigener Block im syrischen Militär im Nordosten zu werden. Zudem wollen die SDF die autonome Struktur aufrechterhalten, die Anerkennung kurdischer Rechte in der Verfassung sichern und eine kurdische Teilnahme am Vorbereitungskomitee für den nationalen Dialog in Syrien garantieren.
Auch die deutsche Vertretung der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens kritisierte zuletzt die Zusammensetzung des Komitees. Die Zusammensetzung „repräsentiere nicht die syrische Bevölkerung und wird den verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht gerecht“, heißt es in einer Pressemitteilung. Mitglieder der kurdischen Selbstverwaltung, aber auch Minderheiten wie etwa Drus:innen, Alawit:innen oder Jesid:innen sind im siebenköpfigen Komitee bisher nicht einbezogen.
„Die Kämpfe nehmen die Errungenschaften der Frauenrevolution ins Visier“
Die Selbstverwaltung steht unter Druck
In den Verhandlungen zwischen syrischer Übergangsregierung und unter anderem SDF und den Frauenverteidigungseinheiten YPJ scheint es nun am Montag, den 17. Februar, eine Annäherung gegeben zu haben. Medienberichten zufolge werden die SDF und angeschlossene Sicherheitsinstitutionen in das syrische Militär integriert.
Gleichzeitig sieht die Vereinbarung vor, dass alle nicht-syrischen Kämpfer:innen die Region verlassen müssen. Dabei handelt es sich wohl besonders um türkische Anhänger:innen der in der Türkei verbotenen PKK. Die SDF vereinbarte mit der syrischen Regierung eine intensivierte Zusammenarbeit in nationalen Fragen, zur Einheit Syriens und der Rückkehr Vertriebener im Bürgerkrieg. Außerdem lud die Selbstverwaltung Präsident al-Scharaa zu einem Besuch in Nord- und Ostsyrien ein.
Angriffe auf den Tishrin-Staudamm und die Verteidigung von Kobane
Ergebnis? Offen.
Doch was bedeutet das Abkommen für beide Seiten? Die syrische Übergangsregierung will das gesamte Staatsgebiet einheitlich kontrollieren. Die Selbstverwaltung steht diesem Plan im Weg. Die Regierung unter al-Scharaa ist aktuell aufgrund der politisch weiterhin instabilen Situation dabei nicht in der Lage, die kurdischen Gebiete militärisch unter Kontrolle zu bringen. Die mit der HTS abgesprochenen Angriffe des türkischen Staates auf Rojava helfen dabei, die Gebiete zu schwächen.
Die kurdische Selbstverwaltung hat aktuell wenig Handlungsspielraum. Die türkischen Angriffe und die Einnahme von Gebieten durch die SNA haben seit dem Sturz Assads zugenommen. Der Druck durch türkisch-faschistische Kräfte aus dem Norden und islamisch-fundamentalistischen Kräfte der HTS aus dem Süden zwingen die SDF dazu, in Verhandlungen schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Zudem ist noch unklar, ob die USA unter Präsident Trump ihre militärische Unterstützung der Selbstverwaltung aufrechterhalten.
Neben Fragen nach Politik, Verwaltung oder Infrastruktur in der Region kommt es aktuell wohl besonders darauf an, ob es einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen der SDF und der Türkei inkl. der SNA geben wird. Zentral dabei ist auch, ob und wie sich der lebenslang inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan zu einer möglichen Auflösung der PKK und der „Kurdenfrage“ äußern wird.